Es gibt so diese Momente, in denen mensch Zeuge wird von etwas Außergewöhnlichem. Das Album „Gravedigger’s Blues“ ist so ein gefanger Moment. Der norwegische Amateuermusiker Matt Burt scheint keinerlei kommerzielle Ambitionen zu haben…und legt doch ein Roots Music Album vor, das in seinem Minimalismus vor Weltoffenheit und Lebendigkeit nur so strotzt. Andernorts hat der Ramadan gerade begonnen und „Gravedigger’s Blues“ ist so etwas wie eine musikalische Fastenkur die auch noch Spaß macht.
„Yeah, i want, but i don’t need it. Let Hunger eat itself, ‚cause i ain’t gonna feed it.“ (Ja, ich will, aber ich brauch’s nicht. Lass den Hunger sich selbst essen, ich füttere ihn nicht.“) So der Refrain des Songs „Hunger Eat Itself“, Track 3 auf „Gravediggers Blues“. Und diese Autophagie, die einsetzt, wenn das Fasten lange genug durchgehalten wird, ist für den Körper reinigend bis hin zur Selbstheilung. So erneuern sich die Zellen und entrümpeln mal den ganzen Ballast.
Rumpeln ist ein gutes Stichwort. Bei Matt Burt und seinen beiden kongenialen musikalischen Mitstreitern geht es auf den ersten Eindruck recht rumpelig zu. Hinzu kommt ein eher minimalistisches Musikkonzept und eine eher hohe Gesangsstimme, die schon eigenwillig ist. Ich verstehe jeden, der bei dieser groben Einsortierung schon mal dankend abwinkt.
Der Küster, der Musiker und der Totengräber Matt Burt
Andere aber lauschen dem Totengräber andächtig und fasziniert. Befremdlich ist das Cover mit einer maskierten Person, die aussieht wie ein gruftiger Imker, aber eher eine Pestmaske trägt, wie sie im Umgang mit Toten beizeiten üblich war. Matt Burt ist norwegischer Abstammung. So man den Labelinfos glauben kann. Geistert seit Beginn der 1990er durch die Musikszene von Trondheim. Hat zu der einen oder anderen Nummer aus dem Motorpsycho-Umfeld beigetragen. Und verdient seinen Lebensunterhalt lieber ohne seine Kunst zu verkaufen.
Insofern rätselhaft, warum nun „Gravedigger’s Blues“ erscheint, wenn der Landschaftsgärtner, Küster und Totengräber von Marvik Kirke doch beschlossen hat sich zukünftig der tibetanischen Meditation zu widmen. Anders herum, überhaupt nicht rätselhaft. Wer auch immer sich mit der eigenen Kreativität beschäftigt, kommt unweigerlich an den Punkt, wo die Frage aufpoppt, ob mensch zum Kunstkonsum noch etwas beisteuern soll, will oder kann. Wenige ziehen den demütigen Schluss, dass schon genug da ist und die Kreativität vielleicht am schönsten zur unmittelbaren Bespaßung der eigenen Posse taugt.
Archaischer Acoustic Blues von feinsten
Einen ähnlichen Eindruck hatte ich seinerzeit auch bei William Elliot Whitmores „Animals in The Dark“. Doch im direkten Vergleich wirkt jenes Album beinahe hochfidel, also hi fi. Und deutlich pathetischer als dieser Totengräber hier. Dem gelingt mit „Gravedigger’s Blues“ was auch „Safari Station“ geglückt ist: eine zeitgenössische, fiebrige Interpretation uramerikanischer Musiktraditionen.
Glücklicherweise konnte sich Matt Burt noch ein großartiges Album abringen. „Gravedigger’s Blues“ ist auch ohne die ungewöhnliche Backstory eine Pflichtverantstaltung für alle, die auf erdigen folklastigen Blues stehen. In rund vierzig Minuten entfachen die „Beschäftigten Toten“ eine Spontanparty auf der Veranda, die sich gewaschen hat.
Der Titelsong „Gravedigger’s Blues“ eröffnet den Reigen mit einem akustischen, rootsigen und entspannten Blues. Irgendwie hört es sich weniger nach Mississippi Delta an, als vielmehr nach afrikanischen Blues aus Mali. Ali Farka Toure springt da ins Gedächtnis. Oder auch Rokia Traore. Oder die Tuareg Wüstenrocker von Tinariwen. Aber eben auch Mississippi John Hurt. Was an dem eigenwilligen eher hohen Gesang liegen mag. Der Auftakt ist jedenfalls hypnotisch.
