Die Nächte des Saturn: Im Sternenbild der Melancholie

Saturnus, der römische Gott nach dem der Planet benannt ist, floh nach seiner Entmachtung mit seiner Gefährtin aufs Land. So zumindest ein Teil der mythologischen Legende. Dies mag den französischen Comic-Künstler Pierre-Henry Gomont bewogen haben, seine Krimi-Adaption nach Marcus Maltes Roman entsprechen auszuloten. Saturn ist ansonsten eher für seinen schlechten Einfluss bekannt. Nachzulesen in der Graphic Novel „Die Nächte des Saturn“, die jüngst beim findigen Comic Verlag Schreiber & Leser veröffentlicht wurde.

Strafvollzug ist eine eigenwillige Sache. Nicht jede:r der oder die einfährt kommt als besseres Wesen wieder heraus. Clovis beispielsweise war eigentlich kein schlechter Mensch, eher Idealist auf Abwegen. Nun kommt er nach langer Zeit aus dem Knast und hat nur Rache im Sinn. Die Besserungsanstalt hat ihre Wirkung verfehlt.

Clovis ist auf der Suche nach seinen Komplizen, die ihn damals auffliegen ließen, als ein linksextremer Terrorist außer Landes gebracht werden sollte. Der Knasti besucht Charles, den Organisator des Fluchtplans, und verlangt Infos zu jenem Faber, der die Sache damals verraten hat.

Faber soll angeblich einen Nachtclub betreiben, doch dort will niemand was wissen. Stattdessen begegnet Clovis der jungen Bedienung Cesaria. Die ist schockverliebt und trifft den lauernden Clovis nach Feierabend auf dem Parkplatz wieder. Sie hilft ihm und er begehrt sie, bis Clovis merkt, dass er sich mit einer Transfrau eingelassen hat. Er lässt sie sitzen. Doch er kommt ohne ihre Hilfe mit seinem Racheplan nicht voran. Cesaria versucht ihm die Angelegenheit auszureden. Eins kommt zum anderen. Irgendwie passt nix so richtig und irgendwie ist alles so wie es sein muss. Fatale Angelegenheit.

Im Genre um das Verbrechen liegt die gebrochenen Sehnsucht immer in der aussichtslosen Beziehung des Gauners zur Dirne. Bisweilen auch in Variationen: Der Bulle und das Mädchen etwa, oder der Killer und der Junkie. Und gleich neben dem Klischee liegt das Funkelnde in der Gosse. Jemand muss es nur erkennen. So wie der Autor Marcus Malte, der 1998 einen Kriminalroman über einen rachsüchtigen Knasti und eine Transe schrieb. „Carnage, constellation“ ist hierzulande wie alle anderen Werke von Marcus Malte nicht verlegt worden.

„Sie nennt sich Cesaria. Sie findet den Namen cool.“

Der Roman hat aber dem Comic-Künstler Pierre-Henry Gomont zu einer Adaption inspiriert. Diese ist in Frankreich bereits 2015 erschienen und mit einem Preis als bester Krimi-Comic ausgezeichnet worden. Nun kann sich die geneigte Leserschaft lang und breit wundern, warum die wunderbare Story erst jetzt veröffentlicht wird, oder den umsichtigen Comic Verlag Schreiber & Leser beglückwünschen. Denn von Pierre-Henry Gomont sind dort bereits 2 Bänder der Serie „Die neuen Russen“ veröffentlicht worden, an der Gomont aktuell arbeitet. Scheinbar mit einigem Erfolg. Da der Boden nun bereitet ist, das Interesse an Künstler und Werk geweckt, kommt diese Perle aus dem Backkatalog zum Vorschein. Aber genug von der vermeintlichen teutonischen Comic-Ignoranz und der literarischen Hintergrundbetrachtung.

