Mit der Veröffentlichung der Miracleman-Alben, die erstmals auf Deutsch erscheinen, arbeitet Panini-comics ein wichtiges Stück Comic-Geschichte auf, das in den Achtziger Jahren vor allen, aber nicht nur das Superhelden-Genre maßgeblich geformt hat. Wer die Serie bislang verfolgt hat, wird sich fragen, wie man erzählerisch da weitermachen soll, wo „Der Originalautor“ die britische Serie am Ende von „Olymp“ hingeführt hatte. Neil Gaiman zeigt, wie es geht.
Man kommt bei „Miracleman“ einfach nicht umhin, sich mit der Veröffentlichungshistorie der bahnbrechenden Serie zu beschäftigen. Ursprünglich hatte Mick Angelo den Superhelden in den 1950er Jahren als „Marvelman“ erfunden und in der damals herrschenden Begeisterung für Atomenergie angelegt. Einige Jahrzehnte später, Anfang der 1980er belebt der britische Comicautor Alan Moore den Charakter für ein Magazin neu und krempelt damit das Superhelden-Genre um (nachzulesen in den Vorstellungen der Miracleman-Bände „Der Traum vom Fliegen“, „Der rote König“ und „Olymp“. Aufgrund von Rechtsstreitigkeiten, die nach wie vor undurchsichtig bleiben, ist Jahrelang nicht geklärt, wer die Rechte an der Comicfigur hat, bis sich schließlich der Marvel Comicverlag durchsetzt und die Geschichten wieder neu auflegt. Alan Moores Autorenschaft wird dabei immer nett und kryptisch mit „Der Originalautor“ umschreiben und der hatte Miracleman und die anderen Superwesen zu neuen Göttern gemacht („Olymp“) und sich dann anderen Projekten zugewendet.
Pilgerreisen zum Olymp
Moore selbst schlug vor 25 Jahren Neil Gaiman als seinen Autorennachfolger bei „ Miracleman“ vor und des gelingt Gaiman, der damals noch recht unbekannt war tatsächlich, die eigentlich auserzählte Story interessant und frisch weiterzuerzählen. Gaimans Konzept dabei ist gleichfalls episch angelegt und soll die drei großen Epochen des Superhelden-Comics selbst rekapitulieren: das Golden, Silberne und Dunkle Zeitalter. Allerdings ging der Verlag pleite als Gaiman gerade mit dem „silbernen „Storybogen begonnen hatte. Den soll er nun endlich für Marvel Comics weitererzählen und die Arbeit daran ist scheinbar in vollem Gange.
„Miracleman 4: Das Goldene Zeitalter“ greift allerdings noch auf Geschichten aus den 90er Jahren zurück und hält sich auch nicht an die ursprüngliche Veröffentlichungschronologie, was aber unerheblich ist, da „Das Goldene Zeitalter“ aus mehreren in sich abgeschlossenen Episoden besteht. Um die Miracleman-Story weiterzuspinnen, wendet sich Gaiman von den neuen Göttern selbst ab und erzählt episodisch aber doch immer mit übergeordnetem Zusammenhang von einzelnen Begegnungen mit den Göttlichen Wesen, die nun auf den Trümmern Londons eine weltweite Utopie geschaffen haben. Und ähnlich genial wie auch Alan Moore das macht, holt sich Gaiman Inspiration aus der ganzen Bandbreite der Kultur. In „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ tritt beispielsweise der reproduzierte Künstler Andy Warhol auf, „Spione“ bezieht sich auf eine Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors J.G. Ballard. Aber Gaiman führt auch Moores Mythologie weiter und erzählt in „Winter’s Geschichte“ die kosmischen Abenteuer vom Miraclemans Tochter. Die Geschichten funktionieren nicht nur, sondern schaffen es auch immer, etwas Neues aufzuzeigen, den Mythos Miracleman zu erweitern.
Gargunza trifft Warhol
Glücklicher Weise steht Neil Gaiman bei „Das Goldene Zeitalter“ ein grandioser Zeichner zur Seite. Buckingham ist auch für seine Arbeit an Neil Gaimans „Sandman“ und vor allem „Failbes“ bekannt, aber in „Miracleman“ ist Buckingham auf der Höhe der Experimentierfreundigkeit. Gerade von der Serie „Hellblazer“ gekommen, passt er seinen Zeichenstil der jeweiligen Erzählung Gaimans an und macht „Miracleman: Das Goldene Zeitalter“ zu einem abwechslungsreichen und sehr kunstvollen Comicvergnügen. „Winter’s Geschichte etwa ist naiv und fröhlich bebildert wie ein Kinderbuch, in „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ ist düster mit weißem Farbstift auf schwarzer Pappe konzipiert und zitiert dabei auch ständig Warhols Kunst. „Perfektion“ arbeitet mit scherenschnittartigen Flächen und „Spione“ ist derart finster und paranoid bebildert, dass es einen fröhlichen „Karneval“ braucht, um wieder aus der Depression zu kommen.
Alles in allem entpuppt sich „Miracleman: Das Goldene Zeitalter“ als deutlich mehr als nur eine würdige Fortsetzung vom Alan Moores großartiger Geschichte. Neil Gaiman und Mark Buckingham erschaffen etwas ganz eigenes, das trotzdem dem Spirit der Story treu bleibt, den Blickwinkel des kosmischen Überwesens aber wieder auf irdische Dimensionen zurückholt. Man muss gespannt bleiben, was da noch kommen mag.
Comic-Wertung: (8 / 10)
Miracleman: Das goldene Zeitalter
OT: Miracleman: Prologue: The golden Age, A Prayer and Hope, Screaming, Skin Deep, Trends, Notes from the Underground, Winter’s Tale, Spy Story, Carnival, Marvel Comics
Autor: Neil Gaiman
Zeichner: Mark Buckingham
Farben: Mark Buckingham, D’Israeli
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 180 Seiten
Hardcover-VÖ: 18.05.2016