Weißes Rauschen: Ich kaufe also bin ich

Da beschert Netflix den Kinozuschauern eine kleine Weihnachtsüberraschung. Die Film-Produktion „White Noise“ kommt am 8. Dezember 2022 in die Kinos, bevor der Film auf der Streaming-Plattform am 30. Dezember Premiere feiert. Regisseur Noah Baumbach fühlt der amerikanischen Gesellschaft mal wieder auf den Zahn. Erneut arbeitet er mit Greta Gerwig und Adam Driver zusammen und das Ergebnis ist in gewisser Weise typisch, auch wenn es sich um eine Literatur-Adaption nach Don DeLillos Roman handelt.

College-Professor Jack Gladney (Adam Driver) ist zufrieden. Seine Patchwork-Familie mit Babette (Greta Gerwig) funktioniert und die Kinder aus unterschiedlichen Ehen kommen irgendwie miteinander aus. Babette ist irgendwie abgespannt, bekommt von ihrem Arzt aber ein wirksames Medikament im Versuchsstadium verordnet.

„Entweder kaue ich Kaugummi, oder ich rauche.“ (Babette)

Jack hat sich in seinem Fachgebiet „Hitler-Studien“ einen Namen gemacht und ist international einer der führenden Hitler-Experten, obwohl er nach Jahren des Sprachunterrichts immer noch kein Deutsch kann. Demnächst steht ein Hitler-Kongress an Jacks Alma Mater an. Mit seinem neuen Kollegen Murray (Don Cheadle) versteht sich Jack blendend. Murray will für die Elvis-Forschung erarbeiten, was Jack für Hitler geschafft hat.

Doch dann gibt es einen Unfall, der in der Nähe eine chemische Wolke freisetzt und die ganze Stadt wird evakuiert. Das verstärkt auch die Angst der Gladneys vor dem Tod. Eine Urangst, die sich vor allem beruhigen lässt, wenn die Familie Shoppen geht. Nicht umsonst sind die Supermärkte die Tempel unserer Zeit.

Don DeLillo gilt als einer der wichtigsten US-amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Sein 1985 erschienener Roman „White Noise“ (deutschsprachige Ausgabe bei KiWi) hat einen Großteil dazu beigetragen. Eigentlich gilt der Roman als unverfilmbar, auch und gerade, weil es eigentlich keine Handlung gibt. Stattdessen beobachtet der Roman und auch der Film die Familie Gladney in ihren Alltagssorgen und Nöten. Das ist bisweilen sehr dialoglastig und es wird immer viel geredet. Über dies und das, den Tod, das Shoppen, Elvis und Hitler, Nichtigkeiten, Wichtigkeiten.

„Das ist jeweils unser vierte Ehe.“ (Jack)

Filmmacher Noah Baumbach kommt das aus zwei Gründen entgegen. Erstens galt er eine Zeit lang als legitimer Nachfolger von Woody Allen was stadtneurotische Beziehungsanalysen angeht, zweitens ist Baumbach New Yorker, wie Allen, wie Don DeLillo. Die Milieus, die die drei beschreiben, ähneln sich, sofern amerikanische oder stadtneurotische Befindlichkeiten behandelt werden.

In der Tat ist „White Noise“ ein fantastisch ausgestattetes akademisches Kleinstadtmillieu mit all seinen „Achtziger Jahre“-Neurosen. Das ist die Zeit des Kalten Krieges, der Endzeitstimmung und der Heilsversprechen des Konsums. Umgesetzt wird das bei Baumbach vor allem mit Ausstattung und Kostüm, bei DeLillo – soweit ich das erinnere – mit absurder Ernsthaftigkeit.

Genau an dem Punkt beginnen meine Schwierigkeiten mit der Verfilmung von „White Noise“. Mir ist das Leinwandgeschehen zu offensichtlich absurd angelegt, zu effektheischend ausstaffiert. Nuanciert mag das Spiel von Gerwig und Driver sein, subtil inszeniert ist es nicht. Wenn die Protagonisten dann noch verkleidet und damit unglaubwürdig wirken, verkommt jede gesellschaftliche Analyse zur Slapstick-Pointe.

Der luftübertragene toxische Vorfall

Anders beispielsweise Paul Thomas Andersons Verfilmung eines Thomas Pynchon Romans. „Inherent Vice“ ist weder das Hauptwerk des großen Schriftstellers, noch wird das Milieu durch Ausstattung karikiert, dadurch fängt der Film kongenial die Stimmung des großartigen Romans ein.

Wobei dann in „White Noise“ doch nicht alles in Einzelteile zerfällt. Die Szenen im Supermarkt, von denen es auch im Buch einige gibt, die essentiell sind, sind furios inszeniert. Die endlosen Regalreihen immergleicher Produkte und Variationen sind eben jener Nährboden der DeLillo‘schen amerikanischen Kleingeistigkeit und nahezu perfekt bebildert. Aber ein entsprechendes Musikvideo hätte dazu vielleicht genügt? Den Soundtrack liefern New Yorks very own LCD Soundsystem ohnehin.

An und für sich ist „White Noise“ als Film in sich stimmig und in seiner Überzeichnung konsequent. Nur leider wirken ausgerechnet die beiden Hauptdarsteller:innen derart verkleidet, dass sie für mich unglaubwürdig werden. Zudem ist mir die Satire insgesamt zu überkandidelt was dem Sound der Vorlage nach meiner Lesart nicht gerecht wird. Schöner Scheitern im Tempel des Konsums.

Film-Wertung: 4 out of 10 stars (4 / 10)

Weißes Rauschen
OT: White Noise
Genre: Drama, Satire
Länge: 136 Minuten, USa, 2022
Regie: Noah Baumbach
Vorlage: Gleichnamiger Roman von Don DeLillo
Darsteller:innen: Adam Driver, Don Cheadle, Lars Eidinger, Greta Gerwig
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Netflix
Kinostart: 08.12.2022
Netflix-Start: 30.12.2022

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