Bettina: Berlinern statt Taschengeld

Die Berliner Liedermacherin Bettina Wegner tritt nur noch gelegentlich auf. Eigentlich ist sie im Ruhestand. Doch wer das sehr persönliche, sehr offene und charmante Filmporträt „Bettina“ von Regisseur Lutz Pehnert sieht, kann kaum glauben, dass die Künstlerin schon vor Jahren ihre Abschiedstournee gab. „Bettina“ ist rechtzeitig zum 75. Geburtstag in diesem Jahr eine längst fällige Verbeugung vor einer engagierten deutschen Künstlerin, die seit mehr als 50 Jahren im Geschäft ist.

Seit ihrer Abschiedstournee 2007 tritt Bettina Wegner nur noch gelegentlich auf. Die Doku von Lutz Pehnert, der Bettina Wegner seit kurz nach der Wende kennt, nutzt diesen Umstand und begleitet die Vorbereitungen und einen relativ aktuellen Auftritt mit dem Trio L’Art de Passage. Diese Einblicke in den künstlerischen Alltag sind bereichernd, weil sie viel über Zusammenwirken, Sozialverhalten und Erarbeiten von etwas Kreativem zeigen. Nun mag man meinen, die Lieder wären ja da. Aber eben die Arrangements nicht und auch die Stimmlage, die sich mit den Jahren wohl verändert, muss angepasst werden.

Die filmische Biografie „Bettina“ nutzt verschiedene Erzählebenen und Archivmaterial um die Karriere und das Leben der Berliner Liedermacherin vorzustellen. Neben der Konzertvorbereitung, werden Ausschnitte eines Interviews mit Bettina Wegner anlässlich des Films eingestreut. Darin lässt die in der DDR aufgewachsene Sängerin ihr Leben und ihre Karriere Revue passieren.

„Beim Versteckspiel sich zu zeigen“

Lutz Pehnert („Ostfrauen“, „DDR Ahoi“) hat selbst seine Kindheit in der DDR verbracht und hat dank eines guten Recherche-Teams Etliches an Archivmaterial aus den Hut gezaubert. Das sorgt auch für beeindruckendes Zeitkolorit in den Anfangstagen von Bettina Wegners Karriere. Das Archiv-Material mag auch der Grund dafür sein, dass der Film fast durchgängig im 4:3 Format gedreht wurde. Die Entscheidung das aktuelle Material dem alten anzupassen ist ungewöhnlich, aber stimmig und es spiegelt die für die Künstlerin prägende Zeit authentischer wieder.

Unterfüttert wird diese autobiografische Erzählung also mit Archivbildern von der Künstlerin, wichtigen Stationen und Ereignissen. Ein sehr gelungener Coup, wenn man so will, ist die Verwendung der Tonaufzeichnung von Bettina Wegners Gerichtsverhandlung im Jahr 1968. Anlässlich des Prager Frühlings verteilte die junge Bettina selbstgemachte Flugblätter mit Parolen gegen die Einmischung der Warschauerpakt-Staaten in der Tschecheslowakei.

Das sorgte dafür, dass die Wegner zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die in Fabrikdienst in einer Siebdruckerei abgeleistet wurde. Bettina Wegner wäre nicht Bettina Wegner, hätte sie aus dieser Zeit nicht auch etwas Lehrreiches mitgenommen, nämlich den „endlose Frühstückspause“ genannten Streik der Arbeiterinnen, weil denen das Weihnachtsgeld gekürzt wurde.

„Wind sein – wenn andere schwitzen“

Doch bevor es ans Aneinanderreihen der Anekdoten geht zurück zum Wesentlichen. Der Film gliedert sich nach dem Lied „Gebote“ (1980) in zehn Abschnitte, die jeweils einem der Gebote zugeordnet sind, die Bettina Wegner für sich persönlich aufstellte und die zeigen, wie streitbar und engagiert die Liedermacherin mit ihrer Kunst und ihrer noch immer sozialen und politisch linken Haltung noch immer ist.

