Mit seinem vierten Studioalbum „Mercy“ lotet der norwegische Sänger, Gitarrist und Songschreiber Torgeir Waldemar uramerikanische Klangwelten aus. „Mercy“ erkundet rein akustisch instrumentiert die melodiöse Schönheit grasswurzeliger Country- und Folk-Klänge. Gemeinhin nennt sich sowas Americana und diese Sounds liegen vielen Skandinaviern ohnehin irgendwie im Blut, Torgeir aber hat‘s zur Meisterschaft gebracht. „Mercy“ ist am 6. September 2024 bei Jansen Records erschienen.
Die Frage stellt sich: „Wohin soll ich meinen Schatten werfen?“ Und dennoch würden nicht viele Barden, also Dichter und Sänger (nicht nur im Keltischen), die Frage so formulieren. Torgeir Waldemar etabliert mit der Orientierungslosigkeit, wo er denn der Sonne im Weg stehen soll, direkt eine Sehnsucht, eine Wandervogel-Rastlosigkeit, die weite Teile amerikanischen Musikzierens befeuert. Selbstredend ist (im Lied) noch jemand gegangen, der möglicherweise wiederkommt. Traurig aber mag das lyrische Ich nicht mehr verweilen; an Orten, die es schon kennt.
Im Blues würde sich der Hobo nun auf einen Güterzug durch den Kontinent hüpfen und den klackernden Rhythmus der Schienen intonieren. Torgeir Waldemar nun wieder zupft schöne melancholische Akkorde während er zu Fuß durch die Appalachen streift. Und der Ton ist gesetzt für ein wunderbares Album und elf Kompositionen, die sich in Sound, Lyrik und Emotionen in der ländlichen Einsamkeit hart arbeitender Leute von Begegnung zu Begegnung, von Lagerfeuer zu Lagerfeuer schlendern.
„Where to throw my shadow i don’t know.“
Ich kann nun nicht behaupten, dass ich Country und Americana häufig auf der Speisekarte habe, wenn dann bewegt es sich an den knarzigen, bluesigen oder rockigen Rändern. Mit der Violine komme ich in klassischem Musikkontext besser zurecht als in der Folklore, da geht es mir zu häufig in Richtung Katzenjammer. Auf „Mercy“ allerdings nicht, muss fairer Weise angemerkt werden. Ich bin mir sicher, mit anderer akustischer Instrumentierung hätte ich noch mehr Freude am Album gehabt. Aber es ist was es ist, und andere Leute hören anders.
Oft melancholisch, immer melodiöse und immer subtil und intim instrumentiert. Das ist schon sehr bezirzend. Und klappt über die 44 Minuten des aktuellen Albums ganz hervorragend. Die Akustikgitarre wird immer mal wieder von einer Geige begleitet, gelegentlich kommt noch was Perkussives dazu. Vorab wurde 2022 bereits Dover“ als Single ausgekoppelt, auch um die Zeit zwischen Love“ (2020) und „Mercy“ (2024) zu überbrücken.
Mit „Love and Mercy“ hat es folgende kurz erwähnte Bewandtnis. Brian Wilson, seines Zeichens Kopf der Beach Boys hat auf einem späteren, hochgelobten Soloalbum einen Song „Love and Mercy“ betitelt. Die beiden, Liebe und Barmherzigkeit, gehören zusammen und bilden nicht nur den Titel einer sehenswerten Spielfilmbiographie über Wilson, sondern haben als Lied auch Torgeir Waldemar inspiriert.
„Will you come back tomorrow – to this place that i already know.“
Die vier Jahre auseinanderliegenden Alben des Norwegers nun aber als Doppelalbum zu begreifen wäre Blödsinn. Gleichwohl komplementieren sie sich gegenseitig. Während „Love“, welches das dritte Soloalbum Waldemars erstaunlich ausufernde Rock-Songs präsentiert, die immer wieder von Zwischenspielen ergänzt werden, ist auf „Mercy“ die kompositorische Form kompakt. Der Schwerpunkt liegt auf melodiösen, melancholischen und intimen Songs, instrumentiert in ihrer (fast) spärlichsten Form.
Zuvor hatte Torgeir Waldemar, der als Gitarrist auch Mitglied der heavy bluesigen Band „The Devil and the Almighty Blues“ ist, bereits zwei feine und in Norwegen hochgelobte Solo-Alben veröffentlicht. Nach dem Debut 2014 folgte 2018 „No offending Borders“, beide Alben beinhalteten sowohl elektrisch wie akustisch instrumentierte Songs. „Love“ und „Mercy“ sind da wohl einfach nur trennschärfer inszeniert. Ach, und fast habe ich das gerade im April erschienenen Live-Album „At The Opera“ vergessen. Der Höreindruck bei Bandcamp zeugt von einer tollen Nacht in der Osloer Oper.
„How to Rest my Sorrows on the Road. Down i go.“
Zurück zu „Mercy“: Opener „To Throw a Shadow“ ist großartig. „Dover“ kommt mit Banjo knackig und etwas bluegrass-lastig rüber, „Traces of Lust“ transportiert überschwängliche Lebensfreude, „For no Reason at All“ die Katerstimmung nach der Party.
„Death crept upon me“ ist eine melancholische Ballade, „The Road to Evermore“ kommt wieder etwas lebenslustiger daher, „Vibration of Strings“ ist recht klassisches Country-Musizieren, „Cracking Lacquer“ kommt bluesig rüber, „Big Wave“ schrammelt beinahe folk-punkig über die Saiten. „Way you make me Feel“ ist ein hübsches Liebeslied und bei „Remedy Pt. II“ frag ich mich, wo der denn der erste Teil ist? Ein feiner balladesker Ausklang für ein stimmiges Album, von klassischer Schönheit.
Soviel Sehnsucht musst du erstmal aushalten. Auf „Mercy“ zelebriert Torgeir Waldemar die akkustischen Klänge des rootsigen Coutry. Das sind sehr schöne Songs, die sicherlich auch in der Rock Hose knackig sitzen, aber die mit Westerngitarre und Fiedel hinreißend ans Lagerfeuer passen. Ich weiß das zu goutieren, aber die Folk-Fiedel ist wirklich nicht so mein Instrument. Wer da weniger Propfen auf den Ohren hat, wird mit wunderbaren Songs belohnt, die das variantenreiche Gesamtwerk Torgeir Waldemars um eine Spielart ergänzen und das „Love“ Album mit „Mercy“ ergänzen.
Album Wertung (7 / 10)
Torgeir Waldemar: Mercy
Gene: Country, Folk,
Länge: 44 Minuten, 11 Songs, N, 2024
Interpret: Torgeir Waldemar
Label: Jansen Records
Format: Vinyl, Digital,