Glen – I Can See No Evil: Album-Review

Es muss eine fantastische Aussicht sein, die die Paviane auf dem Cover von „I Can See no Evil“ haben. Das Album des Bandprojekts Glen verschafft sich am 20. Oktober 2023 über das griechische Label Sound Effect Records Gehör. Grob ließe sich das Schaffen von Glen unter dem Begriff Post-Rock zusammenfassen. Das steckt der gesangslose Ansatz schon in der Definition. Es greift dann wie immer zu kurz und wird den bisweilen filigranen Soundscapes auf „I Can See No Evil“ und dem Konzept von Glen nicht gerecht. Einfach mal reinhören.

Das Albumcover ist in seiner vermeintlichen Schlichtheit hinreißend cool, und soll sich – so ich gelesen habe – auf eine kapitalismuskritische italienische Architekturbewegung beziehen. Das Cover macht für mich aber auch ohne theoretischem Überbau genügend Eindruck. Zusammen mit dem Album-Titel „I Can See no Evil“ lässt sich da Einiges herauslesen, das sich auch in der Musik auf dem Album wiederfindet. Wenngleich Glen selbst sagen, dass es nicht im strengen Sinne ein Konzeptalbum ist, sondern eher ein Thema hat.

Paviane sind als Primatengattung hochsoziale Wesen. Sie leben im Gruppen und am Boden in Gegenden, die eher überschaubar bewachsen sind. Auf dem Cover nun guckt die Pavianmutti (nehme ich mit meinem primitiven Rollenverständnis einfach mal an) hinunter ins Tal und kann wohl nix Böses erkennen. Anders vielleicht der Paviannachwuchs, der direkt in die Kamera und somit auf die Betrachter:in blickt und einen eher fragenden Gesichtsausdruck erkennen lässt. Wer weiß, wie viel Böses sich offenbart, wenn wir in den Spiegel schauen?

Glen besteht im Wesentlichen aus dem kreativen Duo Eleni Ampelakiotou und Wilhelm Stegmeier. Die beiden sind beide auch seit Jahren in der Filmbranche unterwegs und haben sich mal bei Dreharbeiten kennengelernt. Aus ähnlichen musikalischen Affinitäten entstand die Idee sich auch tonal gemeinsam auszudrücken. Die Alltagsdistanz zwischen Athen und Berlin war dabei ebensowenig ein Problem wie europaweit Mitmusiker:innen zu finden. Eleni und Wilhelm sind für die Kompositionen und die Gitarren zuständig. Bass, Schlagzeug und andere Instrumente kommen je nach Zeitfenster und Verfügbarkeit hinzu. Dennoch verstehen sich Glen berechtigt als Band.

Die Athen-Berlin-Connection

„I Can See No Evil“ ist das dritte Album der Band. Nach „Crack“ von 2017 und dem mitten in der Covid-Pandemie veröffentlichten „Pull“ von 2021 geht es auf dem aktuellen Album um den Begriff des Bösen. Das, was im Horrorfilm immer Auslöser für diverse Stressmomente ist, oder bei H.P. Lovecraft das Unnennbare bleibt; jene Macht, die Menschen und Kreaturen auf ungute Weise beeinflusst.

Letzthin haben Glen beobachtet, dass das Böse als Begriff auch in der aktuellen Politik und im Zeitgeschehen einen Platz gefunden hat. Je religiöser oder ethisch überschaubarer die Ausrichtung ist desto bestimmter wird festgestellt, was gut ist. Und folgerichtig auch das Gegenteil: das was schlecht, oder böse ist. Das sind meisten Existenzen und Entwürfe außerhalb der eigenen Bubble, was zu verhältnismäßig kompromisslosem Denken und Verhalten führt. Eine gesellschaftlich komplizierte Haltung. Aber ich schweife ab, Musik gibt’s auch auf „I Can See no Evil“.

In 47 Minuten bietet das Album sechs Songs oder Kompositionen an, die alle länger sind als fünf Minuten. Zwei Songs laufen so um die zehn Minuten. In einem lesenswerten Interview mit dem Onlinemagazin „It’s Psychedlic, Baby“ teilen Glen das Album stimmungsmäßig in zwei Seiten. Die A-Seite soll eher dystopische, düstere Zukunftsaussichten beschreiben, währen auf der B-Seite mehr Hoffnung ausgedrückt werden soll. Ich kann das zum Teil gut nachvollziehen. Wobei jede Komposition – wie jedes andere Kunstwerk auch – für sich selbst stehen und zumindest eine immanente Ebene haben sollte.

Soundtracks zur verstärkten Gitarre

Es beginnt mit dem Opener „Paradigma“, was als Begriff ja gleich eine „grundsätzliche Denkweise“ bezeichnet. Musikalisch startet das Album mit einem stetigen Fluss melodischer Strömungsführung in dem gelegentlich dezente Gitarrenpeaks aufploppen. Mir persönlich war das bei den ersten Durchläufen etwas zu gefällig zu „genretypisch“ und zu wenig eigen. „Anthem“ ist eine erstaunliche Hymne: luftige, jazzige Rhythmen unterlegen eine leicht schräge Gitarre. Dann kriecht von der Seite eine andere Gitarre ins Ohr und irgendwie entwickelt sich daraus ein Zwiegespräch, das stetig auf eine Gitarrenwand zubaut. Mit guten fünf Minuten ist „Anthem“ der Quickie auf dem Album.

