Nachdem Krimifans eine ganze Weil auf die siebente Staffel der britischen Erfolgsserie „Der junge Inspektor Morse“ (OT: „Endeavour“) warten mussten, veröffentlicht ZDFneo die achte Staffel ziemlich kurzfristig hinterher. Auch das klassische Home-Entertainment wird mit der DVD-Box, die wie gewohnt bei Edel Motion erscheint, flott bedient und ist Anfang April 2022 erschienen. Die Frage bei Oxfords Polizei ist, wie lange die Zusammenarbeit mit den zunehmend derangierten Morse noch funktionieren kann?
Hier bei brutstatt.de sind fast alle Staffeln der in den britischen ITV-Studios produzierten Erfolgsserie „Der junge Inspektor Morse“ vorgestellt worden. An dieser Stelle nur der Verweis auf die erste Staffel. Allerdings hat es sich bewährt, zur grundsätzlichen Orientierung zunächst auf die Entstehungsgeschichte und die kriminalistische „Erbfolge“ der TV-Serie nach Motiven und Figuren von Colin Dexter einzugehen. Wer das nicht braucht, möge die nächsten drei Absätze schlicht überblättern.
Der Serien-Background
Der 2017 verstorbene Krimiautor und Dozent Sir Colin Dexter erdachte den Inspektor Endeavour Morse Mitte der 1970er Jahre. Die Kriminalfälle sind in Oxford angesiedelt und klassische Vertreter des „Who dunnit?“ (Wer war’s?) Krimigenres. Nach den Romanen und darüber hinaus entstand ab 1987 die sehr erfolgreiche TV-Serie „Inspector Morse“ mit John Thaw in der Hauptrolle. Gefolgt wurde das Format von „Lewis – Der Oxford Krimi“, in der Morses ehemaliger Assistent nun als Chef ermittelt. In beiden Fällen von Kevin Whatley dargestellt. Seit 2012 taucht die Serie „Der junge Inspektor Morse“ (OT: „Endeavour“) ebenfalls äußerst erfolgreich in die Anfangszeit des jungen Detektives ein.
Die Serien bestehen alle jeweils aus spielfilmlangen Kriminalfällen. Diese werden durch erzählerische rote Fäden oder wiederkehrende und sich entwickelnde Handlungselemente angereichert. Zuschauer:innen können also bedenkenlos jederzeit einfach einsteigen und einschalten und sich in hochklassig produzierte, in sich abgeschlossene Kriminalermittlungen fallen lassen. Es macht jedoch wesentlich mehr Spaß, die Entwicklungen und Charaktere kennenzulernen.
Nach der Fusion der beiden Oxforder Polizeibehörden (Stadt und Landkreis) ließ sich Morse (Shaun Evans) zu Beginn von Staffel 6 zeitweilig in eine Dorf-Dienststelle versetzen. Außerdem gab und gibt es seit dieser Zeit immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen Morse und seinem Vorgesetzen DI Fred Thursday (Roger Allam). In der siebenten Staffel schien die Stimmung auf der Dienstelle zu explodieren und Morse drang wütend auf eine Versetzung. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse.
Endeavour – Staffel 8
Nun also zu Beginn von Staffel 8, die in Großbritannien im Herbst 2021 ausgestrahlt wurde und bei ZDFneo im März als deutsche Erstausstrahlung zu sehen war, setzt die Handlung Anfang des Jahres 1971 ein. Die Staffel besteht wieder (pandemiebedingt?) aus drei Fällen. Morse vernachlässigt seine Polizeiarbeit und hängt immer länger im Pub rum. Das bleibt Polizeichef Bright (Anton Lesser) ebensowenig verborgen wie Fred Thursday. Doch der ist geneigt, Morse Zeit zu lassen, damit der sich wieder in den Griff kriegt.
Detective Sergeant (DS) Jim Strange (Sean Rigby), der gesundheitlich schwer angeschlagen war, kehrt gerade erst in den Dienst zurück. Bei den Ermittlungen im ersten Fall trifft er auf eine andere Rückkehrerin, Joan Thursday, die als Sozialarbeiter wieder nach Oxford gezogen ist. Die Zeiten werden düsterer und die Reste von Flower Power scheinen der Gewalt und der extremistischen Politik gewichen. Aktuell mach die „sogenannte“ IRA (Irish Republican Army) mit Bomben und Attentaten von sich reden.
