Ansichten am Donnerstag # 59: Babelfisch und Bildnisverbot

Erstaunlich genug, dass ein schlechtes, schäbiges Internetfilmchen solche Wellen schlagen kann, wie das momentan (2012) der Fall ist. Bisher wollte ich als Schildkröte wiedergeboren werden, aber zurzeit strebe ich eine Reincarnation als religiöser Fundamentalist oder Faschist an. Das Leben kann so einfach sein.

Erst als Douglas Adams legendärer Babelfisch, der in „Per Anhalter durch die Galaxis“ die kosmische Kommunikation garantiert, im Internetz zappelt, findet die Empörung islamischer Fundamentalisten ihren Weg. Zuvor war der in Amerika gedrehte vierzehnminütige „Filmtrailer“ zu „Die Unschuld der Muslime“, seit Monaten auf Youtube zu sehen, nicht sonderlich beachtet worden.

Jetzt empört sich die halbe arabische Welt gegen den imperialistischen Feind USA, und religiöse Eiferer nutzen die geschmacklose antiislamische Propaganda als Vorwand um ein ganzes Land in Sippenhaft zu nehmen und Menschen zu töten. In den USA beginnt nach den Protesten, Fahnenverbrennungen und Ausschreitungen eine Hetzjagd auf den oder die Macher.

Na gut, der Babelfisch-Vergleich hinkt, weil es irgendjemand offensichtlich für nötig befunden hat, das Filmchen auf Arabisch zu synchronisieren. Ohne den „Film“ je gesehen zu haben, behaupte ich mal, offensichtlicher geht dumpfes Provozieren und Beleidigen kaum. Erstaunlicher Weise springt die angepeilte religiöse Gruppierung auch wie von der Tarantel gestochen drauf an und rastet aus.

Sprachverwirrung und Untertitel

Komplette Überreaktion; wie eigentlich immer, wenn Menschen mit engem, striktem Weltbild, mit genauer Vorstellung von gut und böse, richtig und falsch die Welt betrachten. Wie einfach muss so ein Leben, so eine Weltsicht sein? Schon Laotse wusste, dass Einfalt ein Geschenk ist und mit dem Denken auch der Zweifel beginnt – und damit der Stress.

Religion und Glaube scheinen momentan in der Filmwelt eine kleine Konjunktur zu haben; auch bei den Filmfestspielen in Venedig gab‘s einen kleinen (katholischen) Skandal und nun das: Ein unter mysteriösen Umständen entstandener Propagandafilm, der den Propheten Mohammed verunglimpft. Scheinbar weiß niemand, wer genau hinter dem Machwerk steckt.

Schauspieler distanzieren sich davon und reden von nachträglicher Manipulation des Material, das Geld soll von israelischen „Produzenten“ kommen und ein fundamentalistischer US-Fernsehprediger stellt sich gleich hinter das islamfeindliche Machwerk. Aber alles an dieser tragischen Posse ist so fadenscheinig, so verschwörungsschwanger und unglaublich dumm, dass man es kaum mit Aufmerksamkeit bedenken sollte. Wer veröffentlicht schon einen vierzehn Minuten langen „Trailer“? Wo sind denn die Youtube-Filter, wenn man sie mal braucht?

Religiöser Eifer und die Existenz des Andersgäubigen

Die militanten islamischen Fundamentalisten ihrerseits sind mit dem Bilderverbot – das übrigens nicht im Koran stehen soll – schon genug gestraft; kein Wunder, das ihnen jegliches Verständnis von modernen Kommunikationszusammenhängen abgeht und sie blindlings auf jede (bildliche) Provokation anspringen, siehe auch dänische Mohammad-Karikaturen: Es liegt in der Sache, dass es dann immer gleich drastisch wird und mindestens eine Fatwa dabei rausspringen muss.

Mir mangelt es komplett an Verständnis gegenüber geistig bornierten, militanten Faschisten und dazu zählen auch religiöse Eiferer: Der Ungläubige an sich ist doch schon nichts wert. Wie kann ein Islamist also davon ausgehen, dass der Ungläubige den Islam respektieren würde? Die Logik erschließt sich mir nicht. Auch nicht, dass der Islamist nicht versteht wie die westliche Gesellschaft organisiert ist, dass es einen Grad an Freiheit gibt, der als hohes Gut angesehen wird, auch wenn diese Freiheit gelegentlich missbraucht oder falsch verstanden wird. Mag ja dekadent sein, ist aber Fakt und insofern ebenfalls zu respektieren.

Auch wenn das jetzt gefloskelt ist: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Anderen. Den Militanten und den Provokateuren mangelt es gleichermaßen an Respekt und Demut und zwar auch in religiösem Sinn: Respekt gegenüber dem Leben, denn es gibt keinen Glauben, in dem dieses nicht heilig, also Gott gegeben ist, und Demut gegenüber ebenjener Gottheit, die das Leben geschaffen hat. Ach ja, Ungläubigen sind ja keine Menschen. Wie fest kann so ein Glaube sein? „Zur Kreuzigung bitte Rechts rum. Jeder nur ein Kreuz.“ (aus Monty Python’s „Das Leben des Brian“, 1979)

Reinkarnation ist kein Wunschkonzert, sondern Folge der Bemühungen in vorangegangenen Leben, vielleicht klappt’s ja doch noch mit der Schildkröte, aber das ist eh nicht eure Baustelle, ihr fundamentalistischen, religiösen und ideologischen Eiferer aller Couleur.

„Zwei mal drei macht vier,
widewidewitt und drei macht neune,
ich mach mir die Welt,
widewide wie sie mir gefällt.“

(ursprünglich veröffentlicht bei cinetrend.de, 13.9.2012)