Dazu gehört auch Ehrlichkeit und der reflektierte Umgang mit der eigenen Courage. „Meine Eltern waren sehr unglücklich dass ich (als Kind) so’n Stalin-Fan war.“ Die Bindung zur DDR, die ihr stets Heimat geblieben ist, bestimmt ihr Selbstverständnis noch heute. Selbst dann, als dieser Staat nach ihrer Unterzeichnung der Biermann-Petition endgültig mit der Künstlerin Bettina Helene Wegener nichts mehr anfangen konnte und wollte. Schikanen haben die Sängerin praktisch in den Westen getrieben, da sie ansonsten über kurz oder lang ohne Einkommen im Strafvollzug gelandet wäre.

„Aufrecht stehn – wenn andre sitzen“

Dabei fing alles harmlos mit Liebesliedern und TV-Auftritten an. „Man hätte det och Schlager nennen können. Det war mir egal. Det war det wat ick gerade machen wollte.“ Später ergibt es sich immer häufiger, dass die Liedermacherin in Opposition zur Staatsmacht gerät. Das sorgt für Einschränkungen und Probleme. Ihre Ehe mit dem Schriftsteller Klaus Schlesinger, die die Stasi absichtsvoll zerstören wollte, hätten sie und ihr Gatte allerdings schon selbst zerlegt.

Das alles ist so bodenständig und offen in authentischer Berliner Schnauze vorgetragen, dass es einen schon neugierig macht auf diese Karriere, diese Lieder, die auch immer ein Produkt ihrer Zeit und der persönlichen Umstände sind. Anlässlich des 70. Geburtstags ist eine 5-CD Box mit 120 Liedern aus 50 Jahren erschienen mit dem Titel „Was ich noch zu sagen hätte“.

„Nie als andrer zu erscheinen“

Ich persönlich habe lange Zeiten meines jungen Lebens wenig mit deutscher Liedermacherei anfangen können. Für juvenile Fans laute Rockmusik waren die verständlichen, weil deutschen Texte schon auch immer ein bisschen zum Fremdschämen. Das ändert sich mit dem Erwachsenwerden. Doch erst die Singer und Songwriter der Americana-Welle im Anschluss an die Grunge-Zeiten haben mir das reduzierte Format einer Sängerin mit einer Gitarre jenseits des Blues überhaupt erst hörbar gemacht.

Und dann kommt Bettina Wegner doch noch auf ihr bekanntestes Lied zu sprechen und auf die Cover-Version einer Punkband, die es ihr ermöglicht habe, ihren Frieden mit dem scheinbar „einzigen ihrer Lieder zu machen, das jeder kennt“. Ich kannte die Punk-Version zuerst, bin ja schließlich auch derselbe Jahrgang wie Wegners Sohn. Vielleicht sollte ich mich mit dem Werk der großen deutschen Liedermacherin näher beschäftigen? Immerhin trällere ich seit Tagen Bettina Wegners Vertonung des Volksliedes „Wenn ich ein Vöglein wär‘“. Der Text wird wohl Herder zugeschrieben, Vertonungen gibt es etliche. Es gibt immer etwas zu entdecken.

Die Riege deutscher Liedermacher:innen ist ziemlich von Kerlen dominiert. Dem DDR-Undergroundsänger Gunderman hat Andreas Dresen schon einen Film abgerungen. Da wurde es höchste Zeit, eine der wichtigsten politischen und poetischen deutschen Liedermacherin ein Porträt zu schenken. Danke dafür.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Bettina
OT: Bettina
Genre: Dokumentarfim, Biografie
Länge: 107 Minuten, D, 2022
Regie: Lutz Pehnert
Mitwirkende: Bettina Wegner, Stefan Kling, Tobias Morgenstern, Tobias Musick
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 19.05.2022

Filmseite bei Edition Salzgeber

Bettina Wegner Seite

Copyright der Fotos:
Teaser-Foto @Thomas Otto, junge Bettina @ Werner Popp,

alte Bettina im studio @Jörg Möller, Bettina Wegner in Flusslandschaft @Lutz Peehnert