Nummer 10 (OT: „Stryker“)
Im Februar des Jahres 1971 ist der Fußballclub der Oxford Wanderers noch im englischen Pokal vertreten. Nachdem das Hinspiel auswärts unentschieden endete, steht ein paar Tage später das Rückspiel an. Doch Oxfords Star der farbige Ire Jack Swift (Julian Moore-Cook) erhält eine Morddrohung, sollte er bei dem Spiel antreten.
Ausgerechnet Sportmuffel Morse wird als Bodyguard abkommandiert, dabei würde er viel lieber den Todesfall einer Sekretärin untersuchen. Im Büro des Dekans des Lonsdale Colleges ist eine Paketbombe explodiert und hat eine junge Frau getötet. Es bleibt unklar, wen die Explosion gegolten hat und wer dahinter Steckt. Die IRA, die den Fußballer bedroht, hat sich selbsterklärt Gewalt gegen Sachen und nicht gegen Personen auf die Fahnen geschrieben.
Strange bearbeitet den Fall mit Thursday und trifft bei Umfeldbefragung des Opfers auf Thursdays Tochter Joan (Sara Vikers). Weil Strange für einen Frühlingsball in seiner Freimaurerloge noch eine Begleitung sucht, fragt er einfach mal, schließlich hat er wenig zu verlieren.
Der FA Cup
Tatsächlich war der Oxforder Fußball-Verein Oxford City, der sonst als halbprofessioneller Verein in den unteren Ligen spielt, in dieser Saison im Pokalwettbewerb, den FA Cup lange erfolgreich und spielte auch an den im Film genannten Daten in der fünften Runde gegen Leicester City.
Der Serienauftakt beginnt verregnet und trist und mit einigen Veränderungen. Strange hat ganz erheblich an Gewicht verloren, Morse wie von seinen inneren Dämonen geplagt, die gleichermaßen aus Schuld und dem Gefühl des Versagens gespeist werden und sucht zunehmend Trost im Alkohol.
Die beiden Polizeiermittlungen werden von Drehbuch-Autor Russel Lewis ebenso hintersinnig wie gewieft zusammengeführt und so hat „Nummer 10“ sehr sehenswerte Ermittlungen zu bieten. Darüber hinaus wird es mit der Gewalt des Terrorismus und dem Rassismus recht politisch. Die Handlung um den Fußballstar und dessen designiertem Nachfolger gibt Einblick in das Geschäft mit den Kickern und die zunehmende Kommerzialisierung des Sports. Insgesamt ist „Nummer 10“ ein sehr gelungener Krimi bei dem Shaun Evans auch Regie führt. (8/10)
Kleines Vögelchen (OT: „Scherzo“)
Anschließend geht es in den Frühling und in „Kleines Vögelchen“ (OT: Scherzo“) wird ein Taxifahrer scheinbar grundlos erschossen. Die Leiche und das Taxi werden auf dem Weg zu einer Nudisten-Kolonie gefunden und niemand kann sich so recht einen Reim auf die Angelegenheit machen. Die Taxifahrer am Oxforder Bahnhof halten jedenfalls große Stücke auf den toten Kollegen.
Morse bekommt derweil Besuch, der ebenfalls mit dem Taxi anreist. Seine ungeliebte und verwitwete Stiefmutter braucht eine Zwischenunterkunft, bis sie ihr neues Heim beziehen kann. Sie quartiert sich kurzerhand beim wenig begeisterten Morse ein. Der tut alles um der seiner Schwiegermutter aus dem Weg zu gehen.
Während Strange bei den sich erholenden Nackedeis auf allerlei Verdächtige stößt, findet Morse an Tatort einen Gegenstand, der die Ermittlungen in eine ganz andere Richtung lenkt. Thursday wird im Laufe der Untersuchung mit seiner Londoner Vergangenheit konfrontiert. Für Morse, der immer häufiger unzuverlässig ist, wird die Luft auf der Dienststelle zunehmend dünner.
Russel Lewis legt die kriminalistische Herausforderung ausgesprochen vertrackt an. Es gibt viele Aspekte und viele Verdächtige, dabei kommt ein recht umfängliche Sozialstudie heraus, die den damaligen Zeitgeist gut treffen mag. In der englischen Gesellschaft scheint es unterschwellig zu gären und irgendwie sind die Menschen gereizter und angespannter als sonst. Das ist schon sehr sehenswert aber die psychologischen Herausforderungen für Morse, der auf unterschiedlichen Ebenen konfrontiert wird, sind geradezu meisterlich inszeniert und sehr packend anzuschauen. (9/10)
End-Station (OT: „Terminus“)
Im abschließenden dritten Fall wird es ausgesprochen finster und die Oxforder Polizisten werden an ihre Grenzen gebracht. An der Endhaltestelle einer Buslinie wird eine Leiche gefunden, deren Augen blutig mit dem Buchstaben X geritzt sind. Das erinnert an einen entlaufenen Psychopathen, der vor Jahren im nahegelegenen Hotel Tafferton Park etliche Gäste tötete. Doch der damalige Täter kann unmöglich wieder am Werk sein.