Faszinierend von der ersten Seite an ist „Die Nächte des Saturn“ sowohl als Geschichte als auch als Bebilderung. Für die Geschichte mag weitgehend der vorliegende Roman verantwortlich sein, wenngleich ich mit vorstelle, dass Gomont an der Erzählhaltung, und an der Gewichtung von Romantik und Verbrechen justiert hat, so wie das auch ein Drehbuch zu einem Film tun würde. Nicht jeder Satz ergibt ein gutes Bild.

„Exotisch und feminin. Sinnlich und Rätselhaft. Cesaria“

Und die Bilder in „Die Nächte des Saturn“ sind einfach schön. Und sie sind für eine Graphic Novel in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich. Zum einen wird nicht mit einem strengen Panelmuster und Seitenaufbau erzählt, sondern expressionistischer und weitgehend filmisch. Mit Blickführung durch unterschiedliche Perspektiven und unterschiedlich große Panels. Was zu einer sehr fließenden Erzählweise führt. Und dann nimmt Pierre-Henry Gomont den Aquarellpinsel um seine skizzenhaft umrissenen Charaktere zum Leben zu erwecken. Und wie so oft sind es die Farben, die Schattierungen, Nuancen und Stimmungen, die ein Szenario zum Leben erwecken.

Pierre-Henry Gomont versteht es meisterhaft die unterschiedlichen, zumeist düsteren Lichtqualitäten durch eine Szene hindurchzutragen. Das gibt immer auch die Realität wieder, die neongrelle Nachtclubbeleuchtung, das nächtliche Blau oder einen Sommertag im Tal. Aber auch das Sepiabraune der Erinnerung, das Grelle eines Gefühlsausbruches. Die rotstichige Bedrohung einer Wut unterscheidet sich von dem flammenden Farbton der Leidenschaft.

„Der Regen hat aufgehört. Alles ist feucht und weich. Bedrückt. Besiegt.“

Und dann nimmt diese fatale Geschichte immer wieder Wendungen, die die Leserschaft zu überraschen vermögen. Das ist schon beachtlich, auch weil die Geschichte vor ihrem historischen Hintergrund eindeutig zeitlich zu verorten ist und mit der Gegenwart im Grunde wenig Berührungspunkte hat. Als Malte die Story schrieb, war sein Antiheld Clovis fast noch ein Zeitgenosse.

Die Terrorismuswelle der späten 70er Jahre hat ihn in den Knast gebracht, möglicherweise war die Haft lang, so dass Leser Ende der 1990er Jahre noch einzuordnen wussten, dass jener Clovis kein Krimineller im verbrecherischen Sinn war. Auch Cesaria mag in der in der damaligen Gesellschaft einen anderen Platz eingenommen haben als in der heutigen, in der Diversity zumindest gepredigt und bisweilen vorgelebt wird. Für eine heutige Leserschaft ergeben sich so wahrscheinlich andere Bezugssysteme, und dennoch strahlt die Liebesgeschichte von Cesaria und Clovis in ihrer „aussichtslosen Leidenschaft“. „Alles tropft, fließt, leckt.“

Der Planet Saturn hat eine geringe Dichte. Er würde in einem irdischen Meer theoretisch schwimmen. Das Paar in „Die Nächte des Saturn“ hingegen scheint dem Untergang geweiht. So melancholisch düster und fatal romantisch war schon lange keine Kriminalgeschichte mehr. Oder war schon lange keine Romanze mehr so kriminell finster? Die Leserschaft muss dem Verlag dankbar sein, dass die ausgezeichnete Graphic Novel nun auch auf Deutsch erscheint.

Comic-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Die Nächte des Saturn
OT: Les Nuits de Saturne, Sarbacane, 2015
Genre: Graphic Novel, Thriller, Romanze
Illustration & Adaption: Pierre-Henry Gomont
Vorlage: Kriminalroman „Carnage, Constellation“ von Marcus Malte (1998)
Übersetzung: Resl Rebiersch
Korrektorat: Pit Kannapin
ISBN: 978-3-96582-167-5
Verlag: Schreiber & Leser, gebunden, 160 Seiten
VÖ: 09.04.2024

Nächte des Saturn bei Schreiber & Leser

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