Zugegeben, ich bin nicht gerade ein Experte in klassischer Musik, aber ein guter Film ist ein guter Film. Bettina Ehrhards Portrait des Star-Dirigenten Kent Nagano „Montreal Symphony“ macht Lust, auf musikalische Entdeckungsreise zu gehen. Das liegt vor allem an dem weltoffenen Wesen des populären Maestros. Die Dokumentation kommt am 13. Januar 2011 in die deutschen Kinos.
Seit 2006 ist Kent Nagano der Musikalische Direktor und Chefdirigent des Montreal Symphonie Orchesters (OSM). Anlässlich der 75. Spielzeit des Orchesters haben sich die Musiker, ganz nach Naganos Credo, die Musik über die Konzertsäle hinaus zu tragen, auf eine außergewöhnliche Gastspielreise begeben. Der Film begleitet das Orchester auf einigen Stationen dieser Jubiläumssaison: Heimspiele in Montreal, ein ungewöhnliche Performance in Nunavik im Norden Kanadas, umjubelte Auftritte in Paris und München. Zwischendurch gibt es immer wieder Interview-Sequenzen mit dem Dirigenten, in denen er sein Musikverständnis umreißt.
Zum 75. Jubiläum ein extraordinäres Geschenk
Ein ebenso großer Teil des Films beobachtet Kent Nagano und das Orchester bei den Proben, beim gemeinsamen Erarbeiten der Werke. Momente höchst konzentrierter Arbeit, denen trotzdem eine gewisse demütige Leichtigkeit, ja fast transzendentale Qualität, innewohnt. Für die Zuschauer ist dies nicht nur eine großartige und spannende Gelegenheit, den Musikern auf die Finger zu schauen, sondern auch ein tieferes Verständnis für Musik an sich zu gewinnen: Alles kann Musik sein.
Es entspricht Naganos Philosophie, dass ein Symphonieorchester Teil der kulturellen Gemeinschaft sein sollte und aktiv am sozialen Leben teilnimmt. Auftritte in Montreals Eishockey-Arena gehören ebenso dazu, wie das Musizieren und Mithelfen bei einer wohltätigen Essensausgabe für Schulkinder. Andersherum sollte die Musik (auch klassische) diese Gemeinschaft in gewisser Weise reflektieren. Kurz: Man muss den Kontakt der Menschen zur Musik herstellen.
Aus diesem Verständnis entstand auch die Idee, mit Teilen des Orchesters Konzerte in Kanadas hohem Norden zu spielen: Für viele der hier lebenden Inuit eine komplett neue Erfahrung und die erste Berührung mit klassischer Musik. Vor allem aber ehrt man die Ureinwohner mit einer modernen Komposition „Take the Dog-Sled“, die eine Hommage an ihren traditionellen Lebensstil ist. Nagano selbst, als Amerikaner japanischer Abstammung, bemerkt grinsend, er könne locker als Einheimischer durchgehen, solange er den Mund nicht aufmache.
Mit den Hundeschlitten zum Konzert
Die abenteuerliche Reise in den abgelegenen Norden fordert sowohl Musiker als auch Publikum. Die Komposition wurde dann später (mit überraschendem Erfolg) auch in Montreal aufgeführt. Kehlgesang und klassische Instrumente müssen sich nicht ausschließen.
Doch es gibt nicht nur musikalische Experimente. Für die europäischen Gastspiele im Jubiläumsjahr bereiten sich Orchester und Dirigent auf Werke von Bruckner, Mahler, Debussy und Messiaen vor. Nagano versucht, die unterschiedlichen Mentalitäten der Musiker nicht einzuebnen, sondern eben damit zu arbeiten. Es sagt viel über Naganos Musikverständnis aus, dass ein Gastsänger nach dem Auftritt freudig bemerkt, endlich einmal nicht gegen ein Orchester ansingen zu müssen. Überhaupt scheint Naganos konzentrierte und ruhige Gelassenheit ein überaus kreatives Umfeld zu schaffen und sich stets auch auf das Orchester zu übertragen.
Filmisch hält Bettina Ehrhardt, die seit 1995 Dokumentationen und Musikfilme macht, ihr Portrait eher konventionell und kommt ohne visuelle Sperenzchen aus. Das ist für eine Dokumentation mehr als legitim und rückt den Gegenstand der Betrachtung entsprechend natürlich in den Focus. So steht letztlich die Musik mit all ihrer Faszination im Mittelpunkt des Films; den Kinozuschauern nahegebracht und vermittelt von einem sympathisch uneitlen und im positiven Sinne demütigen Meister seines Faches.
Kultur ist Menschenrecht
Genau diese Qualität macht den Dokumentarfilm „Kent Nagano – Montreal Symphony“ nicht nur für Liebhaber der Klassik interessant, sondern bietet – ganz im Sinne des Protagonisten – aufgeschlossenen und neugierigen Menschen eine unterhaltsame und höchst anregende Begegnung mit der Welt der Musik.
Noch eine Randnotitz: Fast schon wegweisend zeigt sich die Entscheidung der Regisseurin Bettina Ehrhardt das Nagano-Portrait mit dem OSM zu drehen. Vom Engagement Naganos an der Münchner Staatsoper ist keine Rede. Und einige Wochen nach der Premiere des Films auf dem Münchener Filmfest ließ Kent Nagano bekannt geben, dass er für eine Verlängerung dieses Engagements über 2013 hinaus nicht zur Verfügung stehe. Aber das ist nun wirklich nicht meine Baustelle.
Fazit: Die Musik-Doku „Kent Nagano – Montreal Symphony“ zeigt einen Star-Dirigenten, der durch seine musikalische Neugierde und sein offenes Wesen die Begeisterung für Musik an sich zu wecken vermag. Den Zuschauern wird außerdem ein aufregender, kurzweiliger Einblick in den Orchesteralltag geboten, der bisweilen überrascht. Eine echte Empfehlung für aufgeschlossene Musikfans.
Film-Wertung: (8 / 10)
Kent Nagano – Montréal Symphony
OT: Kent Nagano – Montréal Symphony
Genre: Dokumentation, Musik; D/Can 2010
Regie: Bettina Ehrhardt
Darsteller: Kent Nagano, OSM
Länge: 97 min
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Zorro Film
Kinostart: 13.01.2011
DVD-VÖ: 20.05.2011
Weiterführende Links:
Kent Naganos Homepage
Film-Homepage mit Trailer
Homepage des OSM
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