The Banshees of Inisherin: Bis einer heult

Im Grunde geht es in Martin McDonaghs neuem Film „The Banshees of Inisherin“ um das Ende einer Freundschaft. Nicht weniger und auch nicht mehr. Doch was bei dieser emotionalen Tour de Force letztlich herausspringt ist derart vielschichtig und tiefgründig wie das Publikum es nach „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ erwarten konnte. Dass die beiden großartigen irischen Schauspieler Brendan Gleeson und Colin Farrell nach „Brügge sehen und sterben“ wieder gemeinsam vor der Kamera stehen ist ein Geschenk. Im Kino ab 5. Januar 2023.

Man schreibt das Jahr 1923. Auf der abgelegenen (fiktiven) Insel Inisherin im Westen Irlands leben nur wenige Leute. Pádraic (Colin Farrell) und Colm (Bendan Gleeson) sind seit ihrer Kindheit befreundet. Pádraic lebt mit seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) zusammen und Colm hat einen Hund. Jeden Tag um zwei treffen sich die Freunde auf ein Pint im Pub. Bis Colm eines Tages beschließt, dass er nicht mehr mit Pádraic befreundet sein will.

Dafür gibt es keinen besonderen Anlass. Weshalb der konsternierte Kumpel es auch nicht akzeptieren kann, von Colm verstoßen zu sein. Immer wieder geht Pádraic auf den Freund zu, denkt er hätte etwas falsch gemacht und ist stets um Aussöhnung bemüht. Doch Colm bleibt unerbittlich und reagiert zunehmend genervt. Er stellt Pádraic sogar ein Ultimatum, sollte der ihn noch einmal ansprechen. Auch das Dorf ist irritiert.

„An wieviele Leute aus dem 17. Jahrhundert erinnert man sich, die nett waren?“ (Colm)

Als Filmmacher ist Martin McDonagh der Mann für irrwitzige Geschichten, bei denen lange nicht absehbar ist, in welche Richtung sich eine Ausgangssituation entwickelt. Oft genug vermengen sich dabei unterschiedliche emotionale Extremzustande zu einer seltsamen Mixtur, die das Publikum erstaunlich angefasst zurücklässt. Das funktioniert in der Killer-Komödie „Brügge sehen und Sterben“, ebenso wie in der visualisierten Schreibblockade in „7 Psychos“ und in dem aberwitzigen Melodram „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“. Darin macht auch „The Banshees of Inisherin“ keine Ausnahme.

Allerdings nimmt die irischste aller Tragödien, die den beiden Hauptdarstellern auf den Leib geschrieben ist, auch die trostloseste Weggabelung, die sich denken lässt. Die Ausgangssituation ist umgehend klar, das Publikum ebenso konsterniert wie Pádraic. Gemeinsam versuchen wir dem plötzlichen Ende dieser Beziehung auf den Grund zu kommen. Allein, es lässt sich nicht erklären. Der Gegenüber entzieht sich, man ist allein und ratlos.

Typischerweise setzt nun die Selbstreflektion ein. Die Suche nach Ursachen und eigenem Fehlverhalten. Doch nein, Colm ist es einfach müde. Seine eigenen Dämonen jagen ihn in eine andere Richtung. Diese lebenslange Freundschaft ist plötzlich ein Klotz am Bein, eine Behinderung. Und hier offenbart sich ein grundsätzlicher Konflikt zwischen zwei Typen von Menschen. Die einen wollen ihre Spuren in der Welt hinterlassen. Die anderen halten das Leben an sich, das Auskosten des Augenblicks, für den Sinn der Existenz.

Nun kommen noch weitere Aspekte des Lebens hinzu, die eine solche Situation erschweren. Insellage ist da ein Stichwort. Eine Insel ist von Natur aus ein begrenzter Raum für Menschen. Selten sind Inseln dicht bevölkert. Der Mensch muss – wie auf dem Dorf – anders mit seiner Mitwelt auskommen als in der anonymen Großstadt. In so einer Situation echte Freunde zu finden ist selten, sie zu verlieren katastrophal.

Colm: „Er ist langweilig.“ Siobhán: „Er war schon immer langweilig.“

Und dann wäre da noch der Rest der verkorksten, verkommenen Inselrotte. Machtgeile Ordnungshüter, der vermeintliche Dorftrottel, die Musikanten, die Tratschbasen und die Trinker. Und die Banshee, also die Frau aus den Hügeln, die Frau aus dem Geisterreich, die Todesbotin der keltischen Mythologie.

Boshaft, wer Inisherin mit Irland gleichsetzt. Selbst wenn der Zwist der Freunde im Jahr des irischen Bürgerkriegs angesiedelt ist. Denn letztlich bietet „The Banshees of Inisherin“ keine Gründe und keine Lösungen für das irische Problem. Religion ist nicht einmal ein erwähnenswertes Thema in dem schwarzhumorigen Drama.

Und dennoch wägt der beobachtende, mitdenkende, mitfühlende Zuschauerblick die Tragweite, die Optionen und die Katharsis dieser sich anbahnenden Tragödie ab. Am Ende bleibt nicht einmal die Musik als beständige Zuflucht und Trost, ebensowenig der Alkohol. So etwas muss der Mensch (auch zuschauend) erst einmal aushalten können. Oder frau wendet sich ab wie einst die Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.

Das Drama „The Banshees of Inisherin“ hat erheblichen Anteil an Galgenhumor, der einem auch schon mal im Halse stecken bleibt. Die Geschichte nimmt ebenso überraschende wie finstere Wendungen und das Ensemble ist einmal mehr herausragend. Es gibt viel zu bestaunen und viel zum Nachdenken. So richtig fröhlich bin ich allerdings nicht aus dem Kino gekommen.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

The Banshees of Inisherin
OT: The Banshees of Inisherin
Genre: Drama, Komödie,
Länge: 114 Minuten, USA, 2022
Regie: Martin McDonagh
Darsteller: Colin Farrell, Kerry Condon, Brendan Gleeson,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Walt Disney Pictures (Fox Searchlight)
Kinostart: 05.01.2023