Die Purpurnen Flüsse –Staffel 4: Geschlossene Gemeinschaften und Übergangsrituale

Der grimmige Commissaire Niémans und seine rothaarige Assistentin Camille ermitteln wieder in bizarren Mordfällen. Nachdem die vierte Staffel „Die purpurnen Flüsse“ nach Ideen von Thrillerautor Jean-Christophe Grangé zunächst als ZDF Montagskino ausgestrahlt wurde, hat Edel Motion die vier Thriller Mitte Dezember 2023 für das Home-Entertainment veröffentlicht.

Regelmäßige Leser kennen das. Zunächst gibt es bei der Vorstellung länger laufender Serien einleitende Bemerkungen. Wer die nicht benötigt, kann die kommenden beiden Absätze überspringen und mit den Inhalten der vierten Staffel weiterlesen. „Die purpurnen Flüsse“ ist ein Serienformat, das Quereinsteigern freundlich gesinnt ist. Jeder spielfilmlange Fall ist eine eigene Ermittlung, die ohne Vorwissen funktioniert. Denn Commissaire Niémans (Olivier Marchal) und Lieutenant Camille Delauny (Erica Sante) arbeiten landesweit an Kapitalverbrechen, bei denen die lokale Polizei überfordert ist.

Die französisch-deutsch-belgische Koproduktion „Die purpurnen Flüsse“ basiert auf einen Thriller-Roman des französischen Bestseller-Autors Jean-Christophe Grangé. Der machte daraus auch selbst das Drehbuch zu einem erfolgreichen gleichnamigen Film (2004) mit Jean Reno und Vincent Cassel in den Hauptrollen. Es folgte ein weiterer, weniger erfolgreicher Film nach einem Original-Drehbuch von Grangé. 2018 kam dann die Serie „Die purpurnen Flüsse“ ins Fernsehen. Mit Olivier Marchal als Commissaire Piere Niémans. Anfangs sorgte J-C Grangé noch für Originalskripte, in den weiteren Staffeln lieferte der Autor nur noch die Storyideen, die dann von Drehbuchautor:innen umgesetzt wurden. So auch in der aktuellen vierten Staffel.

Bei brutstatt.de wurden die vorangegangenen Staffeln vollständig vorgestellt. Die Ermittlungen der Sondereinheit des „Zentralbüros für Gewaltverbrechen“ kommen immer dann zum Zug, wenn es in Frankreich besonders verstörende Verbrechen gibt. In Frankreich wird das Serienformat in acht Episoden ausgestrahlt, jeweils zwei ergeben einen Fall. Das ändert sich auch in der aktuellen Staffel nicht. Die deutsche TV-Ausstrahlung und auch die Home-Entertainment-Veröffentlichung behalten die Original-Reihenfolge der Folgen bei.

Die vierte Staffel

Das Publikum sollte nicht alles glauben, was ihm vorgesetzt wird. So bewirbt Edel die Staffel unter anderem mit dem Satz „Temperamentvoll und unzertrennlich ermitteln die beiden…“. das stimmt nur bedingt, denn Camille erreicht während der ersten beiden Ermittlungen, die Grenze dessen, was sie an Abscheulichkeiten zu ertragen bereit ist. Doch dazu später mehr. Es geht in Staffel Vier von „Die purpurnen Flüsse“ um einen verunglückten Schulbus, tote Kunststudenten, ein gewagtes Strafvollzugsexperiment und um Ritualmorde in der Voyeurs-Szene. Genug bizarre und mysteriöse Fälle also um das Ermittler-Duo in sehr abgelege Regionen Frankreichs zu führen.

„Der Hyänenmann“ (OT „Kovenkore“)

In einem Bergdorf kommt es zu einem Busunglück. Ein Schulbus wird von einer Bahn gerammt und die Kinder sterben. Der Busfahrer wird zum Sündenbock der aufgebrachten Eltern, obwohl der Bus von einem mysteriösen Täter zum Stehen gebracht wurde. Niémans und Camille wissen nicht, wo sie mit ihren Ermittlungen ansetzen sollen. Dorfpolizist Michael (Baptiste Sormin) fühlt sich geehrt mit dem prominenten Polizisten zusammenzuarbeiten.

Dann wird ein wohlhabendes Ehepaar getötet, die immer wieder farbige Geflüchtete ausgebeutet haben. Vor ein paar Jahren geschah in deren Wald auch ein Mord, den ein Afrikaner begangen haben soll. Der ist nun jüngst aus dem Gefängnis entlassen worden und wird daher schnell zum Hauptverdächtigen. Das heizt die Wut der Dorfmeute an.

