Brother Grimm – The End: Album Review

Es wird euch nicht gefallen, Dennis G. in den Kanon der Lyriker und Liedermacher aufzunehmen. Zu verschroben, zu kantig, zu weit draußen. Doch es hilft nichts: mit „The End“ zementiert Brother Grimm, dass er neben seine Namensvetter in die deutschen Stuben gehört. Brother Grimm ist jetzt eine Band und das neue Album „The End“ erscheint Ende November 2023 exklusiv als Vinyl beim Kreuzberger Underground Gourmet Label Noisolution. Nie war Brother Grimm zugänglicher.

Wer seine musikalischen und textlichen Werkstücke selbst als „Albträume in Fuckmoll“ als „verwischter Geisterhausblues“ und „grimmige Oden an Verblichene“ bezeichnet, mag schon mal apokalyptisch drauf sein. Möglicherweise steckt da aber auch eine ganze Menge selbstironischer Witz drin, so wie in dem „Künstlernamen“ Brother Grimm. Die Gebrüder Grimm sammelten schließlich einige schräge Stories, quasi Oral History, und haben sich mit der Zusammenstellung eines Wörterbuchs auch um die deutsche Sprache verdient gemacht.

Allerdings ist „Brother Grimm“ anno 2023 ein beständiges Trio, was die geneigte Hörerschaft durchaus herausfiltern kann. Das gemeinsame Musizieren von Dennis Grimm, Charlie Paschen und Enni Semmler ist hingegen keine Weltneuheit. Soweit ich das nachvollziehen kann, haben die drei als „B.G. and the Hearbreakers“ bereits 2020 pandemiebedingt zusammen eine „Live im Studio“-EP eingespielt, die zumindest digital erschienen ist.

In einer Stadt, in der sich niemand einen Scheiß interessiert,

Wer also sind die Mitstreiter von Dennis? Beide spielen in Bands, die Labelkollegen sind. Enni Semmler ist auch Gitarrist bei Kaskadeur, die bislang zwei feine Alben herausgebracht haben. Charlie Paschen ist Schlagzeuger von Szeneinstitution Coogans Bluff, deren kommendes Album das neue Jahr einleitet. Außerdem hat Paschen ein Studio und ist aus dem Labelgeschehen von Noisolution kaum wegzudenken. Quasi Allzweckwaffe, Notnagel und Tausendsassa. Vielleicht bezeichnet der Albumtitel das Ende der Solophase von Dennis Grimm? Mutmaßen zumindest diverse schreibende Kollegen. Anyway, Bildungskanon: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne“ (Hermann Hesse „Stufen“). Charles Bukwoski ist irgendwann auch ins Feuilleton diffundiert.

Musikalisch müssen sich altgediente Fans von einigen Elementen verabschieden, die bislang das das Tönen und Texten von Dennis Grimm geprägt habe. Das Schlangenöl des räudigen Geisterhausblues ist kaum noch zu hören. Eventuell als tonales Gewürz, aber kriechende, ätzende Hymnen wie „Sharps the Word“ vom zweiten Album „Home Today, Gone Tomorrow“ finden sich auf „The End“ nicht. Auch ausufernde Soundscapes und Klangexperimente werden reduziert. Das mag auch zusammenhängen mit Orten und Leuten, die Sound mitgestalten. Die Kopenhagen Connection scheint gleichwertig eingetauscht gegen Leipziger Lifestyle.

sich gefühlt wie tote Hunde im All

Wer Bruder Grimm wegen der Eigenheit solcher „Ein Mann Sound Machine“ Ansätze mag, wie sie auch der Hamburger Sumpfblues-Krauter Larman Clamor oder der amerikanische Kollege Blackwolfgoat zelebrieren, muss weiterhin auf älteres Brother Grimm Material zugreifen. Das wird ja nicht schlecht, nur weil es schon gehört wurde. Zugleich stößt das Trio in der klassischen „John Spencer Blues Explosion“ Besetzung in unerwartete Noise-Rock- und Indie-Bereiche vor, die den Texten und Liedern des Dennis Grimm eine neue Sphäre verschaffen. Was bleibt ist das gebrochene Pathos, das an Nick Cave und David Eugene Edwards (16 Horse Power, Woven Hand) gemahnt und doch immer ein zynisches bisschen Sinatra-Crooner in den Stimmbändern trägt.

