Leave no Trace: Nicht gesellschaftsfähig

Die amerikanische Independent-Filmerin Debra Granik dreht nicht gerade viele Filme, nach „Down to the Bone“ (2004) und „Winter’s Bone“ (2010) ist „Leave no Trace“ gerade einmal ihr dritter Spielfilm. Dabei gelang ausgerechnet die noch unbekannte junge Hauptdarstellerin Thomasin Harcourt McKenzie eine herausragende und schillernde Darstellung. Erstaunlicherweise gab es für einen der intensivsten Filme von 2018 keine Oscar Nominierung. Ein Wiedersehen im Naturpark.

Vater Will (Ben Foster) und die jugendliche Tom (Thomasin Harcourt McKenzie) leben abgeschieden in der Wildnis. Regelmäßig wechseln die beiden den Standort, um nicht entdeckt zu werden. Eines Tages bemerkt ein Jogger das Mädchen. Tom versteckt sich reglos, wie Will es ihr beigebracht hat, und denkt, alles sei in Ordnung. Doch weit gefehlt: Der Läufer benachrichtigt die Polizei und diese durchkämmen den Wald mit Spürhunden. Der Waldstellt sich als ausgedehnter Naturpark heraus.

Will und Tom werde aufgelesen und der der Sozialbehörde übergeben. Man versucht etwas über die Beiden herauszufinden. Obwohl es für Tom keine Schulaufzeichnungen gibt, ist ihr Wissenstand fortgeschrittener als in ihrem Alter üblich. Will hingegen wird einem standardisierten Test unterzogen, um sein Gefährdungspotential zu schätzen. Bereits nach wenigen Fragen der Computerstimme, ist Will paralysiert.

Leben im Wald

Der Versuch der Behörde Vater und Tochter gesellschaftlich zu integrieren führt zu einem Weihnachtsbaum-Farmer. Der bietet Vater und Tochter Unterkunft und Arbeit an. Kriegsveteran Will tut sich schwer damit, sich anzupassen. Tochter Tom blüht in menschlicher Gesellschaft beinahe auf.

Die Geschichte in dem Abenteuerdrama „Leave no Trace“ mutet eigenbrötlerisch und asozial an: Vater und Tochter leben abgeschieden und nomadisierend in der Wildnis. Doch bei genauerem Hinsehen ist das subtile Drama von Filmmacherin Debra Granik weniger Survival-Action oder Hinterweltler-Thriller als vielmehr eine überraschende und kluge Gesellschaftsstudie.

Der Film basiert in zweiter Ableitung auf realen Begebenheiten, oder geht vielmehr von einem realen Geschehnis aus. In einem großen Naturpark, dem Forest Park“ in der Stadt Portland im amerikanischen Bundestaat Oregon griff die Polizei vor einigen Jahren einen Vater und seine pubertierende Tochter auf, die offensichtlich in der Parkwildnis gelebt habe.

Der amerikanische Autor Peter Rock hat 2009 den Roman My Abandonment“ veröffentlicht. Genauere Infos gab es nicht, aber des Autors Neugier war geweckt, weswegen er diese wahre Geschichte als Ausgangspunkt für einen Roman nahm. Nun ist „Leave no trace“ („Hinterlasse keine Spur“) die Verfilmung dieser außergewöhnlichen Geschichte.

Angst vor Gesellschaft

Die amerikanische Independent-Filmerin Debra Granik dreht kaum Filme, „Leave no Trace“ gerade einmal ihr dritter Spielfilm. 2014 gab es noch das Doku-Porträt „Stray Dog“. In „Winter’s Bone“ wusste eine damals noch unbekannte Jennifer Lawrence („Silver Linings“) in der Hauptrolle derart zu überzeugen, dass sie sogleich für den Oscar nominiert wurde. Vielleicht ist dies eine Parallele zu „Leave no trace“. In der jugendlichen Hauptrolle der Tom ist die gerade einmal 18jährige Neuseeländerin Thomasin Harcourt McKenzie eine Offenbarung.

Die Newcomerin legt in die durchaus fordernde Rolle Reife, Ernsthaftigkeit und Souveränität hinein, wie man es nicht erwarten würde. Das entspricht durchaus jener Furchtlosigkeit ihrer überlebenstauglichen Figur, die sich gewandt durch den Urwald bewegt. Ben Foster („The Mechanic“), ist ein kongenialer Schauspielpartner. Beiden Darstellern gelingt es beinahe wortlos, das Innere der Charaktere sichtbar zu machen. Das ist nicht nur ganz große Schauspielkunst, sondern auch eine großartige Leistung der Kamera.

Kameramann Michael McDonogh arbeitet schon lange mit Debra Granik zusammen. Immer wieder findet er intime Momente und auch Perspektiven, die anmuten, als würde ein ansitzender Jäger aus seine schleichende Beute im Unterholz beobachten. Das sorgt für starke Bilder und auch für die Mobilisierung von menschlichen Urängsten, die sich bereits die Märchen mit dem Gruselbild des tiefen, dunklen Waldes zunutze machen.

Lernen und Erwachsen werden

„Leave No trace“ ist dabei kein Survival-Film im herkömmlichen Sinne. Vielmehr geht es um das Überleben der Seele. Die Geschichte dreht sich auch um einen traumatisierten Veteranen. Der kann nicht mehr mit anderen Menschen zusammenleben. Ein Problem, für das es – gerade in den USA –keine einfachen Lösungen gibt. Immer wieder bilden sich Zeltstädte von Außenseitern und solchen, die durch das soziale Netz fallen.

Das ist keinesfalls gleichbedeutend mit einem gesellschaftlichen Versagen.Will ist durchaus in der Lage seine heranwachsende Tochter zu einer starken Persönlichkeit und einem selbstbestimmten, klugen Mädchen zu erziehen. Deren Entwicklungsgeschichte ist das emotionale Herzstück des Dramas.

Das könnte durchaus auch als Jugendfilm funktionieren wie etwa „Alabama Moon“. Auch und gerade, weil der Film hauptsächlich Toms Perspektive einnimmt Die grundsätzlichen Fragen an die Gesellschaft sind dabei, wieviel Freiraum und Individualismus eine Gemeinschaft überhaupt zulassen will oder kann? Was geschieht mit jenen, die durchs Raster fallen? Dafür sind das ruhige Tempo und der unaufgeregte Tonfall des Dramas substanziell wichtig.

In dem sehenswerten, amerikanischen Indie-Drama „Leave No Trace“ begibt sich Regisseurin Debra Granik wie in „Winter’s Bone“ erneut an den Rand der amerikanischen Gesellschaft und fördert Kluges und bewegendes zu Tage. Gerade die großartige Newcomerin Thomasin Harcourt McKenzie macht den Film bewegend. Tolle Darsteller, epische Urwälder. Amerikanisches Independent-Kino vom Feinsten.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Leave No Trace
OT: Leave No Trace
Genre: Drama, Familie, Survival
Länge: 109 Minuten, USA, 2018
Regie: Debra Granik
Darsteller:innen: Thomasin Harcourt McKenzie, Ben Foster
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: Sony
Kinostart: 13.09.2018
DVD-& BD-VÖ: 23.02.2019