„Eine Bestie? Sag Bescheid, wenn wir irgendwann mal eine normale Ermittlung haben.“(Camille)

Das Drehbuch zu „Der Hyänenmann“ stammt von Olivier Prieur. Die Dörfler sind ein gebeuteltes Häufchen, das in ärmlichen Verhältnissen lebt. Und die persönliche Katastrophe, ein Kind verloren zu haben, sorgt für bedrückende Atmosphäre. Dazu sind winterkalte Landschaftsbilder und die karge Unterbringung von Camille und Niémans in einem leerstehenden Landschulheim die stimmungsmäßig zu erwartenden Zutaten. Regisseur David Morley ist thriller-erfahren und führt auch in der zweiten Episode Regie. Dennoch kommt „Der Hyänenmann“ nur serientypisch aber souverän daher. (6/10)

„Die Kunst des Todes“ (OT: „Anima Obscura“)

In einer abgelegenen Kunstakademie wird eine Studentin tot aufgefunden. Der Mörder hat sie wie ein Akt-Modell drapiert und die Tote mit Firnis überzogen. Außerdem hat er (oder sie?) das Opfer mit dessen eigenem Blut gemalt. Als Camille und Niémans an der Akademie ankommen, fühlt sich Camille gleich von der düsteren Kunst angezogen. Die „Anima Obscura“ genannte Kunstrichtung folgt vor allem einer Malerin mit dem Künstlernamen Lilith (Cyrielle Debreuil).

Ebenjene hat an dieser Akademie das Malen gelernt und unterrichtet nun selbst hier. Ihre Meisterklasse ist eine eingeschworenen, aber eigenwillige Gemeinschaft. Für Niémans sind praktisch alle diese Möchtegern-Künstler hoch verdächtig; wie auch die eiskalte Künstlerin. Camille fühlt sich seltsam fasziniert. Dann verschwindet ein weiterer Kunststudent.

„Die Umwandlung einer persönlichen Tragödie in eine universelle Wahrheit.“ (Lilith)

Das Drehbuch von Thomas Masuy und Mathieu Leblanc erfindet mal eben eine neue (fiktive) Kunstrichtung. Das ist plausibel und passt in die düstere Welt der Niémans Ermittlungen. Und es passt zu einem klassischen Leitmotiv der Schauerliteratur. Künstler verkaufen ihre Seele, gehen einen Pakt mit dem Bösen ein für den Erfolg. Das ist stimmig in Szene gesetzt und vielleicht der beste Fall der vierten Staffel. Nicht, dass das Kunstmotiv in der Serie neu wäre, aber einige der Wendungen überraschen doch, und die Stimmung in „Die Kunst des Todes“ ist gelungen eingefangen.

Fans der Serie werden sich wundern, warum Camille ausgerechnet jetzt ihre Kündigung einreicht. Und Niemans fühlt sich mehr als auf den Schlips getreten, aber seine Lieutenant geht zunehmend auf dem Zahnfleisch angesichts dieser immer neuen Spielarten des Bösen. Man mag nun meinen, die deutsche Sende-beziehungsweise Episoden-Reihenfolge wäre verändert worden, aber das ist nicht der Fall. (6/10)

„Blut im Paradies“ (OT: „La dernìere vage“)

Niémans wird vom Ministerium einbestellt um einen Mörder aus dem Gefängnis zu überführen. Philippe Cernac (Nicolas Cazalé), der Bogenmörder, hat sich freiwillig gemeldet für einen experimentellen Strafvollzug. Niémans soll Cernac in eine offene, therapeutische Haftanstalt bringen, ist aber alles andere als begeistert von der Idee. Zumal die hochgefährlichen Insassen sich mit Fußfessel frei auf dem idyllisch gelegenen Gelände am See bewegen dürfen und in handwerklicher Therapie an sich arbeiten sollen. Camille begleitet ihn. Niémans hält die Einrichtung für schlecht gesichert, obwohl das Militär die Gegend bewacht. Und tatsächlich sind in den letzten Wochen zwei Häftlinge entkommen. Auch Cernac ist nur hier um schnellstmöglich abzuhauen.

„Eines Tages wird man die Probleme mit Tötungsdelikten im Krankenhaus regeln und nicht mehr vor Gericht“ (Dr. Sauvarie)

„Die Arschgeigen vom Ministerium haben das bestimmt extra eingefädelt, um mich zum Ermitteln zu zwingen“, befindet Niémans und trifft den Nagel auf den Kopf. Der hartgesottene Kriminalist hält nichts von liberalen Formen des Strafvollzugs. Dementsprechend gereizt und konfrontativ ist Niémans unterwegs. Das Wiedersehen mit dem alten Bekannten Cernac stresst beide in hohem Maße.

„Blut im Paradies“ schießt im Setting komplett übers Ziel hinaus. Hier treffen sich die „Con Air“-Psychos auf der „Insel des Doktor Moreau“ oder dem „Papillon“-Eiland. Mit Schmetterlingshaus a la „Schweigen der Lämmer“ und Peter Watkins‘ „Strafpark“ (1971) Ambiente. Wenn es darum geht Genrehistorie vorzuzeigen hat die Doppelfolge ihr Soll erfüllt. Ansonsten kommt leidlich Spannung auf, weil viele Wendungen absehbar sind.

