Bisweilen lohnt es sich, die Sinnfrage zu stellen. Obwohl die Corona-Pandemie und das Arbeiten aus dem Home Office das Leben außerhalb der Großstädte für viele Menschen attraktiver gemacht hat, ist die Versorgungslage auf dem Land durchwachsen. Die Dokumentarfilmerin Antje Hubert hat sich dem Phänomen der Dorfläden in Norddeutschland angenommen. Mit ruhiger Beobachtung, Nähe zu den Menschen und hübschen Animationen ist eine sehenswerte Näherung an ein aussterbendes – oder wiederbelebtes – Phänomen gelungen.
Zwei Jahre lang ist Dokumentarfilmerin Antje Hubert („Das Ding am Deich“, Von Bananenbäumen träumen“) mit einem Kameramann in Norddeutschland unterwegs. Die Filmemacher sind auf der Suche nach kleinen Dorfläden, die immer seltener werden. Fündig wird das Filmteamunter anderem in Wallmow in der Uckermark, in Rothenklempenow in Vorpommern, in Delve in Dittmarschen und in Müden/Ötze in der Lüneburger Heide. Hier gibt es 2019 noch oder wieder kleine Dorfläden, die den täglichen Bedarf decken und darüber hinaus zum Treffpunkt für die Einwohner darstellen.
Seit Jahrzehnten werden kleine Dorfläden von den konkurrenzlos überlegenen Supermärkten und Diskountern, die auch „auf der grünen Wiese“ in größeren Ortschaften entstehen, verdrängt. Die wohnortnahe Versorgung wird zum Problem für die Menschen und für die Betreiber der Läden zum Überlebenskampf.
Dörfliche Versorgung in Norddeutschland
Mancherorts braucht es da andere Konzepte. In Christiansholm im Landkreis Rendsburg-Eckernförde beispielsweise wird während der Drehzeit an zentraler Stelle ein Warenautomat aufgestellt. Hier sollen künftig, Nahrungsmittel zu kaufen sein. Darum herum ist später eine kleine Büchertauschbörse entstanden.
In der Uckermark fahren noch mobile Verkaufswagen durch die Dörfer. Das Filmteam trifft auf eine „Marktgemeinschaft“ aus Bäcker, Gemüseverkauf und Schlachter, die gemeinsam die Dörfer abklappern. Immer am Rande des unwirtschaftlichen Handeln und mit ständig schwindender Kundschaft.
Anders in Dithmarschen und in der Lüneburger Heide, dort sind neue Dorfläden entstanden. Bewusst von engagierten Menschen konzipiert und mit Leidenschaft betrieben. Ebenso wie der Hofladen der Bio-Hofgemeinschaft in Rothenklemperow, der die Region auch zu beleben versucht. Und dann setzt die Covid-19 Pandemie ein und erschwert es zusätzlich eine Dorfgemeinschaft lebendig zu halten.
Getuschte Wege
Regisseurin Antje Hubert verfolgt mit ihren Dokumentarfilmen einen ergebnisoffenen Ansatz nahe bei den Menschen, um die es jeweils geht. Das ist der Idee des „Direct Cinema“ verpflichtet und die Dokus entstehen im hamburger Dokumentarfilm-Kollektiv „Die Thede“, das seit den 1970er Jahren besteht.
In „Alles was man braucht“ wird das Filmmaterial ergänzt und bereichert von Animationen im Aquarellstil. Dafür ist Rüdiger Ludwigs zuständig und seine lebendigen Aquarelle liefern nicht nur Landschaften sondern auch andere kunstvoll überblendete Motive. Besonders gelungen sind das Ballett der Einkaufswagen und die spielenden Basketball-Körbe. Es gibt unelegantere Arten Weg- und Zeitstrecken während einer Doku zu überbrücken.
In der Tat ist es schwer, aus der Doku „Alles was man braucht“ eine Lehre, eine Weisheit oder ein Ergebnis herauszukristallisieren, weil es der Regisseurin darum auch gar nicht geht. Es geht um Betrachtung eines Phänomens. Die Möglichkeit auf eine Art sein Leben zu gestalten, die eventuell eher von Gemeinschaft und sozialen Gesichtspunkten geprägt ist und weniger vom Konsumieren und Profitstreben.
Covid 19 Pandemie: erschwerte Bedingungen
Dabei ist das Problem der Dorfläden ein strukturelles. Nach den zweiten Weltkrieg wurde in Westdeutschland aktiv Strukturpolitik betrieben. Dabei wurde darauf geachtet, dass auch im ländlichen Raum Infrastuktur und gleichwertige Lebensbedingungen ermöglicht werden. In Ostdeutschland wurde staatsgesteuert ähnlich verfahren.
Erst mit der Wiedervereinigung wurde die Strukturpolitik für ländliche Räume nach und nach aufgegeben oder verlagerte die Schwerpunkte in andere Bereiche; siehe aktuell etwa die Digitalisierungsbemühungen auf dem Lande. Dorfläden verschwanden allerdings bereits vorher, weil die Supermärkte mit ihrem Überangebot für Konsumenten paradiesische Zustände boten und bieten.
Daran wird sich auch zukünftig nichts ändern. Aber wie der Film eingangs hinterfragt, ist vielleicht eine Zeit gekommen, in der Menschen „dringend darüber nachdenken müssen, was und wieviel man für ein gutes Leben braucht“.
Der Dokumentarfilm „Alles was man braucht“ betrachtet vordergründig die Versorgunglage in kleinen ländlichen Gemeinden. Damit einher geht die Frage nach einem guten Leben und jenen Dingen, die eine erfüllte Existenz ausmachen könnten. Letztlich muss das jeder für sich beantworten, aber die unterhaltsame und unaufgeregte Doku zeigt nicht nur passionierte Dorfbewohner:innen sondern liefert auch Anregungen.
Film-Wertung: (7 / 10)
Alles was man braucht
Genre: Dokumentarfilm
Länge: 97 Minuten, D, 2021
Regie: Antje Hubert
Mitwirkende: Berit & Knut Thomsen, Tobias Till Keye, Tommy Dietz
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: IM Films
Kinostart: 28.04.2022