„The End“ kommt in den 46 Minuten Spielzeit überraschend knackig auf den Punkt. „Q-Tip“ eröffnet den Reigen mit einem Tritt in den Hintern. Im anschließenden „When The Lights go Out“ wird in sieben Minuten klassischen Sonic Youth Klängen gehuldigt. Nach 90 Sekunden ist das Groovige zwar zu Ende, aber es bleibt schräg schön. Anschließend zelebriert „High“ den Truckermythos Highway und rollt stetig über den Asphalt. Immer noch „1 Mile to go“.

Eine neue Ordnung

Das sich da Heimweh entwickelt ist klar. „Homesick“ macht sich mit fast schon triefender Streicherbegleitung auf die Straße ins Herzland. „Green“ ist eine ruhige Rockballade, die sich den einen oder anderen Ausbruch erlaubt. „Dead Dogs in Space“ rockt recht abgehackt durch die funky Strophe. Nicht umsonst ruft der Bruder Grimm nach einem schwarzen Hund. Mit Laika, der ersten Hündin im All, hat das vermutlich wenig zu tun. „Wake up“ ist eine sehr groovende Nummer mit reduziertem Rhythmus und Keyboard-Teppich, der ziemlich cool rüberkommt. Das geneigte Ohr wartet auf die Lärm-Eskapade, aber Pusteblume. Wenn am Ende eine Tür zugeht, ist noch lange nicht alles vorbei.

„The End“ wurde vorab als Video-Single ausgekoppelt und leitet auf dem Album das letzte Drittel ein. der Titelsong ist düster, derbe und monoton. Da kann mensch schon mal „finito“ denken. Wir werden ohnehin nicht wie Brother Grimm werden. Der verfremdete Gesang und die noiserockige Umsetzung sorgen für ein Album-Highlight. Es ist dann wieder typisch Dennis Grimm die Ballade auf dem Album „How the Dogs kill“ zu nennen. Schone Keybordtöne über verzerrten Akkorden sorgen für Gänsehaut-Gefühle.

braucht kein Heimweh

Noisiges Outro gefallig? aber erst nach dem hinreißend rotzigen „In a Town where no one gives a Shit“. Der Song folgt Monks alten Jazz Maxime „Straight, No Chaser“ und zieht bis zum Ende durch. Noisiges Outtro inklusive. „New Order“ ist ein würdiger Abschluss, der Refrain bleibt catchy im Ohr (zumindest bei mir) und die Botschaft „do what you like“ kommt als Textfetzen ebenso vor wie „Pole Dancing Queen“ und „Start Again“. Muss sich jede:r selbst zusammenreimen. Ich kann folgende abschließende Frage jedenfalls für mich beantworten: „What in the world would fuck you up anytime?“

Künstler brauchen Entwicklungsmöglichkeiten. Brother Grimm sind zu neuen Ufern unterwegs, bleiben sich aber auch treu. Bob Dylan möchte mensch eine ähnliche Metamorphose unterstellen, als er von Solo-Folkie zum elektrischen Folk-Rocker wurde, aber dieser Vergleich hinkt irgendwie. Ich kann das in gewisser Weise am besten mit dem großartigen amerikanischen Songwriter Mark Eitzel vergleichen, dessen Solo-Alben sich durchaus unterscheiden von dem Musizieren in der Band American Musik Club, wo Eitzels Mitmusiker gleichberechtigt Sound beisteuern, auch wenn die Songs vom M.E. sind. Es ist anders, beides ist schön.

„The End“ ist ein tolles Album von eigenwilliger Schönheit. Dass Bandgefüge Brother Grimm führt Dennis Grimm zu neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. Das ist überwiegend Noise-Rock und Indie-Rock klassischer Ausprägung, entwickelt aber einen Sog wie nur „Brother Grimm“ ihn zaubert. Insofern kommt die Hörerschaft mit Schubladen hier nicht weiter. Und der eine oder die andere mag entdecken, dass sie sich auch in dreckigen Sounds wohlfühlen.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Brother Grimm: The End
Genre: Indie, Songwriter, Noise Rock
Länge: 46 Minuten (11 Songs), D, 2023
Interpret: Brother Grimm
Label: Noisolution
Vertrieb: Edel
Format: Vinyl only (incl Download)
VÖ: 24.11.2023

Brother Grimm Homepage (mit Tourdaten)
Künstlerseite bei Noisolution (mit Tourdaten)
Bandcamp-Auftritt Brother Grimm
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