Polizeichef Bright verliert die Geduld mit Morse und weißt Thursday an, ihn zurechtzuweisen. Was bleibt dem Inspektor also als Morse vor ein Ultimatum zu stellen: entweder nimmt er sich eine Auszeit, in der er seine Probleme auf die Reihe bekommt, oder er geht.
Weil Morse bei den Ermittlungen nicht nur ein Totalausfall ist, sondern unbeabsichtigt sogar die Polizeiarbeit erschwert, geht es für den jungen Polizisten ans Eingemachte. Thursday wird derweil viel eher als Familienmensch denn als Polizist gefordert: Sein Sohn Sam wird vermisst, der in Nordirland bei der Armee stationiert ist. Thursdays Frau Win sorgt sich fürchterlich und wirft Fred vor, schuld an der Situation zu sein.
Thursday bleibt nichts als abzuwarten. Morse ermittelt eigenmächtig und ohne Rücksprache. Und plötzlich sitzt er in einem Linienbus, der im Schneesturm feststeckt. Die Passagiere beschließen, dass es sicherer sei im leerstehenden Tafferton Hall auf Hilfe zu warten statt im Bus zu erfrieren. Doch so leicht ist es nicht, zu überleben.
Das Staffel-Finale ist wie eigentlich jedes Mal in „Der junge Inspektor Morse“ besonders ausgefallen. In „End-Station“ geht es ein bisschen zu wie bei Agatha Christie, die gerne ihre Verdächtigen an einem Ort zusammenhielt und den Ermittler auf intellektuelle Jagd schickte. Morse macht seine Sache leidlich gut, merkt aber selbst, dass er nicht auf der Höhe ist. Hilfe ist nicht zu erwarten und sein Ruf in dieser Bustruppe ist deutlich angeschlagen. (8/10)
Fortsetzung?
Auch die achte Staffel von „Endeavour“ wird auf DVD von Interviews und Featurettes begleitet. Für Fans bietet das Hintergründe und Einblicke, die durchaus willkommen sind. Selbstredend bleiben die Darsteller bisweilen etwas vage, um nicht zu spoilern. Gerade die abschließende Folge war jedoch produktionsaufwändig. Im Sommer musste ein wintersturm erlebbar werden. Und die Methoden der Setdesigner und Effektmacher sind ziemlich interessant.
Es bleibt die Frage, wie es mit Morse und Co. weitergeht? Man munkelte von „Fluch der 33“, da sowohl „Inspektor morse“ als auch „Lewis“ auf 33 Folgen kamen, bevor sie abgesetzt wurden. Auch „Endeavour“ hat nun die 33 erreicht. Im Fall von „Endeavour“ scheint es zumindest als würde der Fluch gebrochen. ITV hat eine neunte Staffel angekündigt, die 2022 produziert werden soll. Fan können sich also auf weitere hochklassige Krimis mit Retro-Charme freuen.
In der achten Staffel von „Der junge Inspektor Morse“ wird es zunehmend finster. Morse hat Probleme und es gibt Spannungen bei der Oxforder Polizei. Die drei spielfilmlangen Fälle sind unterhaltsam, detailfreudig in die Zeit eingepasst und spannender als einige vorangegangene Episoden. Den juvenilen, naiven Charme der ersten drei Staffeln hat „Endeavour“ allerdings abgelegt.
Serien-Wertung: (8,5 / 10)
Der junge Inspektor Morse – Staffel 7
OT: Endeavour, Season 7
Genre: TV-Serie, Krimi,
Länge: ca. 270 Minuten (3 x 90 Min.) + Bonus, UK, 2021
Idee & Drehbücher: Russel Lewis, nach Charakteren von Colin Dexter
Regie: Shaun Evans, Ian Aryeh, Kate Saxon
Darsteller: Shaun Evans, Sean Rigby, Anton Lesser, Abigail Thaw, Roger Allam
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edel Motion,
DVD-VÖ: 21.01.2022