Paulinchen brennt – Mache: Album Review

„Es brennt die Hand, es brennt das Haar, es brennt das ganze Kind sogar.“ Nicht nur Paulinchen hat Feuer gefangen. Mit dem hysterischen Mathcore des einst in Würzburg gegründeten Trios „Paulinchen brennt“ kann sich die geneigte, zur Aggressionstherapie angemeldete Hörerschaft einen Satz warme Ohren abholen…und die Kohle für die die Maßnahme besser in eigene Instrumente oder Tonträger anlegen. Beispielsweise „Mache“ das „Debutalbum“ von „Paulinchen brennt; erschienen im November 2023 bei Krakenduft.

Was auf den Coverwelten von „Mache“ stilisiert und ritualisiert nach magischem Selbst-oder Fremdversuch jener Pauline aussieht, geht bei literarischer Betrachtung auf eines der bescheuerten, pädagogischen Kunstmärchen der „Struwelpeter“-Sammlung zurück. Selbstverständlich begehrt der erwachende, kindliche Geist auf gegen solcherlei Gängelei und Sittsamkeit.

Es werde Punk! Zumindest in Würzburg anno 2013. Da war es schon längst Mode seiner Hardcore-Band einen schrulligen Namen zu geben. War (und ist) auch ‚ne zeitlang ein lustiges Tresenspiel sich Bandnamen auszudenken. Egal, was zählt, ist, dass eine gemeinsame tonale Vision entspringt aus dem Hinausschleudern der eigenen überschüssigen Energie und des postpubertären Weltekels.

Extreme Gitarrenmusik spartensortiert

Nenn es wie du willst, Noisecore, Mathcore, PostHardcore, D-Beat, Crust oder Screamo, wichtig ist, dass die Wucht rüberkommt. Das hat auch zu tun mit Druck, der komprimiert wird; und nicht nur mittels Instrument in die Welt geschleudert. Die Stimme ist und war das erste Instrument. Wo aber sitzt der Gesang beziehungsweise der Schrei über solch einer Wand an Geräusch, wenn er mittun will im Konzert der Stimmen? Hysterisch, keifend und schreiend um gegen den verzerrten Gitarrendruck anzustinken.

Das muss die geneigte Hörerschaft mögen, oder Antennen dafür entwickeln. Sogar live auf der Bühne ist der Zugang nicht notwendigerweise eher zu erreichen. Üblicherweise halten sich Bands in den extremen Genres nicht sonderlich lange, oder „entwickeln ihren Sound“ – soll heißen, es wird musikalischer und der Druck lässt nach. Es gibt Ausnahmen, es gibt Napalm Death, es gibt Architects und es gibt die inzwischen auch aufgelösten Dillinger Escape Plan. Wer mit genannten Bands irgendetwas anfangen kann, liegt auch bei „Paulinchen brennt“ nicht falsch.

Das soll nicht heißen, das Trio, das inzwischen von Leipzig, Nürnberg, Schweinfurt aus operiert, hätte keinen eigenen Sound. Nur ist es vergebliche Liebesmüh genrefernen Hörer:innen die Finessen dieses Musizierens auseinanderzuklauben. Mathcore bleibt eher Nischenthema. So wie auch das Label Krakenduft „genreübergreifende Spartenmusik“ verlegt. Hier kommt vielleicht die Connection zu Jarii von Gohl ins Spiel, seines Zeichens Schlagwerker bei Dyse und als Solokünstler auch auf Krakenduft.

Rififi am Karfreitag

Was also geht musikalisch in den 24 Minuten des 8 Lieder präsentierenden Debut-Albums „Mache“? Das immerhin länger in selbiger war. Denn einige Lieder sind via Youtube als vormals zu Gehör und Gesicht gebracht enttarnt. „Travis“ kommt sehr druckvoll aus der Ecke auf den Tanzboden gestürmt, fegt hysterisch nach vorne, setzt Stimmung und Sound für das Album. Textlich mag es sich um eine Interpretation einer Szene aus dem Kurzfilm „911“ handeln, da die drei Musiker eine Affinität zu Filmthemen haben, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird. Denkbar ist aber auch eine Hommage an Travis Bickle, Robert de Niros Rolle in Taxi Driver“.

„Norman“ keult in die gleiche musikalische Kerbe, hat aber etwas mehr Ausdauer am Start und kommt in der zweiten Songhälfte ins riffige Grooven. Da zeigt sich, dass langsamer bisweilen heavier ist. Jener Norman scheint ein Musiker mit Hörverlust, der sich auch wieder auf eine Trash-TV-Serie zurückführen ließe. So der Rezensent nicht wieder komplett auf der falschen Fährte unterwegs ist. Anyway, Hörverlust ist ein Thema – nicht nur bei dieser Art von Rockmusik.

