Der russische Aktionskünstler Pjotr Pawlenski scheint wenig Wert auf Leib und Leben zu legen. Seine Aufsehen erregenden Kunstaktionen halten dem russischen Staat immer wieder den Spiegel vor und stellen die Macht an sich in Frage. Derzeit lebt Pawlenski im französischen Exil und muss sich mit einer Rufschädigenden Kampagne auseinandersetzen. Die renommierte deutsche Dokumentarfilmerin Irene Langmann hat den nonkonformistischen Künstler eine Weile begleitet.
Pawlenskis Aktion „Bedrohung“ mag in ihrem Ausmaß und der Absicht die politische Kunst in das Rechtssystem zu tragen abstrakt wirken. Aber als sich der Künstler Am 9. November 2015 vor der Tür eben jenes Gebäudes selbst anzündet, in der der Geheimdienst seinen Sitz hat, tut er das, um als Terrorist vor Gericht gestellt zu werden. Die Richter freilich versuchen die Kunstaktion als Vandalismus zu bagatellisieren, um sich nicht mit Grundsatzfragen von Staat, Macht und Recht auseinander zu müssen.
Weil Pawlenski fast während der gesamten Zeit der Dreharbeiten im Gefängnis sitzt und die Doku so auch zwangsläufig den Prozess dokumentiert, ist „Bedrohung“ so etwas wie das Herzstück von Irene Langmanns Film. Neben Filmaufnahmen des Prozesses, die untererschwerten Bedingungen stattfanden, ist es vor allem das schattenspielartige Nachstellen wichtiger Prozess-Szenen das ästhetisch anspricht. Hinzu kommen Archivaufnahmen von Pawlenskis Aktionen, die aufgrund ihres Grades an Selbstverletzung bei weitem nicht so vermeintlich „ekelig“ anzuschauen sind, wie man als Zuschauer befürchtet. Üblicher Weise wird das Portrait mit Interviews mit befreundeten Künstlern und Zeitgenossen vervollständigt. Das alles fügt sich zu einem stimmigen und interessanten Bild zusammen, das dem Zuschauer Pjotr Pawlenski näherbringt.
Erstmals in Erscheinung trat der Künstler, der die Akademie in Sankt Petersburg wieder verließ, weil ihm die Lehre zu dekorativ war, im Jahr 2012, als er sich als Reaktion auf die Pussy Riot-Verhaftungen, den Mund zunähte. Seither legte sich Pjotr Pawlenski regelmäßig mit dem russischen Staatsapparat an. Egal, ob er ein „Freudenfeuer anzündet, oder sich am Hodensack auf dem roten Platz nagelt. Wer mehr über Pjotr Pawlenski und seine Aktionskunst erfahren will, dem sei auf Alice Botas online verfügbaren Zeit-Artikel „Dieser Mann will ins Gefängnis“ vom 23.06.2016 verwiesen.
Der russische Künstler vertritt und lebt radikale Standpunkte, fernab einer bürgerlichen Existenz. Er und seine Lebenspartnerin Oksana Schalgyna gehen keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Ihre Kinder besuchen keine Schule, weil die Eltern die konformistische Ausbildung ablehnen. Pawlenski lebt sei Credo: Kunst müsse politisch sein, sich einmischen, sonst verkomme sie zur reinen Dekoration. Eine Haltung, die man nicht teilen muss und die als Lebensentwurf einige Probleme mit sich bringt.
Den Aktionskünstler Pjotr Pawlenski als spezifisch russisches Phänomen abzutun, wäre ebenso unsinnig wie falsch. Politische Kunst auch und gerade als Aktionsform um auf Missstände aufmerksam zu machen, ist in jeder Gesellschaft legitimes Mittel zum Protest. Die Frage bleibt ob und in welcher Form die Staatsmacht dies zulässt. Die Filmmacherin Irene Langemann stammt zwar selbst aus Russland und beschäftigt sich immer wieder mit ihrer alten Heimat, lebt jedoch seit Jahrzehnten in Deutschland.
Der Dokumentarfilm „Pawlenski – Der Mensch und die Macht“ ist sehr gelungenes Handwerk und schafft auch aufgrund des Protagonisten eine eindrucksvolle Synthese von aktueller Kunst und politischem Geschehen. Ein sehenswerter Film, der viele Diskussionsaspekte anzubieten hat.
Film-Wertung: (7 / 10)
Pawlenski – Der Mensch und die Macht
Genre: Dokumentarfilm, Kunst, Politik
Länge: 97 Minuten, D, 2017
Regie: Irene Langmann
Mitwirkende: Pjotr Pawlenski, Oksana Schalgyna
Vertrieb: Lichtfilm
Kinostart: 16.03.2017