Maxim Leo: Junge aus West-Berlin: Beton auf Wolken

Der 18. Band der von Kat Menschik illustrierten und kuratierten Reihe „Illustrierte Lieblingsbücher“ erzählt eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte im letzten Sommer der Teilung. Die Erzählung von Maxim Leo macht die Zeit wieder lebendig, die Illustrationen von Kat Menschik machen das Buch zu einem Hingucker und die hochwertige Ausgabe des Galiani Verlag macht den Band 18 der „Illustrierten Lieblingsbücher“ zu einem Sammelobjekt. Zu haben, zu lesen und zu gucken rechtzeitig zum 35. Jahrestag der Maueröffnung seit dem 5. September 2024 auch als E-Book, aber vor allem als Hardcover.

Marc kommt Anfang der 1980er Jahre aus der süddeutschen Provinz zum Studieren nach West-Berlin. Damals ist Deutschland noch in zwei Staaten geteilt und durch Berlin verläuft eine Mauer als Staatengrenze. West-Berliner können mit Tagesvisum relativ problemlos in den Osten reisen. Und Ost-Berlin hat es Marc schnell angetan.

Während er sich im Studium fremd und einsam vorkommt und statt dessen jobbt, beginnt er Ausflüge in den Ostteil der Stadt zu unternehmen. Der „Junge aus West-Berlin“ findet in und um Prenzlauer Berg schnell Anschluss an interessante und aufgeweckte Leute und beginnt seinen Besucherstatus aus dem „wohlhabenden Westen“ zu genießen. Marc verwandelt sich von einem introvertierten Mauerblümchen zu einem Star. Dann lernt er im Sommer ‚89 Nele kennen und die beiden verlieben sich.

„Du interessierst dich für Flugzeuge?“ „Nein, für’s Reisen.“

Es scheint als wäre Maxim Leos kurze Erzählung (oder ist das noch eine Kurzgeschichte?) extra für diese Ausgabe entstanden. Anders als viele andere Titel der Reihe „Illustrierte Lieblingsbücher“. Zumindest ist meine Recherche da nicht weitergekommen. Die Story erzählt von einer Liebe zwischen Ost und West. Doch es gibt einen Haken. Der „Junge aus West-Berlin“ hat sich im Osten neu erfunden. Dem Mädchen aus Ost-Berlin wär’s wahrscheinlich egal, wüsste sie darum.

Doch in den gegen einander gestellten persönlichen Erinnerungen der beiden an die Zeit und die Liebe findet sich immer im Miteinander auch ein Aneinander vorbei. Das ließe sich durchaus auch als erinnernden Kommentar zur damaligen Lage verstehen, aber das mag jede:r selbst lesen. Die Brechungen und Spiegelungen in der kurzen, scheinbar schlichten Gesichte scheinen mir jedenfalls ganz außerordentlich und sind stark geschrieben.

Ebenfalls kraftvoll sind die Illustrationen von Kat Menschik („Kalevala“), die konzeptionell in diversen Grautönen gehalten sind, die eine Stadt ausmachen. Beziehungsweise eben nicht irgendeine Stadt, sondern das Ost-Berlin in den 1980er Jahren. Kontrastierend und belebend sind rosa-farbige Elemente eingearbeitet. Die stehen laut Illustratorin für die Liebe. Und je nach Motiv und Situation ist der Anteil des Rosa in den seitenfüllenden, zum Teil kollagenartig konzipierten Illustrationen pointiert oder überbordend.

„Man kann nicht ewig fliegen.“ „Doch.“

Das unterscheidet sich in Stimmung, Flair und Lebensgefühl schon sehr von jenem 20er Jahre Berlin, das in einer der Geschichten in dem Illustrierten Lieblingsbuch „Asta Nielsen: im Paradies“ (Band 15 der Reihe) in flüchtiger Sommerlichkeit zu bestaunen ist. Bereits der Abdruck des DDR-Einreise-Stempels auf dem Einband des aktuellen Hardcovers verdeutlicht die Schwere der Situation. Umso hinreißender in diesen Seiten Leichtigkeit, Urbanität und Freiheit zu finden. Gestohlene Momente, die Hund und Katze nicht vermissen, in denen Falter und Vorhänge bei märchenhaften Ausflügen tanzen.

Die beiden Kreativen Kat Menschik und Maxim Leo sind ähnlich alt und beide unabhängig voneinander in Ost-Berlin aufgewachsen. Möglicherweise sorgt die dergestalt ähnlich sozialisierte prägende Phase dafür, dass „Junge aus West-Berlin“ so einzigartig geworden ist. Auf jeden Fall ist Band 18 der „Illustrierten Lieblingsbücher“ ein Glanzlicht, der an strahlenden Momenten nicht eben armen Buchreihe, von der der Verlag behauptet, sie gehöre „zu den schönsten der Welt“. Genug der Lobhudelei.

Die „Illustrierten Lieblingsbücher“ sind schon eine außergewöhnliche und eine außergewöhnlich schöne Buchreihe. Mit dieser Liebesgeschichte wird die Buchreihe volljährig und aus diesem Anlass vielleicht ein wenig persönlicher als bei anderen Titeln der Reihe. Die Story ist zwar vermeintlich schlicht, bietet aber kluge Einsichten in vergangene Befindlichkeiten. Die Illustrationen sind ebenso typisch wie individuell und vermitteln mit ihrer Farbigkeit viel Zeitgeist und Aufbruchsstimmung. Selten war Stadtgrau so pitoresk, selten war Erinnerung so erhellend. Sehr, sehr schön.

Maxim Leo: Junge aus West-Berlin
Band 18 der Reihe Illustrierte Lieblingsbücher
Autor: Maxim Leo
Illustratorin: Kat Menschik
ISBN: 978-3-86971-304-5
Format: Hardcover, digital
Verlag: Galiani Verlag, 80 Seiten
VÖ: 05.09.2024

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