Ansichten am Donnerstag # 60: Die Pforten der Wahrnehmung

Eines meiner liebsten Filmzitate stammt aus Jim Jarmuschs „Dead Man“ und ist dem englischen Maler und Lyriker William Blake entliehen: „If the doors of perception were cleansed, everything would appear to man as it is, infinite.” In regelmäßigen Abständen habe ich auch das Gefühl, meine Wahrnehmung reinigen zu müssen. Vor allem meinen Gesichtssinn.

Dies Zitat aus Blakes Hauptwerk „Die Hochzeit von Himmel und Hölle“ beschreibt im Film die Klarsichtigkeit des Sterbenden. Und der englische Schriftsteller Aldous Huxley („Brave New World“) hat die „Pforten der Wahrnehmung“ bei Blake ausgeliehen, um seinen Aufsatz über LSD als Mittel zur Bewusstseinserweiterung zu betiteln.

Hier und jetzt geht es um weit Profaneres: Im vergangenen Jahr habe ich über den Daumen gepeilt rund 400 Filme gesehen. Ich hatte angekündigt, dass ich das mal genauer untersuche. Filme als Arbeit und Privatvergnügen, Dokus und Thriller, Aktuelles und Klassiker, Historienschinken und Horror, zur Unterhaltung oder weil mich ein Thema interessiert hat, alleine oder in Gesellschaft, im Kino oder auf der Couch. Nicht mitgezählt sind dabei die etlichen Filme, die ich nur mal getestet habe und die mich schon nach 15 Minuten gelangweilt haben.

Grob geschätzt sind im vergangenen Jahr in jeder Woche durchschnittlich zehn neue Filme in den deutschen Kinos angelaufen. Macht abgerundet etwa 5000, eine absurde Anzahl. Ins Verhältnis gesetzt bedeutet das, ich habe noch nicht einmal ein Zehntel der jährlichen Filmproduktion sondiert. Und das, obwohl ich das professionell mache!

Zuviel Input, zu wenig Qualität

Nun denn, auf jeden Topf passt ein Deckel und für jeden Film findet sich irgendwo und irgendwann ein dankbares Publikum. Ich jedenfalls habe zuviel geglotzt und die Grenzen meiner visuellen Aufnahmefähigkeit erreicht. Einer meiner Vorsätze für das neue Jahr ist es, wählerischer zu sein, bei dem, was mir unter die Augen kommt. Ein schwieriges Unterfangen, schließlich plagt einen dauernd die Angst, was Wichtiges und Tolles zu verpassen. Folgt man allerdings der Gauß’schen „Normalverteilung“ und dem Gesetz der großen Zahlen, so ist es viel wahrscheinlicher, dass der nächste Film doch nur wieder durchschnittlich wird.

Kluge Köpfe der Menschheitsgeschichte wussten schon immer, dass Quantität nichts mit Qualität zu tun hat, dass Wissen nicht gleichbedeutend mit Weisheit ist. Mein alter Geschichtslehrer hat das mal „Mut zur Lücke“ genannt. Man muss nicht alles wissen, man muss nicht alles kennen und man muss nicht immer mitreden können. Die gerade im Informationszeitalter nicht zu unterschätzende Fähigkeit, die Spreu vom Weizen zu trennen, will schließlich auch geschult werden. Frisch ans Werk.

Viel Spaß im Kino.

(ursprünglich veröffentlicht bei cinetrend.de, 18.01.2012)