Weiter geht es mit den als Video-Single ausgekoppelten „Polymorphine“. Der tribale Rhythmus lässt ein monotones Gitarrenriff schweben zu dem sich gelegentliche Melodiefunken und Soundschnippsel gesellen. Dann wird das Tempo angezogen und erinnert an niveauvollen Indie Rock der Sonic Youth-Schule, oder etwa an Sleater-Kinney. Nach einem ruhigeren Zwischenspiel nimmt der Song wieder Fahrt auf.

Was dann folgt, fällt zunächst aus dem Ritarrenrockigen Rahmen: „Neos Kosmos“ beginnt mit schöner klarer Trompete wie zu einem Morgenapell an einem sonnigen Tag. Der einsetzende Rhythmus kommt trippig und verspielt daher. Darüber legen sich verfremdete Gitarren-Swells und Sounds. Dann kommt aus der Ferne die Trompete zurück. Ein Schelm wer Miles Davis von Ferne winken sieht. Gegen die Hälfte es Zehnminüters ändern sich die Versatzstücke und die Bassmelodie wird von der Gitarre als verzerrtes Riff weitergeführt. Daraus entwickelt sich eine komplett andere Dynamik die mit Flötensounds spielt und quasi den kompletten Song im musikalischen Negativ zum Ende geleitet. Das ist wahrlich meisterhafter psychdelischer Krautrock mit allem was es braucht.

Auch der zweite Zehnminüter „In the Midday Sun“ weiß Atmosphäre aufzubauen und ist als Komposition von jazziger Qualität. Das fast elegische ruhige Rhythmusgerüst nimmt sich Zeit und hat Mut zur Stille. Immer wieder setzen vereinzelte Instrumente Impulse in der Ruhe. Das ist sehr entspannt, erinnert an eine Siesta, in der jemand in der Hängematte vor sich hinsummt. Erst gegen Ende gibt es einen kurzen Ausflug in verzerrte Bass-Sounds, nur ganz kurz.

Rock, Atmosphäre und Klänge

Als Ausklang für ein Album muss dann noch etwas Rockigeres her. „Strike“ beginnt seine sechs Minuten mit einem Midtempo-Riff das Stoner Rock Qualitäten hat, dann aber wird’s der Band zu bunt und es muss was Tanzbares her. Schneller wird’s, groovt rockig und lässt den Gitarren freien Gniedel-Lauf. Da ist zum Ende hin eine Steigerung der Intensität auszumachen, die dann abrupt zu Ende ist. Und noch nachhallt.

„Mehr!“, schrie der kleine Hävelmann im Märchen so wie der Rezensent des Albums, der nach einem abwechslungsriechen Instrumentalalbum gerne noch einen Durchlauf gebrauchen kann. Denn obwohl das Album einen roten Faden hat, ist doch Abwechslung genug vorhanden und die musikalischer Könnerschaft erschließt sich bei dieser Art von Musik eher durch intensivere Beschäftigung. Es scheint als hätten es Glen im Ausland etwas leichter ihre Sounds unters Volk zu bringen, ich la einige englische Reviews und nur wenige auf Deutsch. Andererseits ist die Szene für diese Art von instrumentaler Musik recht überschaubar und Glen sollten ihr Publikum finden. Eventuell ist es auch bereits komplex genug, um für ein Jazz-Publikum interessant zu sein.

„I Can See No Evil“ ist definitiv ein Album, das mit jedem Durchlauf besser wird. Die Kompositionen sind ebenso rhythmusbetont wie die Gitarrenarbeit feinsinnig eingesetzt ist. Gerade wenn beim Musizieren viel Raum entsteht, in dem die Sounds tragen, entfalten Glen ihre ganze Magie. Dazu trägt nicht nur das hinreißende Zusammenspiel der beiden Gitarren bei, die den Nukleus und Fixpunkt des Projekts ausmachen, sondern die großartigen Instrumentalisten, die Glen auf diesem Album komplettieren. Ein beeindruckendes, vielschichtiges Album.

Album-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Glen: I Can See No Evil
Genre: Post Rock, Instrumental Rock
Länge: 47 Minuten, GR/D, 2023
Interpret: Glen
Label/Vertrieb: Sound Effect Records
Format: CD, Digital, LP
VÖ: 20.10.2023

Glen Homepage
Bandcampseite von Glen
Glen bei Instagram
Sound Effects Records

Line Up
Wilhelm Stegmeier – keyboards, composition
Eleni Ampelakiotou – Gitarren
Lucia Martinez – drums, percussion
Achim Faerber – drums, percussion
Roland Feinaeugle – Bass

Tracklist

  1. Paradigm
  2. Anthem
  3. Polymorphine
  4. Neos Kosmos
  5. In The Midday Sun
  6. Strike