Splinter – Role Models: Album Review

Während in der fast durchgespielten Festivalsaison der alte Mitgröhlhit „Am schlimmsten ist, wenn das Bier alle ist“ aufleben durfte, finde ich ganz persönlich: Am schlimmsten ist, wenn die Musik öde ist. Diese Gefahr besteht bei „Splinter“ nicht. Erneut hat das charmante Kreuzberger Underground-Label Noisolution eine irrwitzige Truppe aufgetan, die sich gegen das musikalische Schubladen-Denken stemmt, indem sie gleich die ganze Kommode umreißt. „Role Models“ erscheint am 25. August 2023. Frei nach dem Motto: „Raus hier! Der Teppich macht mich traurig!“ So viel Party-Appeal wie auf Splinters rockigem „Role Models“ war lange nicht mehr.

Entweder tanzen alle, oder keiner tanzt! Das ist nicht etwa die Ansage der Lehreraufsicht beim Klassenfest, sondern ein revolutionäres Statement aus Uruguay, das „The (International) Noise Conspiracy“ auf einem ihrer Alben zititeren („Armed Love“). Das kommt jetzt weniger aus dem linken Halbfeld geschlagen als manche:r denken mag, denn „Splinter“ aus Den Haag neigen zu ähnlichen Inspirationsquellen, um ihre Musik mit Schub nach vorne zu tragen.

Treibende Grooves, fette Riffs, röhrende Hammond-Sounds und extrem charismatischer Gesang verschmelzen mit Erfahrung und Könnerschaft zu einem Album, das sich nicht darum schert, ob es jetzt Retro-Rock, poppiger Wave oder tanzbarer Disco Sound ist, solange das Energielevel stimmt und die Richtung klar ist: nach vorne! Oder um wieder ins politische Floskeln zu kommen: „Zur Sonne, zur Freiheit.“

„Get up from my bed, ‚caus the carpet makes me sad.“

Die Frage ist berechtigt, was ein sowjetisches Schulmädchen, ein Medizinmann, Clowns, Kinder und Mitglieder des anderen Geschlechts gemeinsam haben? Sie alle sind „Role Models“, Vorbilder“, die sich hinter der Fahne des Bananenschlipsträgers versammeln und für einen libertären Lebensentwurf auf die musikalischen Barrikaden gehen. Oder wie Emma Goldmann einst sagte: „If i can’t dance, it’s not my revolution“.

Nicht dass „Splinter“ ausgesprochen politisch rüberkommen, aber das Pop-Artige im Musizieren ist mehr als nur Attitüde. „We are the Splinter Generation. Music and youth culture as the eyesore of the status quo.“ Wer möchte nicht Teil einer Jugendbewegung sein?

Das Quartett ist für halbe Sachen auch schon zu lange im Geschäft. Immerhin ging die Band aus zwei anderen, in den Niederlanden abgefeierten Live-Institutionen hervor und hat bereits eine strammes Debut-Album vorgelegt („Filthy Pleasures“, 2021). Mitten in der globalen Pandemie mag das kein guter Zeitpunkt gewesen sein, aber das Album ist ebenfalls stark.

Im Vergleich zu „Role Models“ allerdings nur eine Fingerübung. In rund 40 Minuten feuern Splinter, die bereits beim vom Rockpalst dokumentierten Crossroads Festival 2022 abgingen wie Schmidts berüchtigte Katze, zwölf Songs auf das geneigte Publikum, die allesamt zu überzeugen wissen. Die meisten hätten Hitpotential für die alternative Disco oder aber als Highlights bei einem feurigen Gig.

„Velvet Scam“ wurde bereits vor Monaten als Video-Single veröffentlicht und auf diesen Seiten als „Split 7“ vorgestellt. Vor einigen Wochen dann die zweite Single „Every Circus needs a Clown“, die irre groovy rockt und an eine der am längsten aktiven Bands der Rockgeschichte denken lässt, die auch noch aus den Niederlanden stammt .

„People of the opposite sex, they are complex“

Ich höre bei Splinter noch ganz viele andere Einflüsse oder Ähnlichkeiten heraus, wie etwa „The Soundtracks of our Lives“, oder ähnliche Inspiration wie bei der Antwerpener Szene um die Jahrtausendwende, als dEUS, Zita Swoon, Absynth Minded und Dead Man Ray für mich der ganz heiße Scheiße waren. Die haben sich ja bereit wenig um Genre-Grenzen geschert. Weshalb es dem Ohr auch nicht weiterhilft sich zu fragen, ob das jetzt Rock mit Disco-Ausflügen ist, oder doch Post-Punk, der zum New Wave neigt? Es ist gute Musik und die ist extrem feierbar.

Dabei zeigt sich in den Songs durchaus eine gewisse Bandbreite, aber eben auch einige Lieblingssounds. Und die würde ich in retrorockiger Gitarrengeorgel höherer Geschwindigkeit verorten. Anspieltipps lassen sich da kaum ausmachen. Je nach eigener Neigung fallen ohnehin Songs auf, die nahe an dem sind, was die Hörerschaft selbst mag. Bei mir wären das die Stücke mit Schub, die nahe an Denis Lyxens Outfit sind. Aber „Sovjet Schoolgirl“ ist ein großartiger Opener, an dem sich durchaus festmachen lässt, ob einer oder einem das Album gefällt. Schon rockig, aber eben mit Pop-Appeal.

Ich musste mich in Splinter und „Role Models“ erst reinhören, aber nicht lange! Songs wie „Velvet Scam“ liegen nicht auf meinen ausgetretenen Pfaden. Aber es lohnt sich. Das Leben ist viel zu kurz für langweilige Musik. Lieblingslieder hat jeder, ich habe eine Lieblingszeile, so ich sie denn richtig herausgehört habe: „If you need me, feed me.“ Das hat Osterberg’sche Prügelknaben-Qualität. ¡o Bailan Todos, O No Bailan Nadie!

Album-Wertung: [9]

Splinter: Role Models
Genre: Rock, Pop, Punk
Interpret: Splinter
Länge: 40 Minuten, 12 Songs, NL, 2023
Format: CD, Digital, Vinyl
VÖ: 25.08.2023

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