Gavial – Vor: Album Review

Es ist noch nicht so lange her, dass eine „fuzzed out garage blues“ Band eine mehrmals pandemiebedingt verschobene Tour nachholte. Aber es wirkt, als sein das ein anderes Zeitalter gewesen. Ausgestorben, ausgetrocknet und dann wieder aus dem Schlamm gekrochen wie ein amphibischer Lauerjäger – ein Gavial. Das Quartett liefert mit „Vor“ ein beachtliches Album ab. „Auf der Suche nach einem zeitgenössischen Ausdruck des Blues“ könnte kaum trefflicher sein. „Vor“ ist am 19.Mai 2023 bei Exile on Mainstream erschienen.

Wer sich das schlicht erscheinende Cover von „Vor“ genauer anguckt, findet auf dem Stilleben von Hamid Yaraghchi, das in der Reihe „Flowers of the Terrible“ 2020 als Ölgemälde erschaffen wurde, eher verwelkte Blumen, die aus einer kopfähnlichen Vase herausragen. Farblich ist hier alles erdig und düster gehalten und mit dem breiten weißen Rahmen und der schlichten Type, die die spärlichen Infos zu Band und Songs angibt, wirkt es ebenso stilvoll wie trauernd.

Musikalisch müsste das nun eine Entsprechung bekommen… und höre da, eine Akustikgitarre spielt erdverbunden auf und es schließt sich bluesiger Gesang an. Ein getragener, melancholischer Auftakt, der allerdings nur ein Teil der musikalischen Wahrheit ist. „Circles, Part 1“ ist ein untypischer aber atmosphärischer Opener. „Circles, Part 2“ kommt dann als Auftakt für die andere Seite des Vinyls zum Tragen und verzerrt deutlich schwerer und lange instrumental. Gesang möchte ich das Laut Geben gegen Ende nun auch nicht direkt nennen, eher Klagerufe.

„A burden waits to be carried around“

Teile von Kreisen also. Die Band bewegt sich keineswegs in Kreisen, sondern in Schüben und mit Wucht. Das wirkt nicht von ungefähr hypnotisch, brachial, einnehmend und auf den Punkt. „Gavial“, gleichwohl neu benannt, musizieren bereits seit mehr als anderthalb Jahrzehnten zusammen, und dann wieder doch nicht, denn das Trio ist zu einem Quartett gewachsen, ist musikalisch gereift.

Was da bei den ehemaligen Tourette Boys gefehlt haben mag, ist nicht unbedingt der Bass. Weil Musizieren als Trio mit zwei Gitarren und Schlagzeug durchaus funktioniert, wie auch die Jon Spencer Blues Explosion eindrucksvoll bewies. Aber es mag menschlicher Kitt gefehlt haben, so dass die vier Musiker, die sich schon lange kennen nun endlich zusammen tönen. Vielleicht so wie auch die kongenialen Rotor seinerzeit ein viertes Rad am Wagen brauchten, um auf die Überholspur zu gelangen.

„Lose your mind in this Modern Times“.

Und bei soviel Wandel darf auch der ohnehin kaum passende Name auf den Prüfstand. „Tourette Boys“ klang für mich stets wie eine aufgedrehte Deutschpunk-Posse und nicht nach Klangexpeditionen in Sumpfblues. „Gavial“ hingegen, eine beinahe ausgestorbene Unterfamilie der Krokodile, deren (fast) alleiniger Vertreter auch noch in Indiens heiligem Fluss Ganges dümpelt, beschreibt das musikalische Werkeln der Vier aus der ostdeutschen, Kohle gebeutelten Wüstenweite zwischen Lausitz und Berlin beinahe kongenial, trefflich und mit Hintersinn.

Oder eben Nachhall; so wie Echo und Hall die Klangräume um die Ganges-breit und träge strömende meditative Verzerrung atmosphärisch ausfüllen und umarmen. Jeder Song eine Messe. Ein Gebet an der Klagemauer of Sound. Bis hin zum epischen, instrumentalen „Passing“. Alles ist Klang und Groove, darin finde ich auch Ähnlichkeiten zu „Sound of Smoke“. Bekanntere internationale Vergleiche hat ohnehin schon jeder zweite Schreiberling angestellt. Jetzt endlich ist bei Gavial auch nicht mehr alles DIY, sondern mit Labelunterstützung am Start: für die Breitenwirkung, die hoffentlich einsetzt.

Ich kann nur feststellen: der Untergrund lebt. Die Republik braucht sich um ihr dreckig rockiges Bestehen keine Sorgen zu machen. Immer wieder tauchen Bands auf, die seit Jahren aktiv sind, aber eben ihr eigenes Soundsüppchen kochen, da gibt es etliches zu probieren und zu genießen. Augen auf im Straßenverkehr, Ohren auch bei Festivals und in der eigenen Bubble. Geht raus und hört, geht raus und tanzt. Auch wenn es zu derbem Klammer-Blues ist. Gavial legen „Vor“ und ich schlurfe headbangend, veitsanzend nach. Ich feier das.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Gavial: Vor
Genre: blues Rock, Psychedelic Rock
Länge: 46 Minuten, 8 songs, D, 2023
Interpret: Gavial
Label: Exile on Mainstream
Format: Digital, Vinyl
VÖ: 19.05.2023

Gavial bei Instagram

Gavial bei Exile on Mainstream


Bandcamp-Auftritt Gavial