Seit Jahrzehnten wird Afghanistan von der restlichen, respektive westlichen Welt eigentlich konstant als humanitäres Katastrophengebiet wahrgenommen, in dem die kriegerischen Auseinandersetzungen einfach nicht aufhören und die einzige florierende Wirtschaftszweig der Drogenanbau ist. Wer hätte gedacht, ausgerechnet hier einen wahnwitzigen Filmemacher zu treffen, der die Menschen unterhalten will und in den letzen Jahrzehnten weit über 100 Filme produziert hat. Die französische Journalistin Sonia Kronlund hat den „afghanischen Steven Spielberg“ eine Weile begleitet. Dabei ist die Doku „,Meister der Träume“ herausgekommen, die 2017 in Cannes eine Duftmarke setzen konnte und nun bei uns in die Kinos kommt. Ein ebenso bizarrer wie erstaunlicher Einblick in das heutige Afghanistan.
Es ist leicht, sich über andere Leute lustig zu machen, und der beinahe narzisstische Selbstdarsteller Salim Shaheen lädt geradezu ein, sich an seinem oberflächlich trashigen Filmschaffen zu ergötzen. Schon als Kind filmbegeistert, beginnt der in den 1960ern geborene Shaheen als Erwachsener selbst Filme zu drehen. Inspiriert von Bollywood und den wenigen Hollywood-Filmen, die ins Land kommen, entwickelt der Filmmacher eine ganz eigene Mischung aus Trash, Action, Drama und Humor, die auf den ersten Blick ziemlich amateurhaft wirkt.
Weit über 100 Filme hat Salim Shaheen gedreht, als die Journalistin Sonia Kronlund bei einer Afghanistanreise auf einen seiner Filme aufmerksam wird, der in einem der wenigen Kinos in Afghanistan gezeigt wird. Dabei gibt es in diesem Land weder eine Filmindustrie noch eine funktionierende Kinolandschaft. Frauen ist es in dem konservativ muslimischen Land nicht direkt verboten, vor der Kamera zu stehen, aber gerne gesehen wird das nicht. So dreht sich auch eine Szene der Doku um die Dreharbeiten zu Shaheens seinerzeit aktuellem Werk, in dem eine junge Frau als Tänzerin auftreten soll. Während des Drehs ist der Vater des Mädchens, das so gerne Schauspielerin werden will, dabei und einige Aufnahmen verbietet er ihr auch direkt.
Der Schauspieler Qurban Ali hat die Nische erkannt und genutzt und arbeitet regelmäßig mit Salim Shaheen zusammen, indem er Frauen darstellt. Der Familienvater Ali ist stolz auf seine Karriere und angesichts kaum vorhandenen Drehbücher, improvisierter Requisiten und nicht gedoublter Action mit einem Salim Shaheen, der kaum noch als jugendlicher Held und Liebhaber durchgeht, fällt wahrscheinlich auch das kaum ins Gewicht. In gewisser Weise ähnelt „Meister der Träume“ den filmischen Portraits außergewöhnlich schlechter Regisseure wie sie Tim Burton mit „Ed Wood“ und James Franco mit „Desaster Movie“ vorgelegt haben. In den Portraits schwingt immer auch Hochachtung und Respekt für den Dilletantismus und den Enthusiasmus mit, so auch in „Meister der Träume“
Aus westlicher Sicht wirken die Schnipsel aus Shaheens Filmen wie eine Mischung aus „Bud Spencer“-Komödien und soliden C-Movies der legendären Cannon-Productions aus den 1980ern mit einem knalligen Schuss Musik-und Tanzeinlagen a la Bollywood. Kein Wunder also, dass der Mann und sein Oevre außerhalb Afghanistans kaum bekannt sind. Angesichts von selbstorganisierten Filmvorführungen in ländlichen Regionen seines Heimatlandes, in denen es kaum einen Fernsehapparat gibt, und das Publikum kaum über so etwas wie Medienkompetenz verfügt, entfaltet die Macht der Bilder eine ganz andere Wirkung als in westlichen Gesellschaften. Für den egozentrischen Selbstdarsteller muss die Präsentation dieser Doku beim Filmfestival in Cannes ein wahres Fest gewesen sein.
Aber die Doku „Meister der Träume“, die auch unter dem Titel „Prince of Nothingwood“ bekannt wurde, da in Afghanistan eben keine Filmindustrie vorhanden ist, hat handwerklich so ihre Macken,. Man merkt dass Sonia Kronlund Journalistin ist und keine Filmemacherin. Gelegentlich wirkt ihr Mitwirken vor der Kamera so, als müsse für eine personalisierte Reportage noch das westliche Afghanistan-Klischee erwähnt werden, etwa die konstante Gefahr für Leib und Leben oder die Rolle der Frau. Sicher, Sonia Kronlund erwähnt im Interview, dass dies zum Teil gespielt ist, um Shaheem einen Gegenpol zu bieten, aber dennoch wirkt die Machart der Doku zumindest arg rustikal und bisweilen ziellos zusammengeschustert.
Faszinierender Weise ergibt sich aber gerade aus den dokumentarischen Mängeln, die quasi die Imperfektion von Shaheems Filmen aufgreift, ein bizarrer, skurriler und schillernder Einblick in das gebeutelte Land Afghanistan. Und nicht zu vergessen, der joviale self-made Regisseur Salim Shaheem, dessen Filme hier nirgendwo zu bekommen sind, ist ein unterhaltsamer Geselle.
Film-Wertung: (8 / 10)
Meister der Träume
OT: „Nothingwood“
Genre: Dokumentarfilm, Biografie,
Länge: 87 Minuten, F/D, 2017
Regie: Sonia Kronlund
Mitwirkende: Salim Shaheem, Qurban Ali, Sonia Kronlund
FSK: ab 12 Jahre
Vertrieb: Temperclay Films
Kinostart: 03.05.2018