Demnächst kommt der japanische Vieldreher Sion (oder Shion) Sono mit seiner abstrusen Mangaverfilmung und Hip-Hop-Oper „Tokyo Tribes“ in die Kinos (VÖ: 16.07.2015). Grund genug nochmal auf dessen Meisterwerk „Love Exposure“ hinzuweisen, das zwar erst von 2008 ist, aber in der Filmographie des japanischen Regisseurs schon 13 Filme her ist. Vieles aus Sonos Werk bekommt man hierzulande nicht mal auf Festivals zu sehen, aber “Love Exposure“ schaffte es seinerzeit trotz vierstündiger Spielzeit auch bei uns in die Kinos, nachdem der überbordende Film die Berlinale gerockt hat. Wird eigentlich Zeit, den Film auch mal auf Blu-ray zu veröffentlichen.
Die Grundstory ist simpel, sagt aber absolut wenig über den Film aus: Der Jugendliche Yu (Takahiro Nishijima) Honda wächst in Japan in einem christlichen Haushalt auf. Als die Mutter stirbt, lässt sich der Vater zum Priester weihen. Fortan entzieht er sich seinem Sohn immer mehr und die einzige Möglichkeit des Sohnes, die Aufmerksamkeit seines Vaters zu bekommen, ist die Beichte. Nur hat Yu nichts zu beichten, also denkt er sich etwas aus, bis er sich entschließt, wirkliche „Sünden“ zu begehen. Da vor allem sexuelle Entgleisungen beim Vater gut ankommen, beginnt Yu Höschen zu fotografieren. Darin entwickelt er eine wahre Meisterschaft, nachdem er einen Lehrmeister trifft, der ihn unterweist.
Aber im Grunde ist Yu nur auf der Suche nach der Liebe seines Lebens. Als diese ihren wunderbaren Auftritt hat, kommt es dann doch eher ungelegen: Yu rennt aufgrund einer verlorenen Wette in Frauenkleidern durch die Gegend und die Angebetete, Yoko (Hikari Mitsushima), stellt sich auch noch als Zögling seiner angehenden Stiefmutter heraus, außerdem hat sich Yoko in die fremde Frau verliebt, als die Yu gerade herumrennt. Fortan versucht Yu Yokos Liebe zu gewinnen, doch das will nicht gelingen.
Zu allem Unglück hat auch noch ein anderes Mädchen ein Auge auf Yu geworfen: Die listenreiche Koike (Sakura Andô), die eigentlich im Auftrag einer christlichen Sekte dabei ist, neue Mitglieder zu rekrutieren. Unerbittlich treibt sie einen Keil zwischen Yu und Yoko und mit der Zeit zieht sie den Vater, dessen Geliebte und Yoko in den Bann der Sekte. Yu und seine Freunde müssen etwas unternehmen und die Suche des jungen Mannes nach seiner wahren Liebe wird zu einer modernen Odyssee.
„Love Exposure“ (OT: „Ai no mukidashi“) bewegt sich bildlich und thematisch auf für Europäer verstörendem Terrain, Dabei setzt die unschuldige Erzählperspektive des Erzählers Yu allerdings sämtliche Absurditäten ins rechte Licht und offenbart eine sympathische, jugendliche Getriebenheit, Die ist auch nötig, um das Gefüge aus Religiosität und Verblendungen, Liebe und Perversion, Kampfkunst und Wahrheitssuche, Wahnsinn und Verwirrung zugänglich zu machen. Über allem, was übersteigert und oft aberwitzig, aber stets fesselnd und extrem kurzweilig in Szene gesetzt wird, liegt diese Aura der jugendlichen Wahrhaftigkeit. Und die Romantik einer modernen Liebesgeschichte.
Filmmacher Sion Sono scheut sich nicht, seinen Helden auf eine Irrfahrt mit sehr modernen Stationen zu schicken und kennt dabei weder Scheuklappen noch Genregrenzen. Es gibt ein Nebeneinander von Gebet und Splatter, Anmut und Abartigkeit, es gibt Wahnsinn und es gibt Erlösung. Tempowechsel gehören zum Programm. Rasante Schnitte und harmonische Ruhe sind das Ying und Yang dieses Epos magnus. Reminiszenzen an Martial Arts- und Samurai-Filme werden ebenso leichtfüßig eingewoben wie popkulturelle Anspielungen und japanische Fetische wie eben jene besagten Höschen. Und genau das macht den Reiz des Films aus.
Wie Jim Jarmusch irgendwann mal gesagt hat, gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Geschichten, wichtig ist daher, wie man sie erzählt. Sion Sono, der mit seinen inzwischen 54 Jahren noch immer ein absurdes Drehpensum erfüllt, legt mit „Love Exposure eine mutige Vision vor, die auf der Berlinale 2009 zu Recht gefeiert und geehrt wurde. Fast bedauert man es, dass man nicht die sechsstündige Rohfassung des Films zu sehen bekommt, aber die Dokumentation der DVD enthält noch zusätzliche Szenen für jene nimmersatten Filmverrückten.
„Love Exposure“ ist in seiner Themenfülle ebenso einzigartig wie in seinem unglaublichen Fließen, das die vier Stunden des Films wie im Flug vergehen lässt. „Love Exposure“ ist ein Meilenstein und ein Meisterwerk.
Film-Wertung: (10 / 10)
Love Exposure
OT: Ai no mukidashi
Genre: Drama, Fantasy, Experimatal
Länge: 236 Minuten. J. 2008, OmU
Regie: Sion Sono
Darsteller: Takahiro Nishijima, Hikari Mitsushima, Sakura Andô
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Rapid Eye Movies
Kinostart: 13.08.2009
DVD VÖ: 05.02.2010