Geborgtes Weiß: Balkanrouten

Das Glück einer kleinen Familie wird auf eine harte Probe gestellt, als ein Fremder auftaucht und den Alltag durcheinanderbringt. In dem deutschen Drama „Geborgtes Weiß“, das mit einigen Thriller-Anteilen arbeitet, sind vor allem die beiden Charakterdarsteller Susanne Wolff und Ulrich Matthes den Gang ins Kino wert. Auf der Leinwand ab dem 21. Juli 2022.

Ein Haus verlangt auch Wartungsarbeiten. Kaputte Wasserhähne sind schon grundlegend. Selbst ist der Mann, auch wenn er seine Frau in den Baumarkt schickt. Dort verliert Martha (Susanne Wolff) in den Gängen ihren Sohn Nathan. Glücklicherweise gabelt ein junger Mann das Kind wieder auf und bringt es zur Mutter zurück.

Doch mit der Heimwerkerei ist es für Marthas Gatten Roland (Ulrich Matthes) auch nicht weit her. Als Martha tags darauf von der Arbeit im Krankenhaus nach Hause kommt, trifft sie eben jenen jungen Mann aus dem Baumarkt im eigenen Badezimmer. Roland hat den aus Albanien stammenden Handwerker Valmir (Florist Bajgora) kurzerhand angestellt. Ohne viel Aufhebens und als Schwarzarbeiter – aber nach Tarif bezahlt.

Martha ist zunehmend irritiert von der Anwesenheit des Unbekannten und Roland unterstellt seiner Frau, sie würde den Handwerker attraktiv finden. Doch Valmir hat etwas ganz anders im Sinn, denn Martha und er haben ein gemeinsames Geheimnis.

Das Haus am Moor

Es ist ein wenig kompliziert, über „Geborgtes Weiß“ zu schreiben, ohne allzu viel zu spoilern. Der Film selbst tut dies zwar quasi in der Eröffnungsszene und setzt damit den Ton für das thrillerartige Drama, doch im Vorfeld und im Trailer gibt man sich eher bedeckt mit Informationen zu den Handlungselementen. So auch in diesem Review.

„Geborgtes Weiß“ setzt ganz auf die Präsenz seiner beiden starken Hauptdarsteller und auf eine Figurenkonstellation, die ein wenig das Motiv der „Home Invasion“ aufgreift und ausweitet. Man kennt das beispielsweise aus dem koreanischen Oscar-Gewinner „Parasite“, oder dem belgischen Thriller „Borgman“ oder auch Gregor Tsintsadzes schlicht „Invasion“ betiteltem Drama. Darin wie auch in „Geborgtes Weiß“ tritt die Schauspielerin Heike Trinker auf.

„Geborgtes Weiß“ basiert auf einem Drehbuch von Karin Kaci („1000 Arten den Regen zu beschreiben“) und einer Story-Idee von Regisseur Sebastian Ko („Wir Monster“, diverse Köln-„Tatorte“) und kombiniert Drama und Thriller weitgehend stilsicher. Allerdings mit einer inhaltsschweren Symbolträchtigkeit, die derart bedeutungsschwanger ist, dass etliche Szenen überladen wirken.

Egal, ob es das gravitätische Haus am Rande der kargen kalten Naturlandschaft ist, die Dialoge während eines Essens mit Freunden oder der gesellschaftliche Empfang gegen Ende des Films. Subtil ist die Inszenierung nicht unbedingt. Auch dass Susanne Wolff wie schon in „Styx“ als Ärztin unterwegs ist, hat seinen Grund.

Das muss keineswegs ein Nachteil sein, wenn die Filmmacher der Gesellschaft den Spiegel vorhalten wollen. Für das familiäre Drama allerdings ist die Symbolträchtigkeit zu schwer und erdrückt die Thriller-Momente, die durchaus für eine innere Spannung sorgen und den Film antreiben.

Nimm den Hammer

Dabei gehören die beiden großen Themen in „Geborgtes Weiß“ schon zusammen. Die Frage, wieviel Fremde und Fremdes wir in unser Leben und unsere Gesellschaft lassen, ist existenziell. In dem gesellschaftlichen Milieu, das Sebastian Kos Film umreißt, gehört das Liberale zum guten Ton. Der allerdings wird schnell schärfer, wenn die eigene Komfortzone in Gefahr ist. Da hilft auch das hehre Gerede nichts.

Das Informationsmanagement ist der Schlüssel zur Spannung in „Geborgtes Weiß“. Häppchenweise dosiert der Film das Wissen um die Charaktere und die Zusammenhänge. Das Publikum spürt, dass da vieles im Verborgenen liegt. Aber was dann ans Licht kommt, ist nicht immer schlüssig und bisweilen überdramatisiert. Das Geschehen wirft Fragen auf, die nicht weiter behandelt werden – weder in der Beziehung noch im Film. Es geht um Moralvorstellungen und darum sich selbst zu hinterfragen.

„Geborgtes Weiß“ wird gerahmt von zwei Szene mit Mutter und Kind. Die Szenen spiegeln sich und sind zugleich Anfang und Ende einer Wegstrecke, die die Zuschauer:innen zusammen mit den Protagonisten unternehmen. Hierin offenbart sich die ganze Stärke und auch die ganze Schwäche des Films.

Das deutsche Familiendrama „Geborgtes Weiß“ spielt mit Versatzstücken des Thrillers. Das ist interessant, aber nicht immer gewinnend. Die großartigen Darsteller schaffen es aber, die Spannung hoch zu halten. Am Ende hängt ein wenig Ratlosigkeit in der Luft wie der winterliche Nebel über dem Hochmoor.

Film-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Geborgtes Weiß
OT: Geborgtes Weiß
Genre: Drama
Länge: 99 Minuten, D, 2022
Regie: Sebastian Ko
Darsteller: innen: Susanne Wolff, Florist Bajgora, Ulrich Matthes
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Farbfilm
Kinostart: 21.07.2022