Kneecap: Kenne deine Rechte

Da rennen junge Männer durch Belfast und taggen „caerta“, das irisch-gälische Wort für „Rechte“, an Bushaltestellen. Die Ordnungsmacht empfindet das eher als Vandalismus denn als Meinungsäußerung, und dann sitzt man eben ohne Dolmetscher ein in einem englischsprachigen Knast. Die Geburtsstunde der irisch rappenden Band Kneecap! So will es die Legende. Mit viel subversivem Drive und gehörigem Schub auf die Leinwand gebannt von Filmmacher Rich Peppiatt. Schon längst abgefeiert und ausgezeichnet und von Irland als Oscar-Einreichung geadelt. Zu sehen ab dem 23. Januar 2025 im Kino.

Ich erwähne es direkt gleich: In „Kneecap“ geht’s um Sprache. Und auch in der deutsch synchronisierten Version wird nur das handelsübliche Englisch übersetzt, der Rest – und das ist nicht gerade wenig – kommt untertitelt daher. Auch gestehe ich gerne ein, dass ich des Gälischen nicht mächtig bin. Nur soviel: bei den eigenwillig anmutenden Buchstabenkombis wird selten etwas so ausgesprochen wie es geschrieben wird. Kennt mensch gelegentlich von Namen wie Saoirse oder Siobhan.

Das Musikoutfit „Keneecap“ besteht tatsächlich und spielt sich im Film selbst. Ich kürze die Namen im folgenden lesefreundlich ein. Die vorgestellte Story allerdings ist für die große Leinwand und die kurze Aufmerksamkeitsspanne nervösen Partyfolks aufgepimpt, wenngleich die grobe Richtung wohl „wahre Geschichte“ ist. Nach dem Film-Debüt hat Kneecap auch ein Album am Start. Also, hinein in einen der – jetzt schon – besten Musikfilme des Jahres.

The Provisional Irish Republican Army

In Belfast vor ein paar Jahren unterrichtet JJ Ó Dochartaigh auch Irische Sprache, doch die Schüler:innen sind eher unmotiviert dabei. Hier in Nordirland ist das Gälische zwar nicht verboten, wird aber neben der Amtssprache Englisch auch nicht gefördert. Eines nachts wird JJ aus dem Bett geklingelt, weil die Polizei einen Dolmetscher braucht.

Der junge Sprayer Liam Óg Ó Hannaidh, festgehalten wegen Vandalismus, weigert sich Englisch zu reden. Nun kommt der Lehrer zu Synchronübersetzer-Ehren, versucht die konfrontative Art Liams abzumildern und steckt in einem unbeobachteten Moment dessen Notizbuch ein. Später findet JJ darin irische Songtexte und ist angetan von der Idee daraus Hip-Hop zu machen.

Legitime Ziele?

Es gelingt JJ sowohl Liam als auch seinen Kumpel Naoise Ó Cairealláin zu überzeugen, mit ihm einen Song aufzunehmen. Die Jungs glauben zwar nicht, dass das abgeht, aber Naoise fühlt sich der gälischen Sprache verpflichtet. Dessen angeblich verstorbener Vater Árlo (Michael Fassbender) war ein irischer „Aktivist“ und pflegte zu floskeln, jedes irische Wort wäre eine abgefeuerte Kugel für die irische Freiheit.

Tatsächlich kriegt der Song im Radio Airplay und die Band „Kneecap“ (Kniescheibe) ist am Start. Eher holprig und sehr zum Leidwesen von Detective Ellis (Josie Walker). Die ist hinter den partyfreudigen Drogenkonsumenten her. Und sehr zum Leidwesen der Paramilitärs, die finden, dass Drogenverherrlichung der irischen Sache schadet. Kneecap finden sich derweil auf der Überholspur wieder und nicht in einer abgelegenen Gasse.

Es ist noch gar nicht ewig her, dass in Nordirland Terror und Bombenanschläge an der Tagesordnung waren. Und noch immer ist die politische und religiöse Situation um Nordirland, das unter englischer Verwaltung steht, nicht konfliktfrei. Allerdings deutlich ruhiger, seit auch mit „dem politischen Arm der IRA“ kommuniziert wird.

Im Interview für „NochnFilm“ beschreibt der Filmmacher Rich Peppiatt die Irische Situation als kompliziert. Nicht jeder in Irland will den Norden tatsächlich zurück und nicht jeder katholische Nordire will dort hinein. Alltag findet ja statt, selbst wenn ausgerechnet zwischen Irland und Nordirland seit einigen Jahren die Grenze Großbritanniens zur EU verläuft. Politik ist überall zu finden.

„Know your Rights“ (The Clash)

Und dennoch, oder gerade deshalb, will die Jugend auch feiern und hat eigene Ansichten zu den Dingen. Die sind nicht immer gesetzeskonform und im Fall der gälisch rappenden Hip-Hopper auch mit gehörigem Konsum illegaler Substanzen verbunden, aber das Private ist und bleibt politisch. Glücklicherweise ist der Film „Kneecap“ nicht ansatzweise so nervtötend verkopft wie diese Filmbesprechung.

Wer sehen kann, gucke hin. Wer hören kann, schwinge das Tanzbein und wer fühlen kann, lasse sich mitreißen von dem anarchisch subversiven Impuls, den die jungen Musiker und der Filmmacher in „Kneecap“ entfesseln. Es gibt etliche Anspielungen und Verweise, hinreißende Szenen, aberwitzige Verwicklungen und jede Menge Wortwitz. Und genau darum geht es. Sprache als Identität und Ausdruck.

Soviel musikalische und subversive Energie war lange nicht mehr im Film. Das hat mich von der ersten Minute an mitgenommen und knallt ganz erheblich. Die Schlagzahl hochzuhalten ist dabei eine Kunst für sich und die Sleaford Mods winken mit dem Käppi. Irgendwo zwischen Glasgows Zugbeobachtern und Guys Gaunern findet das irisch rappende Trio noch Platz genug für einen verschwitzten Rave. Und jetzt alle fröhlich einstimmen: There’s gonna be a Bloodbath.“

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Kneecap
OT: Kneecap
Genre: Musik, Biografie, Komödie
Länge: 105 Minuten, IR/GB 2024
Regie: Rich Peppiatt
Schauspiel: Naoise Ó Cairealláin, Mo Chara aka Liam Óg aka Liam Óg Ó Hannaidh, DJ Próvai aka JJ aka
JJ Ó Dochartaigh, Michael Fassbender
FSK: ab 16 Jahren
Verleih: Atlas Film
Kinostart: 23.02.2024

offizielle Bandseite
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Offizelle Filmseite

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