Es gab Zeiten, als Architektur als Kunst angesehen wurde und die Namen von Architekten so populär und geläufig waren wie von anderen bildenden Künstlern. Der Wiener Architekt Karl Schwanzer, der 1975 verstarb, hat einige wegweisende Gebäude hinterlassen, die noch immer zu den großen Bauwerken der Nachkriegszeit zählen. Die Doku „Er flog voraus: Karl Schwanzer – Architektenpoem“ setzt dem Schaffen des einflussreichen Architekten ein filmisches Denkmal. Ab 16. Februar 2023 im Kino.
Immer wieder hat es Karl Schwanzer in die Ferne gezogen. Eine Architektin und Autorin ist davon fasziniert wie oft und wie ausgiebig Karl Schwanzer das Land und den Kontinent verlassen habe, um anderes kennenzulernen. Das sei zu seiner Zeit keineswegs üblich gewesen. Genauso ist der Architekt Schwanzer aber auch mit seiner Heimatstadt Wien verbunden, in der er Zeit Lebens ansässig war.
Regisseur und „Drehbuch“-Autor Max Gruber hat mit seinem Architekten-Pporträt „Er flog voraus“ eine hybride Filmform erschaffen. Einerseits kommen klassischerweise Archivaufnahmen von Schwanzer und seinen Werken zur Geltung, ebenso wie Interviews mit Weggefährten, Zeitzeugen und ehemaligen Studenten.
Dann aber gibt es noch eine darstellerische Ebene, auf der der österreichische Charakter-Darsteller Nicholas Ofczarek („Der Pass“, „Räuber Hotzenplotz“) den Karl Schwanzer verkörpert. Das wiederum tut er auf zwei Weisen. Zum einen gibt er in Gebäuden, die von Schwanzers Büro entworfen und realisiert wurden, architekturphilosophisches Denken Schanzers wieder.
Zum anderen hält Ofczarek quasi in der Rolle eine szenische Lesung in einem Theater. Da vermischen sich dann die Ebenen des Vortrags und der Kommunikation des Schauspielers mit dem Publikum. Das alles wirkt sehr natürlich und überzeugend. Was keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine herausragende Darstellung.
„Spezialisierung ist ein Einbahndenken.“ (K. Schwanzer)
Das „Architektenpoem“ entstand nicht aus einer ursprünglichen Idee heraus, sondern als Auftragsarbeit, die der Künstler, Autor und Filmschaffende Max Gruber von einem Sohn Schwanzers bekam, anlässlich der Einbindung des Schwanzer Archivs in das Wiener Museum im Jahr 2018. Dazu gesellte sich jene Lesung zum Festakt selbst und schließlich noch weitere Drehtage in Originalbauten.
So wird vielleicht auch verständlich, dass „Er flog voraus“ nicht die gesamte Biografie Karl Schwanzers ausbreitet und auf die Graphic Novel zur Person hinweist. So ist auch der Lobgesang dieses in mehrere Kapitel unterteilten Hymnus nachzuvollziehen. Es ist eine Feier der Kreativität und der charismatischen Persönlichkeit eines der bedeutendsten Nachkriegsarchitekten, nicht nur in Österreich.
Es ist beinahe selbstverständlich, dass in diesem Kontext negativere und fragwürdigere Aspekte aus Schwanzers Biografie bestenfalls in Zwischentöne zu erahnen sind. So etwa der Freitod des Architekten, der in einem Halbsatz als „unverständliche Entscheidung“ erwähnt wird. Auch wird bei aller genialischen Entwurfstätigkeit wenig darüber gesagt, wie der charismatische Visionär denn als Chef so war. Wer nachts noch im Büro auf verworfene Entwurfsskizzen im Papierkorb stößt, ordnet dem kreativen Impuls eventuell zuviel soziale Kompetenz unter. Doch das muss der Film ebenso wenig leisten wie den Verweis auf das dubiose Thema von Schwanzers Diplomarbeit, das an dieser Stelle auch nicht überbewertet werden soll. Schließlich finden Interessierte an anderer Stelle offen zugängliche Informationen darüber.
„Das Vollendete ist die Arroganz.“ (K. Schwanzer)
Karl Schwanzers Bauten umfassen das „immer noch moderne“ (Zitat BMW-Vorstand) BMW-Bürohochhaus in München, das Sprengel Museum in Hannover, den österreichischen Pavillon zur Weltausstellung in Brüssel 1958, auf der auch das Atomium präsentiert wurde. Der Bau wurde später in Wien errichtet und ist heute ein Museumsgebäude. Sowie auch das österreichische Expogebäude zur Weltausstellung 1970 in Osaka. Außerdem ist auch das Phillips Gebäude in Wien von Schwanzers Büro entworfen.
Das alles wird mit viel Verve und Enthusiasmus und gehaltvollen Bildern vorgetragen und auch Schwanzers für damalige Verhältnisse ungewöhnlich liberale Lehrtätigkeit kommt in den Interviews zum Ausdruck. Der Mann war nicht nur ein „Fachingenieur“ sondern ein Künstler, der sein Fach als einflussreichen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft verstand. „Architektur ist ja nicht etwas Statisches, sondern wird erlebt.“
Vielleicht ist es in der Entwicklungsgeschichte dieser poetischen Doku begründet, dass Einiges unerwähnt bleibt, was dem Narrativ vom wegweisenden Visionär nicht so ganz entspricht. Andererseits ist es legitim und in diesem Fall sehr gelungen, einen Hymnus auf dieses außergewöhnliche Schaffen zu komponieren. Da zeigt sich durchaus viel Inspiration für gegenwärtige und kommenden Architekturdiskurse. Das Denken und kritische Hinterfragen darf dem mündigen Publikum wohl selbst überlassen werden.
Film-Wertung: (7 / 10)
Er flog voraus: Karl Schwanzer – Architektenpoem
Titel: Er flog voraus
Genre: Doku, Biografie,
Länge: 73 Minuten, A, 2022
Regie: Max Gruber
Mitwirkende: Nicholas Ofczarek, Angelika & Dieter s. Hoppe, Wolf D. Prix, Caroline Schwanzer
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 16.02.2023