Die Erde ist ein sündiges Lied – Tanze bis zum Umfallen

Da hat Filmvertrieb Bildstörung wieder eine cineastische Besonderheit ausgegraben. 50 Jahr nach seiner Entstehung erscheint als 42 Titel in der Reihe drop out cinema das finnische Epos „Die Erde ist ein sündiges Lied“ von Filmmacher Rauni Mollberg.  Wie häufig bei Bildstörung ist die Edition herausragend und umfassend und inhaltlich ist der Film durchaus fordernd. Neu im Home-Entertainment seit 26.Mai 2023.

Im Dorf Siskonranta in Lappland lebt in den 194oer Jahren die junge Martta () mit ihrer Familie. Nach dem Krieg geht hier alles seinen gewohnten aber ländlich derben Gang. Beim Tanz auf dem Dorffest läuft schon mal ein zugezogener Knecht ins Messer und die Samen, die mit ihren Herden durch die Lande ziehen, erträgt man eher als sie zu mögen.

Marttas Großvater ist ein alter Grantler, dem weder der liederliche Aufzug der Enkelin passt, noch die vertrocknete Schwiegertochter. Er ist fest davon überzeugt, dass die seinen Sohn in den Suff getrieben hat. Martta flirtet hier und da, doch erst als sie den rentierhirten Oula trifft, verliebt sie sich. Eifersucht und Rivalität der Kerle im Dorf kochen hoch und bald hat Martta noch ganz andere Probleme.

Karges Leben in Lappland

Ich bin von Natur aus neugierig und immer dankbar für neue Impulse. Aber man darf sich schon fragen, wie „Die Erde ist ein sündiges Leid“ den Weg in die cineastische Gegenwart geschafft hat. Weder ist der finnische Regisseur Rauni Mollberg hierzulande gemeinhin bekannt, noch hat es das Epos aus Lappland nach dem Berlinale-Wettbewerb seinerzeit international in den Kinoverleih geschafft.

Was im Drama dargeboten wird mag dem abgefuckten Kinokritiker heute kaum skandalös oder Außergewöhnlich scheinen, hat aber – sofern man den Beteuerungen in der Doku und im Begleittext Glauben schenkt – das finnische Kino im Alleingang revolutioniert. Nun mag der Zweifler entgegnen, welches finnische Kino? Und was geht mich das an? Es geht, denn so sehr die Handlung in „Die Erde ist ein sündiges Lied“ in Lappland verortet ist, so sehr lässt sich das Prinzipielle, Ruderale und Archaische verallgemeinern und übertragen.

Vor allem aber, hat der damals bereits in etlichen TV-Produktionen geschulte Rauni Mollberg hier eine Vision vom Film als Kunstform festgelegt, die durchaus Beachtung und Anerkennung verdient. Die Direktheit und beinahe dokumentarische Beobachtung des Ländlichen Lebens mag fast als Direct Cinema durchgehen, ist aber von vorne bis hinten inszeniert. Das hat in der ruhigen Kameraführung und der unverstellten Portraitierung der Charaktere etwas Klassisches, das sich auch in Werken etwa von Tarkowski findet und in vielen Dramen der 1970er Jahre.

Kleine Freuden – Große Sünden

In „Die Erde ist ein sündiges Lied“ ist vieles was gezeigt wird eine Zumutung. So etwa die Geburtshilfe an einer Kuh, die dann doch nicht kalben kann. Oder aber die Parallele zwischen Messerstecherei und dem töten eines Rentieres. Wenn dann noch der Pastor in der Gemeinde auftaucht und ohne Vorwarnung religiöse Extase auslöst, ist das moderne Publikum vollends vor den Kopf gestoßen.

Vielleicht hätte Rauni Mollberg international mehr Anerkennung gefunden, wenn er nicht als Regie-Wüterich verschrien wäre. In der Doku „Dinosaurier“, die Filmmacher Veiko Aaltonen 2021 vorlegte, wird deutlich, das Mollberg irgendwann Gegenwind von Filmmachern aus Helsinki bekam. Die Gebrüder Kaurismäki waren mit dabei. Ich bin mit dem Werk von Kaurismäki aufgewachsen. Habe dessen frühe Filme ebenso abgefeiert wie Jim Jarmuschs cineastische Arbeiten. Nun, letztlich nach 50 Jahren soll ich mich mit dem cineastischen Gegenentwurf beschäftigen? Aber sowas von gerne.

Filmisch fordernd sind die Beiträge, die bei Bildstörung herausgegeben werden immer. Etwas, was heute im vielfach weichgespülten, eingenordeten Kinobetrieb zumindest von mir als wohltuende Abwechslung angesehen wird. Bei brutstatt.de wurden einige der herausragenden Filme vorgestellt, etwa „The Painted Bird“ oder auch das epische, russische „Krieg und Frieden“. „Die Erde ist ein sündiges Lied“ spielt eine andere Melodie, zeigt eine andere Art von Filmkunst, die zu bewahren und wahrzunehmen bereichernd sein kann.

Mit „Die Erde ist ein sündiges Lied“ bringt Bildstörung endlich einen vergessenen finnischen Filmklassiker, der es mit den großen Epen des Weltkinos aufnehmen kann. Auch die kritische und umfassende Edition der deutschen Erstveröffentlichung nach einem halben Jahrhundert kann sich sehen lassen. Ein sehenswerter Ausflug in eine andere, vergessene Welt.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)
Doku-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)
Editions-Wertung:9 out of 10 stars (9 / 10)

Die Erde ist ein sündiges Lied
OT: Maa on syntinen laulu
Genre: Drama
Länge: 108 Minuten (OmU), F, 1973
Regie: Rauni Mollberg
Darsteller:innen: Maritta Viitamäki, Pauli Jauhojärvi, Niiles-Jouni Aikio
Vorlage: Roman „Maa on syntinen laulu“ von Timo Mukka
Extras: Doku „Dinosaurier“ (2021/ 90 Min.), Audiokommentar, Interviews, Booklet mit Text von Olaf Möller
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: bildstörung, in der Reihe Drop Out cinema #42
Kinostart: nicht in Deutschland (Berlinale 1974)
DVD-& BD-VÖ: 26.05.2023

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