Organisiertes Verbrechen wusste spätestens seit Coppolas Verfilmung von „Der Pate“ die Zuschauer zu fesseln. Seit die Streaming-Plattformen immer mehr Serien-Nachschub benötigen, kommen auch komplexeren Thriller-Formate zu Kritikerehren und Einschaltquoten. Roberto Saviano, italienischer Bestseller-Autor mit Mafia-Thematiken liefert auch die Vorlage für „ZeroZeroZero“. Der Autor von „Gomorrha“ untersucht dieses Mal den internationalen Kokain-Handel. Nun bringt Studiocanal die erste Staffel der opulente Thriller-Serie für das Home-Entertainment heraus.
„ZeroZeroZero“ erzählt aus drei Perspektiven über eine große Drogenlieferung. Alle beteiligten Parteien haben dabei noch andere Probleme zu lösen und Kämpfe auszufechten. Die Lieferung einer Tonne Kokain spielt dabei eine ebenso zentrale wie existentielle Rolle. Mit rasantem Erzähltempo und vielen Verschachtelungen und Unwägbarkeiten ist die Serie unter italienischer schirmherrschaft vor allem aufwändig produziert und an originalschauplätzen quasi rund um den Globus gefilmt.
Don Minu (Adriano Chiaramida), Oberhaupt einer N’Drangheta-Familie im süditalienischen Kalabrien lebt seit Jahren versteckt in einer streng bewachten Berghöhle. Um seine Macht zu festigen, verspricht das alternde Familienoberhaupt die Lieferung einer ganzen Tonne Kokain, die den anderen Familien zum Vorzugspreis überlassen werden sollen. Die Drogen kommen aus Südamerika und werden von einem mexikanischen Kartell verkauft. Die Leyra-Familie verschifft das Kokain vom mexikanischen Monterrey aus und die amerikanische Reederfamilie Lynwood übernimmt den Transport und kauft zu diesem Zweck einen Frachter an.
Die Kunden
So durchdacht die Drogen-Transaktion auch ist, sie wird von mehreren Seiten boykottiert. Stefano (Guiseppe de Domenico), Don Minus Enkel, will endlich aus dem Schatten des alten Mannes treten. Für seien Verrat ist es wichtig, dass die Drogen niemals im Hafen von Gioia Tauro ankommen. Die Leyras stehen auf der Abschussliste der mexikanischen Drogenbehörde und die Zugriffe der Sondereinheiten gefährden nicht nur den Zeitplan, sondern auch das Treffen der Leyras mit den Lynwoods. Nur durch einen Maulwurf bei der Polizeitruppe gelingt es den Drogenhändlern zu entkommen.
Doch Edward Lynwood (Gabriel Byrne) wird trotz kugelsicherer Weste von einer Kugel getroffen und erleidet in der Folge einen Herzinfarkt. Seine Tochter Emma (Andrea Riseborough) muss nun die Geschäfte führen. Ihr jüngerer Bruder Chris (Dan DeHaan) leidet unter der erblichen Huntington-Krankheit, die zu Krämpfen und letztlich tödlicher Muskelerschlaffung führt. Nun muss Chris die Schiffslieferung begleiten, da die Lynwoods finanziell ihre Existenz riskieren. Sie haben nicht nur den Frachter für etliche Millionen gekauft, sondern gehen für den alten italienischen Geschäftspartner in Vorkasse bei den Mexikanern. Es ist fraglich, ob die Miranda ihr Ziel erreicht.
Die Lieferanten
Keine Frage, die Produktion von „ZeroZeroZero“ ist – gerade für ein Serienformat – aufwändig und ambitioniert. Das führt zumindest zu großartigen Schauwerten, allein wegen der vielen stimmungsvoll in Szene gesetzten Originalschauplätze. Doch die Zuschauer befinden sich ja nicht in einer Reisedoku, sondern in einem kriminalistischen Road Movie. Daher ist es zu Beginn der Serie durchaus notwendig aufmerksam zuzusehen, wenn die unterschiedlichen Player vorgestellt werden. In der Auftaktfolge kommt es notgedrungen zu übersichtlichem Erzähltempo.
