Blue Jean: Traditionelle Werte

Das britische Drama „Blue Jean“ erzählt von einer lesbischen Lehrerin in den Jahren der Thatcher-Regierung. In der repressiven gesellschaftlichen Stimmung hadert Jean mit ihrem Outing und gerät in die Enge. Filmmacherin Georgia Oakley legt mit ihrem Kinodebüt „Blue Jean“ ein fulminantes und auch formal beeindruckendes Drama vor, dass international von der Kritik gefeiert wurde. Edition Salzgeber bringt den Film ab dem 5. Oktober 2023 in die Kinos.

Sportlehrerin Jean Newman (Rosy McEwan) fährt jeden Tag mehr als eine Stunde zu der Schule an der sie unterrichtet. Spät im Filmverlauf wird sie auf die Frage, warum sie nicht in ihrer Nachbarschaft unterrichten, antworten, dass sie es leid war dauernd den Schülern zu begegnen. Jean ist lesbisch und versucht ihr Privat- und Liebesleben so gut es geht für sich zu behalten.

Bei ihrer Freundin Viv (Kerrie Hayes) erntet sie dafür immer wieder Spott und Kritik. Aber Jean will sich nicht outen, aus Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das Parlament stimmt in jenen Tagen der Thatcher-Regierung im Jahr 1988 über den Gesetzesentwurf Section 28 ab. Darin wird beschlossen, dass die „Homosexualität nicht mehr gefördert wird“. Im Klartext bangt Jean um ihren Job, da ihr als Lesbe die Fähigkeit abgespochen wird, Kindern traditionelle moralische und Familienwerte zu vermitteln.

„Nicht alles ist politisch.“ (Jean)

Als Sportlehrerin betreut Jean auch die Korbball-Mannschaft der Mädchen. Als die begabte aber unbeliebte Lois (Lucy Halliday) dem Team beitritt entsteht sofort eine Rivalität zur Anführerin Siobhan (Lydia Page). Jean vermutet, dass auch Lois lesbisch ist. Das scheint sich zu bewahrheiten, als die Schülerin in dem Club auftaucht, in dem Jean mit ihrer Geliebten und den lesbischen Freundinnen abhängt. Jean versucht weiter sich bedeckt zu halten, doch die Situation im Völkerball-Team verschärft sich.

Das heutige Publikum mag sich die repressive gesellschaftliche Stimmung der Thatcher-Jahre nicht mehr vorstellen können. Das lichtlose blaugefilterte Licht trifft die gedrückte Stimmung eindrucksvoll. Auch weicht „Blue Jean“ durchaus ab vom queeren (und auch mainstream-gebräuchlichen) Narrativ, das gerne positive Beispiele und Biografien heranzieht, um über eine starke selbstbewusste Persönlichkeit ein Bewusstsein und gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.

Die verschlossene Lehrerin Jean ist gleichfalls eine starke Persönlichkeit nur eben nicht im extrovertierten, aktivistischen Sinne. Erst spät im Film wird auch ihr stiller Beitrag zu lesbischen Community überhaupt erwähnt. Bis dahin sind die Zwänge und Sehnsüchte der Lehrerin mehr als beeindruckend nachzuempfinden.

„Natürlich ist es das.“ (Viv)

Die Verunsicherung der Gesellschaft ist allgegenwärtig. Während Jean im Radio von den Debatten über Homosexualität erfährt, entspinnt sich die Debatte an der Lebensführung des Individuums. Wobei Verfechter der Section 28 argumentieren, dass durch die bloße Anwesenheit homosexueller Leher:innen die „Homosexualität gefördert würde“. Kinder und Schutzbefohlene moralisch gefährdet wären. Das ist in Aspekten damit vergleichbar, dass hierzulande Kommunisten keine Lehrer sein durften.

Doch die Furcht vor dem Anderssein hat sich bereits festgesetzt. Kolleginnen kontrollieren Jeans Unterricht, nachdem jemand eine Lesben-Zeitschrift auf ihren Schreibtisch gelegt hat. Jeans Schwester meint ihr nicht vertrauen zu können, weil ihre Geliebte anwesend war, als Jean im Notfall auf den jungen Neffen aufpassen sollte. Eine Plakatwand mit einem politischen Slogan gibt dem großartigen Drama „Blue Jean“ eine inhaltliche Klammer und den Hauch einer Ahnung für eine optimistischere Zukunft. Jean hat es verdient; wie jeder Mensch.

Nicht alle waren Aktivisten, möchte mensch den bedrückenden und eindrücklichen Film von Georgia Oakley zusammenfassen. Dabei geht es weniger um den gesellschaftlichen Umbruch als vielmehr um die individuelle Leidensgeschichte jener, die sich nicht offen zeigen konnten und können. Das ist mit reduzierter Farbigkeit und grauem, bedrückendem 80er Jahre Alltag beachtlich inszeniert und von Hauptdarstellerin Rosy McEwen nachdenklich und nuanciert dargestellt. Der Gang ins Kino lohnt sich auch wegen des Zeitporträts.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Blue Jean
OT: Blue Jean
Genre: Drama,
Länge: 97 Minuten, GB, 2022
Regie: Georgia Oakley
Darsteller:innen: Rosy McEwan, Lydia Page, Kerrie Hayes, Lucy Halliday
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 05.10.2023

Blue Jean bei Edition Salzgeber