Camilles Kündigung ist nicht weiter Thema und das neugierige Publikum nimmt es hin. Oder wie Cernac sagt: „Das Böse ist überall, Doktor. es zeigt sich in den vielfältigsten Formen. Ihre Arbeit hier ist Zeitverschwendung. Weil sie sich auf das künstliche Böse beschränken.“ So ist das. Regie Akim Ikser. (4/10)

„Das Geheimnis der Lust“ (OT: „La Scene“)

Im abschließenden Fall „Das Geheimnis der Lust“ wird Camille von einer Freundin und ehemaligen Kollegin um Hilfe bei der Ermittlung gebeten. Chloé (Marie Kauffmann) hat es mit einem Ritualmord zu tun, bei dem das Opfer während des Liebesaktes getötet wurde. Es gibt deutliche Parallelen zu jenem Fall, der Chloés Vater vor einer Dekade begangen haben soll. Der Vater sitz seitdem in einer geschlossenen Anstalt und kommt als Täter nicht in Frage.

Chloé hat außer Camille noch eine befreundete Psychologin um Hilfe gebeten. Eva (Sigrid Bouaziz) unterstützt die Ermittlungen und die Ermittlerin. Hauptverdächtig ist der Fotograf Nicolas Merck, der sich auf erotische, voyeuristische Fotos spezialisiert hat und eine Zeit lang mit dem Opfer zusammen war. Doch es gibt keinen Ermittlungsfortschritt. Bis Camille spurlos verschwindet und Niémans zur Hilfe eilt.

Visionen einer Partynacht

„Das Geheimnis der Lust“ wurde von Regisseur Arnauld Mercier nach einem Drehbuch von Raffael Luc inszeniert. Die Story zeigt viel Haut und redet viel über Spannerei, wirkt aber weder überzeugend erotisch noch verrucht. Es fehlt zu oft an emotionaler und psychologischer Spannung. Stattdessen wirkt das abendliche „Arbeitsessen“ der drei Grazien als säßen hier „Die drei Fragezeichen“ beziehungsweise „Die drei Ausrufezeichen“ beieinander. An anderer Stelle kommt dann das Vater-Tochter Motiv zum Tragen, das die Serie unterschwellig ohnehin schon lange zusammenhält. Dennoch ist „Geheimnis der Lust“ in vielerlei Hinsicht ein wenig überzeugender Fall mit wenig reizvollen Landschaften. (5/10)

„Wie du weißt, bin ich im Heim aufgewachsen.“ (Camille)

Soviel also zu den einzelnen Ermittlungen der vierten Staffel von „Die purpurnen Flüsse“. Fans kommen sicherlich auf ihre Kosten. Ich persönlich gestehe, dass mir die Serie nach der ersten Staffel etwas zu sehr auf das sensationsgierige Momentum abgezielt hat. Auch schienen mir die Drehbücher nicht immer sorgfältig ausgefeilt. Was insofern schade ist, weil sowohl das Ermittlerduo als auch die düster kalten Schauwerte der Serie zwei Serienelemente sind, die das Format außergewöhnlich machen. Immer wieder bekommen wir Luftaufnahmen von wunderschönen, kargen aber eindrucksvollen Landschaften zu sehen.

„Ich bringe dich nach Hause“. (Niemans)

In Frankreich, wo die Serie immer zuerst ausgestrahlt wird, litt die vierte Staffel an erheblich sinkenden Einschaltquoten. Allerdings hatte Hauptdarsteller Olivier Marchal bereits zu Beginn der Ausstrahlung seinen Rückzug aus der Serie angekündigt. Seiner Meinung nach hätten die Bücher nicht mehr funktioniert und man hätte nach der dritten Staffel aufhören sollen. Eventuell schwingt da auch Kritik an der mangelnden Charakterentwicklung seiner Figur mit. Jedenfalls entschieden sich die produzierenden Sender daraufhin, die Serie „Die purpurnen Flüsse“ nicht weiterzuführen. Das war‘s also mit Niémans bizarren Verbrechen.

In der vierten und letzten Staffel der populären Thriller-Serie „Die purpurnen Flüsse“ kommen Fans zwar auf ihre Kosten, aber nicht alle Fälle können überzeugen. Die Motive wiederholen sich. Während die ersten beiden Ermittlungen noch solide sind, wird es im dritten Fall vogelwild und abschließend leider weitgehend eher unspannend. Die Schauerwerte allerdings überzeugen nach wie vor.

Serien-Wertung: 5 out of 10 stars (5 / 10)

Die purpurnen Flüsse – Staffel 4
OT: Les rivières pourpres – Saison 4
Genre: Thriller, Krimi, TV-Serie
Länge: ca. 390 Minuten (6 x 50, 2 x 45 Minuten), D/B/F, 2022
Idee: Jean-Christophe Grangé (auch literarische Vorlage & Drehbücher)
Regie: David Morley, Akim Ikser, Arnauld Mercadier
Darsteller: Olivier Marchal, Erika Sainte,
FSK: ab 16 Jahren,
Vertrieb: Edel Motion, ZDF Enterprises
Digital-VÖ: 15.12.2023
DVD- & BD-VÖ: 15.12.2023

Die Purpurnen Flüsse beim ZDF