Aber die Macher sorgen mit Rückblenden und zeitlichen Verschiebungen der Erzählebenen von Beginn an für Spannung. Zwischendurch wird es immer wieder actionreich, da die Zugriffe der mexikanischen Drogeneinheit beim Treffen der Leyras und der Lynwoods das Leitmotiv der Folge sind. Da kommen auch rasante Autofahrten zum Zug wie man sie aus „Sicario“ kennt und dennoch werden die Charaktere sorgfältig eingeführt, bevor die Handlung endlich Fahrt aufnimmt.
Die Verkäufer
Auch in der Folge bleiben sich Stefano Solima und sein Team aus Kreativen treu und sorgen für eine unterhaltsame Erzählung. Solima hat bereits Savianos „Gomorrha“ in ein erfolgreiches Serienformat überführt und scheint zu dem Journalisten und Bestsellerautoren einen guten Draht zu haben. Zudem hat Sollima ein Händchen für dramatische Erzählungen aus dem weiten Feld des organisierten Verbrechens „Suburra“, „Sicario 2“. Jeder Location ist eine eigene optische Qualität und in gewisser Weise ein filmischer Stil zugeordnet, so dass die Orientierung im Serienverlauf immer intuitiver wird.
Man hat geklotzt bei der Produktion von „ZeroZeroZero“, man hat von den Klassikern und den erfolgreichen gelernt und sich das eine oder andere Abgeschaut, aber herausgekommen ist etwas eigenes, auch dank der auffälligen Musik der schottischen Postpunk-Pioniere Mogwai, die bereits den einen oder anderen Soundtrack geliefert haben („Zidane“, „Kin“). Bisweilen – gerade zu Serienbeginn -ist die elektronische Musik etwas zu offensiv in den Vordergrund gemischt, aber im Serienverlauf, wird die Stimmung auch akustisch treffsicherer transportiert.
Die Probleme
Der große Reiz von „ZeroZeroZero“ liegt in der Tat in den unterschiedlichen Blickwinkeln, die die drei Hauptparteien und ihre jeweiligen Gegenspieler auf diesen globalen Drogenhandel haben. Savianos Buchvorlage ist eine Reportage, doch der Autor hat auch an der serien-Umsetzung mitgewirkt. Während man als Crime-gestählter Zuschauer das Gefühl hat, die italienischen und mexikanischen Komponenten der organisierten Kriminalität bereits andernorts in ähnlicher Ausführlichkeit, Härte und Spannung gesehen zu haben, bietet gerade die Reederei einen neuen erzählerischen Ansatz auf Verbrechen in dieser Größenordnung.
Sicher, es gab auch seit der Serie „Die Onedin Linie“ ab 1971 immer wieder Formate, die den globalen Handel zum Thema hatten, aber der Realismus, mit dem Chris Lockwood die Fracht über den Atlantik und durch diverse Länder bringt, ist schon spannend zu beobachten. Das hat auch damit zu tun, dass ausgerechnet die ungleichen Geschwister die stärksten, weil atypischsten Charaktere in der ganzen Geschichte sind.
Wer meint, das organisierte Verbrechen sei serientechnisch auserzählt, muss sich von „ZeroZeroZero“ eines Besseren belehren lassen. Um einige Stereotypen und Klischees kommt auch diese Serie nicht herum, aber die inhaltlich überzeugende Erzählung wird von starken und charismatischen Charakteren getragen. So sieht unternehmerische Leidenschaft jenseits der Legalität heute also aus.
Serien-Wertung (7,5 / 10)
Zerozerozero – Staffel 1
OT: „ZeroZeroZero“ – Stagione 1 aka „Zero Zero Zero“
Genre: TV-Serie, Thriller, Krimi
Länge: ca. 440 Minuten (8 Folgen),
Idee: Stefano Sollima, Leonardo Fasoli, Mauricio Katz,
Regie: Stefano Sollima, Janus Metz, Pablo Trapero
Vorlage: Sachbuch „ZeroZeroZero“ von Roberto Saviano (deutsch bei Hanser Verlag)
Darsteller: Dan DeHaan, Andrea Riseborough, Giuseppe De Domenico
Extras: Interviews
Vertrieb: Studiocanal
DVD- & BD_VÖ: 07.05.2020
Copyright (auch der Bilder): Studiocanal