Die Mauern von Samaris: Aufbruch zu den geheimnisvollen Städten

Das ist durchaus ein Angebot, das man ablehnen kann: Der junge Offizier Franz soll sich auf den Weg in die Stadt Samaris machen, um zu erkunden, was dort vor sich geht. Denn jeder, der von Xhystos aus dorthin aufgebrochen ist, ist nie zurückgekehrt. Außerdem ist die Reise lang und beschwerlich. Trotzdem sieht Franz in der Mission Karrieremöglichkeiten, auch wenn seine Verlobte deutlich macht, dass sie nicht auf ihn warten werde. Ein weiterer Band aus „Die geheimnisvollen Städte“ neu bei Schreiber & Leser.

Und es wird eine anstrengende Reise: Franz fährt zunächst mit dem Zug zur Zentrale N, die alle Städte miteinander verbindet. Er steigt dort in einen Höhengleiter, anschließend braucht er einen Führer, der ihn weiterfliegt, und schließlich nimmt Franz noch eine Fähre. Endlich am Ziel seiner Mission, gelingt es ihm dennoch lange nicht, hinter das Geheimnis von Samaris zu kommen. Die Stadt scheint sich mit jedem Gang durch die Straße zu verändern. Auch die junge Clara, die Franz zuhause in Xhystos kannte, scheint sich nicht an ihn erinnern zu können.

Der erste Ausflug in die geheimnisvollen Städte

Mit „Die Mauern von Samaris“ begibt sich das kreative Gespann Schuiten und Peeters erstmals in diese mysteriöse Parallelwelt der geheimnisvollen Städte, die unserer in manchen Belangen ähnlich ist. Hier setzen sie den erzählerischen und zeichnerischen Rahmen dessen fest, was sich über etliche Alben und  in loser, abgeschlossener Folge als ein Meilenstein französischsprachiger Comic-Kunst erweisen sollte.

Die Elemente in „Mauern von Samaris“ sind wegweisend, wenn auch noch nicht so meisterlich wie in späteren Alben der „geheimnisvollen Städte“ (siehe auch die Vorstellungen von „Der Turm“ und „Brüsel“). Eine seltsame Leere umgibt auch das Zentrum N; mitten in der Ödnis gelegen und im Grunde nur ein riesiger Durchgangsbahnhof, eine Radnabe. Diese fantastische Welt ist angelegt als Gegenentwurf zu unserer, in späteren Werken wird sich auch eine gewisse Durchlässigkeit zwischen beiden Welten zeigen.

Die Geschichte mit ihren mechanistischen und viktorianischen Steampunk-Charakteristika ist so deutlich an Kafkas Literatur angelegt, dass sogar der Protagonist Franz heißt. Konsequenter Weise findet er sich von Misstrauen der Bevölkerung und Ablehnung der Behörden behindert in einem verwirrenden, ja unbezwingbaren, Labyrinth wieder. Hier taucht auch das Surreale der Erzählung auf. Die Zeichnungen zeigen Schuitens Liebe zur Architektur und Perspektive und seine Qualitäten bezüglich der Blickführung. Die einleitende Sequenz, die vom Himmel aus durch einen riesigen Torbogen bis auf die Straße hinabreicht, hat cineastische Qualität. Jugendstil und Art Deco finden sich in den Straßenschluchten und Interieurs von Xhystos und Samaris wieder.

Ganz große Leinwand

Außerdem wird der Leser in die „Geheimnisse von Pahry“ entführt. Eine für Schuiten und Peeters typisch surreale Hommage an Paris. Die vier in sich abgeschlossenen Episoden sind hier erstmals zusammengefasst und beschäftigen sich jeweils mit Pariser Bauten wie der Oper, dem Louvre, dem Elísee-Palast und dem Centre Pompidou. Die Verbindung des von Renzo Piano, Gianfranco Franchini und Richard Rogers entworfenen Gebäudes mit dem farbig angelegten „Seltsamen Fall des Dr. Abraham“ wird erst spät deutlich. Die anderen drei Episoden sind lose durch die Geschichte eines Flüchtlings verbunden, der sich in einer Art parallelem Verbindungssystem (und einer Parallelwelt) durch Paris bewegt.

Begonnen hatten Schuiten und Peeters „Die Geheimnisse von Pahry“ 1984, kurz nachdem „Fieber in Urbicand“ fertig gestellt war und ursprünglich wollten die beiden daraus auch eine größere zusammenhängende Geschichte machen, aber das Projekt erlahmte mit der Zeit. Nun haben sich Schuiten und Peeters mit „Revoir Paris“, ihrem jüngsten Werk von dem bislang erst der erste Teil auf Französisch erschienen ist, der französischen Metropole auf andere Weise genähert. Damit schließt sich für den Leser und auch die Autoren auch in gewisser Weise ein Kreis.

Der erste Band der „Geheimnisvollen Städte“ von Schuiten und Peeters zeigt, wohin die Reise geht. Den Zenit ihrer Kunst haben die beiden seinerzeit noch nicht erreicht, aber eine faszinierende Geschichte bleibt „Die Mauern von Samaris“. Die erstmals zusammengetragene „Geheimnisse von Pahry“ bereichern den Band um spielerisch faszinierende Episoden.

Comic-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Schuiten & Peeters: Die Mauern von Samaris
OT: Les Mureilles des Samaris, 1984, Castermann
Genre: Comic, Architektur,
Zeichnungen: Francois Schuiten
Autor: Benoit Peeters
ISBN: 978-3-943808-63-6
Verlag: Schreiber & Leser, broschiert, 96 Seiten
Mit: Die Geheimnisse von Pahry
VÖ: April 2015

weiterführende Links:

Die geheimnisvollen Städte bei Schreiber & Leser

Die geheimisvollen Stadte bei Wikipedia

Homepage der “Geheimnisvollen Städte”