Geschichten nach realem Vorbild sind immer eine zweischneidige Angelegenheit: Eventuell geht viel Spannung verloren, wenn der Ausgang bereits bekannt ist. Im Fall von „398 Tage – Gefangener des IS“ ist es ganz tröstlich zu wissen, dass die Hauptfigur dieser Geschichte die Qualen der Gefangenschaft überlebt. Das dänische Drama lebt von einer starken Figurenzeichnung und seiner ebenso ausgefeilten wie realistischen Geschichte. Pandastorm veröffentlicht „398 Tage“ hierzulande digital und auf DVD und Blu-ray als Home-Entertainment-Premiere.
Nach einem Unfall sucht der dänische Turner Daniel Rye (Esben Smed) nach einer neuen Aufgabe im Leben. Er bewirbt sich als Fotograf und geht gleich als Assistent eines Kriegsberichterstatters mit nach Mogadischu. Die prägende Erfahrung bringt Daniel dazu auf eigene Faust nach Syrien zu fahren, um in einer Fotoreprotage den Alltag einfacher Menschen in Kriegszeiten zu dokumentieren.
Doch in dem umkämpften Syrien sind die Fronten nicht klar und die regionalen Machtverhältnisse wechseln schnell. Zwischen den Anhängern der ehemals regierenden Baath-Partei und der Freien Syrischen Armee haben sich auch andere Kräfte positioniert und etabliert – wie kurdische Milizen und islamistische Gotteskrieger. Die Übersetzerin und Führerin, die Daniel anheuert, hat zwar eine Erlaubnis den fremdländischen Reporter in die Stadt Aʿzāz zu bringen, nur haben dort inzwischen Kämpfer des Islamischen Staats die Herrschaft.
„Du klingst wie ein Esel, Daniel. Und jetzt siehst du auch wie einer aus.“ (Entführer)
Daniel wird gefangen genommen und gefoltert, weil man ihn für einen US-Agenten hält. Weil seine Familie nichts von dem jungen Reporter hört, wenden sich die Eltern an einen Notfall-Kontakt, den Daniel hinterlegt hat. Geiselvermittler Arthur (Anders W. Berthelsen) ist in Syrien auf der Suche nach einem amerikanischen Journalisten namens James Foley (Toby Kebell). Arthur gelingt es Kontakt mit Daniels Entführern aufzunehmen, die ein hohes Lösegeld fordern. Für die Familie zu hoch! Und der dänische Staat verhandelt nicht mit Geiselnehmern und Terroristen.
Die Geschichte des dänischen Fotoreporters Daniel Rye wurde von Autor Puk Damsgard in dem internationalen Bestseller „Geisel des IS“ nachgezeichnet. Auf der Grundlage des Buches entstand das packende Drehbuch von Anders Thomas Jensen („Adams Äpfel“, „Helden der Wahrscheinlichkeit“) das von den Regisseuren Niels Arden Oplev („Millenium-Trilogie“) und Anders W. Berthelsen („Kidnapping“, „Bedingungslos“), der auch als Darsteller in Aktion tritt und hier erstmal als Co-Regisseur zuständig ist, ebenso souverän wie stilvoll ungesetzt wird.
„Es ist wichtig keine Medien einzuschalten. Die Entführer halten sich für heilige Krieger und nicht für gewöhnliche Kriminelle.“ (Geiselvermittler Arthur)
Auch die Besetzung überzeugt und weiß mitzureißen. Allen voran Shooting Star Esben Smed („Follow the Money“), der intensiv aufspielt und der Figur des jungen, naiven Fotojournalisten viele Nuancen abgewinnen kann. Es ist nicht immer leicht, den Folterungen und dem Gefangenenalltag zuzuschauen, aber „398 Tage“ kommt ohne übertriebene Gewaltdarstellungen aus und schafft es gekonnt das Augenmerk auf dem Gefangenen zu lassen. Selbst wenn die Handlung gerade mit den Angehörigen beschäftigt ist, deren unermüdlicher Optimismus und der verzweifelte Versuch ein Lösegeld aufzubringen, sorgen diese Szenen beim Publikum auch für eine weitere Ebene des Mitgefühls.
Letztlich ist „398 Tage“ vor allem ein Drama, ein emotionaler Thriller, in dem es weniger um geopolitische Zusammenhänge und die explosive Lage im Nahen Osten geht, als vielmehr um das menschliche Leid und die Furcht in einer willkürlichen Gefangenschaft und unter konstanter Todesangst.
Die packende Geschichte ist bildstark und zugleich emotional geerdet. Dank großartiger Darsteller und routinierter Könnerschaft hinter der Kamera ist die Geschichte des dänischen Fotografen Daniel Rye ein packendes und aufwühlendes Drama geworden.
Film-Wertung: (7 / 10)
398 Tage – Gefangener des IS
OT: Ser du månen, Daniel
Genre: Drama, Thriller
Länge: 138 Minuten, DK, 2019
Regie: Nils Arden Oplev, Anders W. Berthelsen
Darsteller: Espen Smed, Toby Kebell, Anders W. Berthelsen
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Pandastorm
Kinostart: Kein Kinostart in Deutschland
DVD- & BD-VÖ: 26.11.2021