Stadt der drei Heiligen: Eine zerbrochene Gesellschaft

Die Luft in der großformatigen Graphic Novel „Stadt der drei Heiligen“ ist gelb. Staubig, trocken, heiß. Wenn denn einmal Tageslicht auf die Gestalten der Halbwelt fällt, die nicht nur die titelgebende süditalienische Stadt, sondern auch diese wunderbare „Gaunerballade“ bevölkern, hofft man schon fast instinktiv, lebend aus der Sache herauszukommen. „Stadt der drei Heiligen“ ist Anfang November im „Nachtprogramm“ von Schreiber & Leser erschienen.

Der Weg zu seinem Dealer Manuzzè führt den Ex-Boxer Michè am Grundstück der Brüder Rodolfo und Tonio vorbei, die haben gerade eine Giraffe aus einem Zoo geklaut, um Lösegeld zu erpressen. Falls das nicht klappt, lässt sich immer noch der Kampfhund damit füttern. Michè hat’s nicht gerade dicke und er zockt Manuzzè auch schon mal ab. Dumme Sache das, denn der kleine Drogendealer wird, wie jeder weiß, von Pino Zainetto beliefert. Der ist Beerdigungsunternehmer und außerdem vor Ort der Hecht im Karpfenteich.

Selbstverständlich gibt sich Zainetto auch noch mit anderen eher weniger legalen Erwerbsmöglichkeiten ab wie illegalen Sportwetten und Schutzgelderpressung. Doch seine Handlanger können den Imbissbuden-Besitzer Marcià einfach nicht zur Mitarbeit überreden. Marcià hat Frau und Kind und deshalb der anderen „Familie“ abgeschworen, seit er wieder aus dem Knast raus ist. Der Ex-Mafioso weiß wie der Hase läuft, lässt sich aber auch nichts gefallen.

Wenn die Imbissbude kein Schutzgeld abwirft

Sich nichts gefallen zu lassen ist auch Nicàs Maxime. Seit er von der Schule geflogen ist, macht er auf dicke Hose und dealt ein bisschen. Vor allem aber findet Nicà es zum Kotzen, dass seine Freundin Titti nicht mit ihm zusammen sein darf. Ihre Brüder, die mit der Giraffe, halten Nicà für ein armes Würstchen. Während Titti am liebsten mit Nicà abhauen würde, will der um jeden Preis seinen Platz in der lokalen Rangordnung behaupten.

Ausgerechnet am Abend der großen Prozession für die drei Schutzheiligen der Stadt, San Michele, San Marcian und San Nicandro, findet ein Boxkampf statt, in dem die große lokale Nachwuchshoffnung berühmt werden kann. Doch immer gibt es alte und neue Rechnungen, die noch beglichen werden müssen.

Die Graphic Novel „Stadt der drei Heiligen“ beackert klassischen Boden: Irgendwo zwischen süditalienischer beziehungsweise sizilianischer Mafia-Folklore und italienischen Gaunergeschichten in TV-Serienformaten wie „Gomorrha“ oder „Romanzo Criminale“ siedeln Autor Stefano Nardella und Zeichner Vicenzo Bizzarri ihre Milieustudie anhand der drei Kleingauner an. Doch wer sein Feld so stilsicher bestellt, der kann sich auch in illustrer Gesellschaft behaupten.

Handwerklich ist „Stadt der drei Heiligen“ außerordentlich gelungen. Das gilt nicht nur für die Auswahl der drei Protagonisten, die nicht zufällig die Namen der drei Heiligen tragen. Jeder von ihnen verkörpert sowohl einen anderen Aspekt als auch eine andere Phase einer kleinkriminellen Karriere. Dabei ist die beleuchtete Parallelgesellschaft derart normal dargestellt, dass es einen nicht mehr verwundert, dass in dieser schlichten und heruntergekommenen Gegend Lösegeld für Giraffen verlangt wird. Wo es keine Arbeit und keine Perspektiven gibt, wo öffentliche Ordnung unterlaufen wird, da ist jeder auf brachiale und archaische Weise seines Glückes Schmied. Zumindest scheint es so und so will es auch die Gangster-Folklore.

Saints and Sinners

Zwar sind die beiden italienischen Comic-Künstler hierzulande noch unbekannt, aber das könnte sich mit „Stadt der drei Heiligen“ ändern. Szenarist Nardella ist „gelernter“ Drehbuchautor und Zeichner Bizzarri hat in Italien bereits eine von Filippo Rossi geschriebene Comicbiographie des Bildhauers Benvenutto Cellini (1500 – 1571) illustriert.

Nicht nur das Szenario weiß zu überzeugen, auch das Artwork. Die Illustrationen von Bizarri sind in ihrer kantigen Weise ausdrucksstark und mit ihren strichigen Schraffuren ebenso rau wie die Gesellen, die hier abgebildet werden. Das nenne ich mal kongeniale Umsetzung. Hinzukommt, dass das Paneling, also der Erzählfluss des grafischen Erzählens, wirklich filigran ist und mit seinen Stilmitteln nahezu filmisch wirkt. Der Beginn und das Ende der Geschichte sind wunderbar atmosphärisch ausgefallen. Zum Auftakt folgt der Leser dem Flug einer von Kirchenglocken aufgescheuchten Krähe in die heruntergekommenen Sozialsiedlungen der Stadt. Am Ende verhallen die Explosionen des Feuerwerks über der Stadt.

Die stimmungsvolle Gaunerballade „Stadt der drei Heiligen“ holt ein klassisches süditalienisches Kleingaunermilieu aus der Gosse und erzählt kunstvoll, stilsicher und klassisch von Sehnsüchten und zerbrochenen Träumen. Eine eindrucksvolle Graphic Novel.

Comic-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Stadt der drei Heiligen
OT: Il Paese dei Tri Santi
Genre: Graphic Novel, Thriller, Drama
Autor: Stefano Nardella
Zeichnungen: Vincenzo Bizzarri
Übersetzung: Hannah LisaLinsmeier
Verlag: Schreiber & Leser, gebunden, 196 Seiten.