„Es tut mir leid, den Geier enttäuschen zu müssen.“ so soll angeblich eine der Abschiedsnotizen lauten, die Stephen Ward kurz vor seinem offiziell bestätigten Suizid verfasst haben soll. Warum ist das interessant? Weil Szenarist Jean-Luc Fromental und Illustrator Myles Hyman Ward, der eine Hauptperson der Profumo-Affäre war, zu ihrem Erzähler machen. Die Umsetzung des großen Politik-Skandals im England der frühen 1960er ist im Mai 2023 beim stilsicheren Verlag Schreiber & Leser als Graphic Novel erscheinen.
Der damalige britische Kriegsminister John Profumo hatte im Sommer 1961 eine kurze Affäre mit der jungen Schönheit Christine Keeler. Pikanter Weise hatte sie auch eine Beziehung mit dem russischen stellvertretenden Militärattaché Jewgeni Iwanow. Als die Opposition davon Kenntnis bekam, entwickelte sich ein Skandal. Profumo leugnete allerdings eine intime Affäre mit Frau Keeler, was ihm auf die eigenen Füße fiel. Der Rücktritt erfolgte. Im Nachgang trat auch Premierminister Mcmillan zurück.
Spießiges England
Maßgeblicher Bestandteil der „Profumo-Affäre“ war der Osteopath Dr. Stephen ward, der den britischen Adel wohl mit jungen Frauen versorgte und quasi wegen Zuhälterei angeklagt wurde. Iwanow zählte auch zu Wards Bekanntenkreis, weswegen der britische Geheimdienst sich für Ward interessierte. Iwanow galt in dieser Phase des Kalten Krieges (Mauerbau 1961, Cuba-Krise1962) als russischer Spion. Auch Christine Keeler wurde aufgrund einer Schießerei, an der sie als Opfer beteiligt war, später wegen Meineids verurteilt.
Autor und Szenarist Jean-Luc Fromental ist eine der prägenden Figuren des französichen Autorencomics. Als Verlegen verschafft er auch anderen Comics eine Bühne, als Kinderbuchautor ist er renommiert und seine Graphic Novels sind so vielschichtig wie künstlerisch. Mit Miles Hyman hat Fromental bereits seit Beginn der 1990er immer wieder zusammengearbeitet. Hyman selbst ist in den USA geboren, lebt aber seit langem in Paris. Seine Illustrationen und Bilder sind gefragte Kunstwerke und auch als Illustrator von Graphic Novels fällt sein Stil aus dem handelsüblichen Rahmen.
Ein Plätzchen mit Themse-Blick
Vor „Die Profumo-Affäre“ haben Fromental und Hyman zusammen einen anderen politischen „Skandal“ der Nachkriegszeit auf die Comicseiten gebannt: Den „Prager Februarumsturz“ von 1948. Der 2018 erschienenen Comic wurde hierzulande meines Wissens nicht veröffentlicht.
In „Die Profumo-Affäre“ stürzen sich die Künstler direkt ins Geschehen: Rückblickend von letzten Tages Prozesses vor der Urteilsverkündung, zeichnet Stephen Ward seine Version der Geschehnisse der letzten zwei Jahre auf. Er erzählt wie der in der englischen High Society nicht nur wegen seiner „Knochenbrecher-Künste“ geschätzt wurde, sondern auch, weil er ein geschickter Porträtist ist. Die Bekanntschaft mit Iwanow verdankt sich dem Umstand, dass Ward als Salonkommunist immer hoffte, auch sowjetische Politikgrößen malen zu können. Ward berichtet von seiner brüderlichen Beziehung zu Christine Keeler und von deren enormem Männerverbrauch.
Inhaltlich halten sich Fromental und Hyman weitgehend an die Fakten und die Chronologie des Skandals, aber gerade in Bezug auf den Berichterstatter, der ein unzuverlässiger Erzähler sein mag, nimmt sich die Graphic Novel künstlerische Freiheit. Das hat durchaus seinen Reiz, wenn die Leser:innen sich mit der damaligen Politik und Gesellschaft befassen mögen.
„Darling,…Dein Jack“
Die „Profumo-Affäre“ war bereits häufiger Bestandteil der Pop-Kultur. 1989 wurde daraus ein Kinofilm mit Ian McKellen, John Hurt, Bridget Fonda und Joanne Whalley. Und der Pilotfolge der sehenswerten Krimi-Serie „Der junge Inspektor Morse“ (OT: Endeavour“) wird nachgesagt, sie nehme Bezug auf die Profumo-Affäre und das Verschwinden junger Schulmädchen.
Fromental hofft im Nachwort, dass der historische Skandal der stets aufgeregten Gegenwart einen gewissen Spiegel vorhalten mag, aufzeigen kann, wohin „Mixturen aus Sex, Politik, Spionage, Rassen-, Klassen- und Geschlechtervorurteilen führen können, zumal wenn sie zu einer tödlichen Spirale aus Zufällen, Unfällen, Fehlleistungen, persönlichem groll, Interessenkonflikten, Staatsräson, Voyeurismus werden.“
Ich persönlich bin mir nicht sicher, dass da viel Exemplarisches haften bleiben wird. Die Geschichte ist dramaturgisch etwas bieder ausgefallen. Was angesichts der Verstrickungen und Verwirrungen nicht verwundert und eventuell sogar von Vorteil ist, um den Überblick zu behalten. Grundsätzlich ist diese Art von historisch-realistischer Comic-Erzählung auch nicht zu meinen Favoriten.
Swinging London
Das Artwork von Miles Hyman ist gleichwohl meisterlich und auf gediegene Weise opulent. Das beginnt bei farbintensiven Hintergründen, geht über fantastische, detaillierte Interieurs und Hintergründe hin zu subtilen Figurenzeichnungen. Die Mimik wird durch Schattierungen und Farbintensitäten und Perspektive beinahe fotorealistisch. Was allerdings mit dem buntstift—beziehungsweise kreideartigen Strich kaum möglich ist. Andererseits kommen Hymans farbsatten, beinahe surrealistischen Landschaften hier selten zum Tragen. Vielleicht deutet die nebelverhangene Stadtansicht auf Seite 80 an, warum Miles Hymans Kunstwerke so gefragt sind.
„Die Profumo-Affäre“ von Fromental und Hyland ist große Comic-Kunst. Allerdings wird eine Leserschaft, die sich an Biografien oder Zeitläuften erfreut, das Album eher genießen können als jemand, der einen packenden Thriller erwartet.
Comic-Wertung: (7 / 10)
Die Profumo Affäre
OT: Une romance anglaise, Dupuis, 2022
Genre: Comic, Politik, Zeitgeschehen
Autor: Jean-Luc Fromental
Illustrationen: Miles Hyman
Übersetzung: Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber & Leser, Gebunden,
VÖ: 09.05.2023
Profumo-Affäre bei Schreiber & Leser
Arte Porträt über Jean-Luc Fromental
Die Profumo-Affäre bei Wikipedia (englischer Eintrag ist deutlich ausführlicher)