Step Arcoss the Border: Mit den Möwen tönen

Fred Frith ist einer der großen Musiker, Improvisationskünstler und Klangforscher unserer Zeit. Seit Jahrzehnten musiziert er unerschrocken auf und mit allem was tönt. Wobei Gitarre und Violine schon seine Hauptinstrumente sind. 1990 wurde der Dokumentarfilm „Step Across the Border“ veröffentlicht, der Frith bei seinen Klangreisen im Stil des spontanen „Direct Cinema“ begleitet. Nun kommt der restaurierte und digitalisierte experimentelle Klassiker am 19. Juni 2025 wieder in die Kinos. Eine Bild und Klang-Reise für die mensch sich entspannt zurücklehnen sollte.

Wo anfangen um einen Zugang zu „Step Across the Border“ herzustellen? Im Grunde möchte der Rezensent der Leserschaft zurufen: Probiert es einfach aus! Wenn es gar nicht funkt, einfach wieder gehen! Aber so funktioniert der Kinogang heute ja seltenst und es würde jene stören, die sich auf den Film einlassen.

An einer frühen Stelle des Films erwähnt Fred Frith in Gespräch in einer Suppenküche, er verstehe seine Musik wie der Fotograf Henri Cartier-Bresson die Fotografie als Ausruf, als Schrei. Es sei viel weniger eine Kunst als eine Art zu leben. Und um ein weit verbreitetes Missverständnis aufzugreifen: Improvisation ist keineswegs ausschließlich schräg, jazzig und atonal. Frith tritt in seiner Musik in Austausch mit seiner direkten Umgebung und der lokalen Kultur, in der er gerade ist.

„Es gibt nicht viel, was die Leute aufweckt.“ (Fred Frith)

Das haben die beiden Dokumentarfilmer Nicolas Humbert und Werner Prezel rund zwei Jahre lang begleitet und gefilmt. Dabei waren Quartettproben ebenso Bestandteil wie zufälliges Komponieren unterwegs, Reisen und Auftritte mit unterschiedlichsten Musikern und an vielfältigen Orten rund um den Globus. Das Publikum sieht Frith in Tokio, New York, Zürich, London, Leipzig.

Und weil die Filmmacher sich auf Fred Frith Art von Musizieren und Komponieren einlassen, suchen und finden sie Szenen und Sequenzen, die von der Musik inspiriert wurden und diese unterstreichen. Das kann schon mal eine Beobachtung schlafender Japaner in der U-Bahn sein oder ein im Wind wogendes Maisfeld.

Häufig aber sind Musiker im Bild zu sehen. Und es ist nicht so, dass nur weil es „Direct Cinema“ heißt und versucht spontan Geschehen unkommentiert einzufangen, der Film keine Struktur hätte. Ich wiederhole mich an dieser Stelle: auch der Dokumentar- und Experimentalfilm hat eine Erzählhaltung, ein Narrativ. Und selbstredend sind die Bildsequenzen editiert und rhythmisch aneinander gefügt.

Es gibt einige Filmsituationen, die gelegentlich wiederkehren und / oder wiederaufgenommen werden. Etwa Frith im Sessel, der die Kompositionen in –Kopf durchgeht und rekapituliert, die Proben des Quartetts oder das Gespräch in der Suppenküche. Hier redet der Musiker über sein Kunstverständnis, dass ansonsten vorgeführt und kongenial bebildert wird.

Werkzeug-Percussion beim Trommelbau

Fred Frith beschreibt den Moment als wesentlich, als er bei der Erkundung von Klang die Verbindung von Instrument (egal welchem) zur menschlichen Stimme herstellt. „As soon as you make the connection between your instrument and the human voice it transforms your idea on the funktion of music.“ Und so macht sich Frith auch keine Illusionen über die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit seiner Musik. Wenn er eine Person irritiere und zum Überlegen brächte, wäre schon einiges gewonnen. Also, zuschauen, zuhören und verwirren lassen.

Dann lassen sich auch solche Momente der Schönheit entdecken wie die Balkanmelodien, die Frith und Iva Bittová sich zuspielen, oder der Violinisten Frith auf einem Möwenfelsen, der die Schreie der Vögel nachahmt. Und ganz allmählich öffnen sich Gehör und Geist für die vermeintlich schrägen Klänge. Auch und Gerade, wenn mensch sieht, wie sie entstehen.

Wenn die große französischen Film-Zeitschrift „Cahier du Cinema“ die Musikdoku „Step Across the Border“ für einen der 100 wichtigsten Filme aller Zeiten hält (oder hielt) dürfen die Beteiligten schon Stolz sein. Und dennoch ist diese in Schwarz-Weiß gehaltene assoziative Improvisation in Klang und Szene alles andere als leicht zugänglich. Das Publikum sollte eine gewisse Neugier und offene Sinne mitnehmen um sich ergebnisoffen auf dieses Spektakel, das auch Zeitgeist spiegelt, einzulassen. Mensch muss das nicht mögen, es nervt auch mal, aber es ist sehr spannend anzuschauen. Und stellenweise überwältigend schön.

Bewertung: 9 von 10.

Step Across the Border
OT: Step Arcoss the Border
Genre: Doku, Musik, Experimentalfilm,
Länge. 90 Minuten, D, 1990
Regie: Nicolas Humbert, Werner Prezel
Mitwirkende: Fred Frith et al.
FSK: ?
Verleih: Rapid Eye Movies
Premiere: 1990
Kinostart: 19.06.2025

Wikipedia – Eintrag Step Across the Border
Fred Frith bei englischer Wikipedia (deutsch taugt nichts )
Fred Frith Website

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