Es sind sehr stilsichere und farbgesättigte Bilder, mit denen der italienische Filmmacher Stefano Sollima die Geschichte des jungen Manuel erzählt, der als Kleinkrimineller zwischen die Fronten gerät. Sollima hat eine Vorliebe für Milieustudien und „Adagio“ ist der Abschluss einer römischen Trilogie. „Adagio“ feierte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig. Der Titel „Adagio“ zu deutsch „langsam“ legt es nahe, wer sich dem Film nähert, braucht Geduld. Plaion Pictures bringt die Gaunerballade ab 18. April in die Kinos.
Manuel ist sechzehn und hat ein Problem. Man hat ihn mit Drogen erwischt und schickt ihn nun auf eine quere Party um Fotos zu machen mit denen eine einflussreiche Persönlichkeit erpresst werden soll. Der gestresste junge Mann entdeckt aber eine Kamera in der Wand kurz nachdem er das Koks probiert hat. Nun will er umgehend aus der Sache aussteigen und haut ab.
Doch wohin? In seiner Not wendet sich Manuel an einen erblindeten Freund seines Vaters. Polniuman (Valerio Mastandrea) ist ebenso wie Manuels Vater Daytona (Toni Sevilliano) ein bekanntes Gangmitglied. Nun schickt der Blinde den Jungen zu einem Kahlen. Camello (Pierfrancesco Favino) ist schwer krank und gerade erst aus dem Knast gekommen. Sein Verhältnis zu Daytona ist nicht toll, denn der Tod von Camellos Sohn geht auf Daytonas Kappe. Der Kahle schickt den Jungen weg. Doch der bleibt heimlich.
Währenddessen ist die Erpressergang um Vasco (Adrianno Gianinni) hinter Manuel her. Vasco, allein erziehender Vater, muss seine beiden Jungs zuhause unbeaufsichtigt lassen und selbst aktiv werden. Die Spur führt zu Polniuman, der glaubt hier noch ein Geschäft machen zu können. Ist aber nicht. Die Dinge kommen ins Rollen, während immer wieder der Strom ausfällt, weil es vor den Toren der Stadt brennt.
„Du hast keine Wahl, vergiss das nicht.“ (Vasco zu Manuel)
Weil „Adagio“ bereits in Venedig vorgestellt wurde und bereits einiges über den Film berichtet wurde, wäre es an dieser Stelle vertretbar gewesen, die Dinge in der Handlungsschilderung klarer beim Namen zu nennen. Aber der Film selbst hält die Charaktere und die Motive lange im Zwielicht und auch der Trailer gibt wenig Konkretes preis. Hier wird ebenso verfahren. Wenngleich „Adagio“ vornehmlich eigentlich kein spannungsgetriebener, actionreicher Thriller ist, sondern eher eine Milieustudie, die sich Zeit nimmt, die Verhältnisse zu schildern.
Je länger der stark bebilderte Film andauert, desto klarer schält sich neben dem Verbrechen und der Korruption heraus, dass es vorrangig um Familie geht. Um Vater und Söhne, um Wahlfamilien mit „Künstlernamen“ und um vorgezeichnete, tradierte Wege durchs Leben.
Das ist sowohl klassischer Erzählstoff des organisierten Verbrechens wie auch einem grundsätzlich wirkmächtigen Katholizismus verpflichtet. Das Publikum möchte nun meinen, das Betriebsfeld wäre mehr oder minder auserzählt, irrt sich aber grundlegend, denn klassisches stilsicheres Erzählen ist auch im Kino eine zeitlose Kunst.
Und weil Manuel erstens Schiss vor seinem Vater hat und zweitens sein eigenes kleines Geheimnis hütet, kommt dann auch etwas aktueller Zeitgeist in die Angelegenheit. Allerdings nur in homöopathischen Dosen. Familienprobleme ähneln sich dann mit der Zeit doch, unabhängig vom Milieu.
Stefano Sollima ist ein renommierter Filmmacher, der neben hochgelobter eigenen Serienarbeit wie „Romanzo Criminale“ und „Gomorrha“ auch immer mal wieder als Regisseur tätig wird (z.B. „Sicario 2“ und „ZeroZeroZero“). Seine Bildsprache ist mit den Jahren möglicherweise etwas zu symbolträchtig geworden und die Themen kehren wieder, weil Aspekte dem Filmmacher noch nicht auserzählt scheinen. Nun markiert Adagio“ nach „A.C.A.B.“ und „Suburra“ seine Trilogie über die Unterwelt Roms zu einem fulminanten ende. Oder wie Camello an einer Stelle zu Manuel sagt: „(Der Brand) sieht aus wie das Ende der Welt, oder?“
„Mit so viel Watte im Kopf ist es schwierig.“ (Daytona zu Camello)
Mit Pierfrancesco Favino als Camello und Toni Servillo („viva la Liberta“) als Daytona hat „Adagio“ zwei italienische Schauspiel-Schwergewichte aufzubieten, die in erstaunlich ungewohnten Rollen zu sehen sind. Das allein reichte schon aus, um sich durch den Film zu schauen. Doch auch die anderen Darsteller hinterlassen Eindruck.
Die farbgesättigten, vor Hitze strotzenden Bilder erinnern schon auch an den Vorgänger „Suburra“ und führen diese Bildsprache weiter. Dass seit Neros Zeiten wieder ein Brand auf Rom zukriecht, ist Sollima Aussage genug über den Zustand der Stadt und der Nation. Seine stärksten Momente hat „Adagio“ ohnehin wenn die Figuren aufeinandertreffen, das erinnert durchaus an Michael Manns „Heat“. Die Stimmung des Films gemahnt mich hingegen eher an die Graphic Novel „Stadt der drei Heiligen“. Was nicht weiter verwunderlich ist, weil ähnliches Gaunerballaden-Milieu erzählt wird.
Auch wenn es keine nennenswerten Frauencharaktere in der erbarmungslosen Stadt gibt, hat doch die Nachbarin von Polniuman den lässigsten Auftritt, als sie Manuel sarkastisch zu seiner Idee gratuliert, während unberechenbarer Stromausfälle den Aufzug nehmen zu wollen. Und lässt dem Bengel den Einkaufskorb stehen, damit er diesen ebenso galant wie altmodische nach oben trägt.
Wer von „Adagio“ kein Action-Feuerwerk und keine genresprengenden Charaktere erwartet, blickt auf einen handwerklich herausragende, vielleicht etwas altbacken wirkende, melodramatische Milieustudie, die mit fortschreitender Spieldauer an Schönheit und Tiefe gewinnt. Das ist schon überraschend und fesselnd.
Film-Wertung: (7 / 10)
Adagio – Erbarmungslose Stadt
OT: Adagio
Genre: Thriller, Drama, Krimi
Länge: 127 Minuten, I, 2023
Regie: Stefano Sollima
Darsteller:innen: Gianmarco Franchini, Pierfrancesco Favino, Toni Servillo, Adrianno Giannini.
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Plaion Pictures
Kinostart: 18.04.2024