Ansichten am Donnerstag #62: Musicals

Bisweilen finden sich im Archiv noch Überbleibsel. So diese Kolumne über „Musicals“ von 2012. Viel Vergnügen mit dem Text. Nein, zu behaupten, das Musical als Kunstform wäre tot, ist sicherlich übertrieben. In der Eventstadt Hamburg laufen die Musiktheater zwar auch nicht mehr so selbstverständlich wie einst und „Sister Act“ verabschiedet (2012) sich nach ewigen Jahren von der Bühne. Auf der Leinwand vermittelt der Broadway-Hit „Rock of Ages“ alles, aber keinen Rock’n’Roll. Da liegt vielleicht ein grundsätzliches Missverständnis vor.

Denn was auf der Bühne funktioniert, muss im Film noch lange kein Selbstgänger sein. Die Zuschauer einer Liveaufführung haben immerhin den Vorteil wirklich, leibhaftig dabei zu sein, wenn auf der Bühne gesungen und getanzt wird. Das kann bei guter Stimmung ansteckend wirken und wunderbare Erlebnisse vermitteln.

Diese Unmittelbarkeit fällt auf der Leinwand flach, weswegen ja auch Konzert-Videos nicht so spannend sind. Da fällt im Fall der Musicals dann schon auf, wenn eine Geschichte nicht ausformuliert ist, wenn die Choreographie banal ist, wen Klischees aneinander gereiht werden und einige Witze lassen sich einfach nicht übertragen. Das muss ausgeglichen werden und so werden Stars verpflichtet, die das Kinopublikum gerne sieht.

Glam Rock Times Are Gone

Irgendwie scheint das klassische Musical und auch seine Verfilmung ausformuliert. Fred Astaire ist lange Geschichte, das Rockmusical hatte in den 1970ern seine Glanzzeit und die modernen Musicals verstehen sich eher als Hit-Potpurri, das einen gewissen Zeitgeist einfangen will. Die Musik wird meist aus einer Epoche oder von einem Künstler genommen und so lebt Buddy Holly wieder auf und in den beatenden Sixities tanzt sich eine Generation aus dem Muff der Spießigkeit. Vielleicht war der König der Löwen das letzte große Musical und da wurde der Disney-Zeichentrickfilm als Vorlage genommen und nicht umgekehrt.

Musical als uramerikanische Bühnenkunst hat auch in der modernen Unterhaltungswelt ihren Platz. Ob auch auf der Leinwand, wage ich zu bezweifeln. Gerade Rockmusik mit ihrem irgendwie noch immer unterstellten rebellischen Geist verträgt sich nicht wirklich mit der harmoniesüchtigen heilen Welt des Musicals. Vielleicht spricht sich das auch irgendwann mal bis nach Hollywood durch. Aber die haben Glam-Rock ja auch für die Neuerfindung des musikalischen Rades gehalten.

Viel Spaß im Kino.

(ursprünglich veröffentlicht bei cinetrend.de am 14.06.2012)