Die Frage, ob die Verfilmung eines Fotobandes als „Literaturverfilmung“ durchgeht, bleibt letztlich akademisch. Regisseur Jeff Nichols war es schon lange ein Anliegen aus Danny Lyons legendärem Fotoband „The Bikeriders“ einen Film zu machen. Der kommt nun am 20. Juni 2024 mit Tom Hardy, Austin Butler und Jodie Comer in den Hauptrollen in die Kinos. Dann startet schon mal den Motor.
Im Grunde lernt Kathy (Jodie Comer) ihren Benny (Austin Butler „The Shannara Chronicles„) nur kennen, weil sie einer Freundin einen Gefallen tut. die ist nämlich mit einem Motorradfahrer verabredet und traut sich nicht alleine in die Bar, in der die „Vandals“ in Chicago abhängen. Kathy ist mehr als skeptisch und abgetörnt von den anzüglichen Bemerkungen und den Altöl-fleckigen Handabdrücken auf ihrer weißen Hose. Seltsam auch der Kauz, der ihr versichert, dass sie keine Angst haben müsste.
Das ist sowieso egal, als sie Benny am Billiardtisch gelehnt sieht. Kathy ist auf der Stelle verknallt und die ungelenke und direkte Einladung zu einer Spritztour hat dann ihren Charme. Kathy hat noch eine lahme Beziehung, aber Benny ist hartnäckig und bald sind die beiden ein Paar. In der Folgezeit lernt die junge Frau den Motorrad Club „Vandals“ besser kennen, findet raus, dass der Kauz von ersten Abend der Präsident und Gründer Johnny (Tom Hardy „The Drop“) ist. Sein Wort gilt und die Clubmitglieder sind loyal. Die „Vandals“ sind Familie.
„Fäuste oder Messer?“ (Johnny)
Da bleibt Rivalität zwischen Johnny und Kathy nicht aus, denn die Unternehmungen der Vandals werden immer umfangreicher und sind nicht immer gesetzeskonform. Benny ist unangepasst und Johnny sieht in ihm einen Nachfolger, während Kathy fürchtet, dass ihr Liebster an der unbedingten Loyalität zerbricht. Und die Zeiten ändern sich.
„The Bikeriders“ basiert auf dem gleichnamigen Fotobuch von Fotograf, Journalist und Dokumentarfilmer Danny Lyons, der in den 1960ern selbst Mitglied in einem Chicagoer Motorradclub war. Zusätzlich zu den Fotos hat Lyons, der im Film von Mike Faist („Challengers“) dargestellt wird auch Mitglieder und deren Frauen interviewt. Anfang der 1970er Jahre redete er erneut mit den Protagonisten, um die zwischenzeitlichen Veränderungen zu dokumentieren.
In Jeff Nichols („Mud“, Take Shelter“) Film wird die Foto-Reportage lebendig und es ist den großartigen Darstellern und der überzeugenden zeitgenössischen Ausstattung zu verdanken, dass das Biker-Milieu so überzeugend rüberkommt. Darin liegt auch viel Nostalgie auf der Suche nach dem amerikanischen Traum. Die Freiheit, wenn auf dem leeren Highway der Fahrtwind einem auf dem Motorradsitz ins Gesicht weht, ist ein sehnsuchtsvolles Motiv.
„Schön, ein paar richtige Mistkerle kennenzulernen.“ (Funny Sonny)
Doch das actiongeladene, testosteron-befeuerte Drama braucht einen emotionalen Kern. Der ist mit der Liebe von Kathy und Benny gegeben. Dadurch, dass die vermeintlich naive Kathy die Rolle der Erzählerin übernimmt, bekommen die Geschehnisse einen anderen Zusammenhang. Da schwingt Sorge ebenso mit wie Begeisterung. die Hin- und Hergerissenheit der Ehefrau, die den Rebellen liebt, ihn aber gerne öfter um sich hätte, statt ihn mit den Jungs teilen zu müssen. (Wer wie der Rezensent gerne OmU guckt, darf sich auch am hinreißenden Akzent der Villanelle-Darstellerin aus der Kult-Serie „Killing Eve“ freuen.
Das Biker-Milieu ist spätestens seit dem Serienerfolg von „Sons of Anarchy“ ein Tummelplatz für Dramen Shakespeare‘schen Ausmaßes. Dabei steht der Bikerfilm immer mit einem Bein in der Klischeegrube und mit dem anderen in der Gewalt-und Verbrechensverherrlichung. Ähnliches ließe sich auch über „Hell Ride“ oder „Made of Steel – Hart wie Stahl“ sagen.
Möglich auch, dass die in den 1970ern eindeutig zunehmende kriminelle Energie vieler Motorrad Clubs, die nachweislich zu einer Verrohung und Zunahme menschenverachtenden Gewalt in der organisierten Kriminalität geführt hat, in den USA zunächst als direkte Folge des Vietnam-Krieges empfunden wurde. so zumindest das Narrativ in „The Bikeriders“ wie auch in vielen anderen Biker-Filmen. Die Fotovorlage ist ein typisches Zeitdokument und erinnert in der Stilistik der Fotos nicht von ungefähr an die Polaroids von Dennis Hopper, der seines Zeichens in „Easy Rider“ mitwirkte.
„Wenn einer ne Idee hat, sollte ich das sein.“ (Johnny)
Danny Lyons Art von „Neuem Journalismus“ mündet schließlich im Gonzo-Journalismus eines Hunter S. Thompson, der sich ebenfalls mit Motorrad Clubs beschäftigt hat. Seine lesenswerte literarische Reportage „Hells Angels“ (Deutsch 2004 bei Heyne) entstand und erschien quasi parallel zu „The Bikeriders“ und kommt zu ähnlichen Beobachtungen und Milieustudien.
Der krasse Widerspruch von unbedingtem Gehorsam, strenger Hierarchie und alttestamentarischem Regelwerk zur Idee der individuellen Freiheit bleibt bestehen und lässt sich nicht auflösen. Möglicherweise verhält es sich wie mit Zen Buddhismus und für Adepten gibt es keine inneren Widersprüche.
Autor Tom Robbins hat seinen Roman „Jitterbug Perfume“ (deutsch: „Pan Aroma“) mit dem Satz begonnen: „Ein ukrainisches Sprichwort warnt: Eine Geschichte, die mit einer Rote Bete anfängt, endet mit dem Teufel.“ Abwandelnd lässt sich über Biker-Filme vielleicht sagen, was mit dem Motorrad beginnt, endet in Gewalt.“
„The Bikeriders“ erzählt aus dem goldenen Zeitalter der Motorradclubs in den 1960er Jahren. Der Sehnsucht nach Freiheit, dem Traum von Selbstbestimmung und dem Highway dorthin. Das ist großartig besetzt und packend anzusehen. Bis der Traum ausgeträumt ist. Die Männerdomäne Biker Gang bekommt mit Cathys Erzählperspektive eine ungewohnte Perspektive, was der Angelegenheit gut zu Gesicht steht. Das macht schon Spaß.
The Bikeriders
OT: The Bikeriders
Genre: Drama, Action
Länge: 116 Minuten, USA, 2023
Regie: Jeff Nichols
Darsteller:innen: Jodie Comer, Tom Hardy, Mike Faist, Austin Butler
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: universal Pictures International
Kinostart: 20.06.2024