Afrikanische Wurzeln
Und es geht in gleicher Manier weiter. „Don’s Oasis“ legt einen flotten Trott vor, der durchaus straßenkompatibel ist, um dann im Refrain das Tempo zu stoppen und sich in der Oase auszuruhen. Freundlicherweise gesellt sich auch noch eine weibliche Stimme zum Refrain. Und weiter geht’s. „Hunger Eat itself“ ist sehr ruhig, wird vom Sprechgesang getragen und hat einen beinahe pastoralen Charakter, der fast mantraartig wirkt.
„Watersnake“ evoziert dann Bildwelten an den Ufern des großen Stroms. Ist stimmungsvoller und wieder von dieser etwas vertrackten, afrikanischen Rhythmik geprägt, die vielleicht vor allem von dem konstanten Gitarren Drone bestimmt wird. Auf der Stimme liegt Hall und alles fließt. „Roadie“ besingt denselben, der kein Leatherman hat und auf dem Gehsteig schläft. Der Song ist etwas countryartiger, von wärmerem Sound und anderem Flow. Irgendwie drängelt sich dann aber doch noch ein knarziges Gitarrensolo rein.
„Love’s Missing“ führt den Gravedigger’s Blues dann in noisigere Gefilde. Es wird rumpeliger und rudimentärer, der Gesang steigert sich zur Wüterei, während perkussiv geklagt wird, dass die Liebe fehlt. Wuchtig und fast schon Indie-Rock mit frühem Bad Seeds Pathos. „Picker’s Blues“ bringt die nötige Verschnaufpause mit Spoken Word Performance, die von distanzierter Gitarre begleitet wird. Erstaunlicherweise fühle ich mich dabei an frühe Songs der Proto-Rap-Ikonen The Last Poets erinnert.
Tibetischer Buddhismus in Studium und Praxis
Deren erste Alben „The Last Poets“ (1970) und „This is Madness“ (1971) verpackten politische Gedichte in Sprechgesang zur Trommelbegleitung und rockten so das Establishment. Zudem hat einer der Hauptpoeten, Umar Bin Hassan, ebenfalls eine eher hohe Stimme. Ich doziere schon wieder so lange rum, ‚scusi.
Zwei noch. „Idiot’s Guide to Idiots“ ist wieder beinahe beschwingter Rumpel-Indie. Macht irre Laune und gefällt wie ohnehin das gesamte Album. Zum Abschluss gibt es dann noch eine spontan wirkende Akapella-Nummer. „Marshmellow Casket“ (A Tribute to John Prine) begleitet Matt Burt, wie er singend und scheinbar spontan reimend durch ein Gebäude geht. Mag sein, dass der Küster da bei der Arbeit ist, muss aber nicht.
Das ist auch nicht wirklich gesungen, sondern eher vor sich hin gebrummelt, hat aber gerade darob dem Charme einer Feldaufnahme („Field Recording“) wie sie das in den USA eine Zeit lang in Folkangelegenheiten gesammelt wurden. John Prine nun wieder ist ein im Jahr 2020 verstorbener Songwriter im Country-Folk Bereich, der für seinen Humor ebenso bekannt war wie für seine Protestsongs.
Matt Burt and the Busy Dead legen mit „Gravedigger’s Blues“ ein herausragendes Album im Roots Musik Bereich hin. Soviel Mut zum schlichten Musizieren war selten. Das hat Größe, Stil und Klasse wie wenig, das in den vergangen Jahren aus Amerika gekommen ist.
Album-Wertung: (9 / 10)
Matt Burt & the BusyDead – Gravedigger’s Blues
Genre: Blues, Folk, Indie
Länge: 40 Minuten, 10 Songs
Interpret: Matt Burt & the Busy Dead
Label: Crispin Glover Records
Vertrieb: Stickman Records
VÖ: 24.03.2023
Besetzung:
Matt Burt – Vocals & Guitar
Mattis Kleppen – Bass & Stompbox
Kyrre Laastad – Drums & more