„Pooter“ ist ein älterer Song, der sich inhaltlich mit einem Exorzismus auseinandersetzt. Musikalisch ist das schon bockstark wie sich nach dem hektischen Auftakt und dem irren Geklimper im abgestoppten Teil wieder Spannung aufbaut. Etwas Hymnisches erhebt sich und sorgt für Epiphanie. Der hinreißende mehrstimmig gesungenen Acapella-Ausklang ist dann einfach konsequent und choral geläutert. Oder doch wieder instrumental in B-Movie Gefilde aufbrechen? Machen wir mal mit bei „Caprona“, wir haben ohnehin schon verloren. „Caprona“ bietet klasse Dynamik in der Riffigkeit und beendet Vinyl-Seite A.

Travis Bickle trifft Mike Patton

„Midas“ eröffnet die B-Seite, war bereits vorab als Video/Single ausgekoppelt und zeigt eine andere Seite des Trios. Weniger Tempo, mehr Riff und deutsch geshouteteter Text. Nicht dass sie zu verstehen wären, aber Lyrics sind beigefügt. Es geht um die Sagengestalt des König Midas, dessen Gier legendär war (Liest du bei Wikipedia nach). Das lässt sich aber auch als Kapitalismus und Konsumkritik verstehen, die immer Konjunktur hat (Zwinkersmiley wegen des Wirtschaftswitzes).

Auch „Shinoda“ gefällt mit gedrosseltem Tempo und schwerem Groove. Inzwischen hat sich der Testhörer eingewöhnt und weiß zu würdigen, dass die Band nach etwa einer Minute das Tempo rausnimmt und sphärische Atmosphäre auffährt. Immerhin gilt es die 4-Minuten-Grenze zu knacken. Eine Nähe zu „The Tidal Sleep“ ist für mich nun rauszuhören. Die Kombo hat ähnliche Screamowurzeln wie „Paulinchen brennt“ als ich sie einst im Package mit „Former Thieves“ und „Defeater“ erstmals auf der Bühne erlebte. Das ist aus zwei Aspekten relevant, denn Paulinchen und Sleep sind etwa zur gleichen Zeit gestartet. „The Tidal Sleep“ machen inzwischen „musikalischeren“, klangbreiteren Post-Hardcore wie ich zur „Be Water“ Tour feststellte. Das klingt in Paulinchens „Shinida“ gleichfalls an.

„Hauser“ geht dann wieder voll auf die 12 und beeindruckt mich sehr. Frickelig, abgehackt, desorientiert. Und damit eine kongeniale Umsetzung dessen, was der Wolfsjunge Kasper Hauser wohl gefühlt haben mag, als er an den Tisch der Zivilisation Platz nehmen musste. Keine Zugehörigkeit, Fluchtimpuls, aber kein Weg raus. Wobei „Hauser“ sich nach Sleeve-Infos auf den Film von Werner Herzog aus den 1970ern bezieht. Monthy Python würden jetzt angelehnt an die Aufstellung beim „Fußball der Philosophen“ kommentieren: „Herzogs Aufstellung überrascht ein wenig.“

Powerfood-Samen of Death

Abschließend gibt es noch ein zweiminutiges Austrudeln namens „Chia“. Song würde ich die Klangkollage nicht nennen und irgendwie überzeugt mich das auch nicht. Aber wenn‘s schön macht und acht eine symmetrischer Zahl ist als sieben, meinetwegen.

Zu Ende gemacht. „Paulinchen brennt“ haben immer noch Feuer. Immer noch, weil die Band bereits seit 2013 existiert. Das muss mensch erstmal wollen und hinbekommen. Das gemeinsame Musizieren mag über die Süd-Ost-Deutsche Hochebene verteilt ihre eigenen Hindernisse und Hürden haben. Das Album nimmt ein und ist wuchtig produziert. Ich kann mir vorstellen, dass sich damit nochmal in Szenekreisen durchstarten lässt. Ahoi.

„Los Paul, du musst ihm voll in die Eier hauen, das ist die Art von Gewalt die wir sehen wollen.“ Mit eben jener Verve begeben sich Paulinchen brennt in Feuerbad des noisigen Mathcore. Mal deutsch mal englisch getextet wird gekeift wenn‘s nötig ist. So knackig und erfrischend war Wut lange nicht mehr.

Album-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Paulinchen brennt – Mache
Genre: Noise Rock, Mathcore, Screamo
Länge: 24 Minuten (8 Sopngs), d, 2023
Interpret: Paulinchen brennt
Label: Krakenduft Records
Vertrieb: Broken Silence Distribution
Format: Vinyl, digital, CD
VÖ: 10.11.2023

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