The Nest: Ehe heißt teilen

Ein Umzug ist nicht immer nur ein Ortswechsel, sondern bringt viele Veränderungen mit sich. Für die Familie O’Hara soll der Umzug von den USA nach England in den 1980er Jahren ein Neuanfang werden, doch nicht alle fühlen sich mit der neuen Situation wohl. Regisseur Sean Durkin inszeniert sein Ehedrama beinahe als Psychothriller. „The Nest“ wird vor allem von den großartigen Hauptdarstellern Carrie Coon und Jude Law getragen.

In den 1980er Jahren lebt die Familie O’Hara in einem typischen amerikanischen Vorort. Während Ehefrau und Mutter Allison O’Hara sich ihrer Pferdefarm widmet, ist Gatte und Vater Rory O’Hara (Jude Law) als selbständiger Unternehmer auch für die Logistik der Kindererziehung zuständig. Tochter Samantha (Oona Roche) wird langsam zu einer jungen Dame und Sohn Ben (Charlie Shotwell) genießt seine behütete Kindheit.


Doch Rory hat das Gefühl in den USA beruflich nicht weiter zu kommen und will zurück in seine alte englische Heimat ziehen. Glücklicherweise bekommt er von seinem alten Chef ein lukratives Angebot als Berater und die Familie zieht auch gegen die Widerstände von Tochter und Mutter um.

Rory hat ein altes Landhaus mit viel Landbesitz gekauft, damit Allison in der neuen Heimat weiter mit Pferden arbeiten kann. Doch das Anwesen, das lange leer stand, wird der Familie kein gemütliches Heim. Sam vermisst ihre Freunde und kann sich auf der Privatschule nicht in die Gemeinschaft einfinden, Ben gruselt sich in dem großen alten Haus und Allison findet keinen Anschluss. Nur für Rory scheinen die Dinge gut zu laufen. Doch der Schein trügt.

Als Rorys Chef bei einer Party nebenbei bemerkt, dass er sich gefreut habe, dass in Rory um einen Job gefragt habe, fällt es Allison wie Schuppen von den Augen, dass ihr Gatte seiner Familie etwas vorgemacht hat. Spätesten zu diesem Zeitpunkt sind die Brüche in der Beziehung offensichtlich und es beginnt ein zähes Absuchen des Geländes nach Gemeinsamkeiten, Zielen und Schwerpunkten im Leben der Familie O’Hara.

Regisseur und Autor Sean Durkin („Southcliffe“) hat in seinem zweiten Spielfilm durchaus ästhetischen Gestaltungswillen und setzt gezielt das Repertoire eines Psychothrillers ein ohne jedoch Spannung und Bedrohung tatsächlich heraufzubeschwören. Stattdessen nimmt „The Nest“ viele formale Anleihen bei Stanley Kubriks „The Shining“ nur um ein vergleichsweise typisches Ehedrama zu schildern, in dem der Vertrauensverlust und unehrliche Kommunikation zu Problemen und Zerrüttungen führen.

Allison, die aus armen Verhältnissen stammt, musste sich von ihrer Mutter sagen lassen, dass ihr Ehemann schon für sie entscheiden würde. Nun wird Allison Zeuge wie dessen Ehrgeiz und eigen Überschätzung die Familie bedrohen und wie sehr Statusdenken und Klassenzugehörigkeit als Rechtfertigung für viele Egoismen herhalten müssen.

In dem Bonusmaterial legen sowohl der Regisseur als auch Jude Law („Sherlock Holmes 2“) Wert darauf, wie wichtig es ist, dass das Drama in den 1980er Jahren angesiedelt ist. Der Ära des Reaganismus und des Thatcherismus, in dem neoliberalen Materialismus viele Menschen dazu verleitete sich wirtschaftlich erheblich zu verspekulieren. So auch Rory, der sich und seine Fähigkeiten Geschäfte abzuschließen, Investments zu sondieren und Geld zu machen, erheblich überschätzt, gleichzeitig aber unbedingt dazu gehören will. Ein gesellschaftlicher Aufstieg in die Etage der Reichen und Schönen, koste es, was es wolle.

Eventuell verarbeitet Sean Durkin in der Darstellung der 1980er prägende Ereignisse, für das eheliche Drama ist das zeitliche Setting nicht wesentlich und sorgt auf der anderen Seite für übermäßig undurchschaubare Szenen. Dabei ist in „The Nest“ der Symbolgehalt der jeweiligen Sequenzen ein wenig zu abgeschmackt um zu überzeugen. Sei es das ungastliche Haus als Bild für die Familiensituation, sei es Pferd als Bild für Allisons Freiheitsdrang. So richtig zwingend scheinen mir die dramatischen Verwicklungen und Probleme nicht zu sein. Aber vielleicht habe ich das Drama schlicht nicht verstanden. Es bleiben Charakterstudien, die durchaus intensiv sind, aber eben auch schnell etwas breitgetreten werden, wenn es an äußerer Handlung mangelt.

Das Ehedrama „The Nest“ entwickelt seine eigene Ästhetik. Dabei scheint die Wahl der dargestellten Ära irgendwie von großer Bedeutung zu sein. Warum, erschließt sich nur bedingt über die filmischen Mittel. Auch die drückende Atmosphäre eines Gruselfilms ist durchaus speziell und scheinbar wesentlich. Bei mir hat beides nicht gezündet und übrig bleibt ein zwar stark dargestelltes aber überspanntes Familien- und Ehedrama, das sich arg in die Länge zieht.

Film-Wertung: 4 out of 10 stars (4 / 10)

The Nest – alles zu haben ist nie genug
OT: The Nest
Genre: Drama
Länge: 108 Minuten, UK, 2020
Regie: Sean Durkin
Darsteller:innen: Carrie Coon, Jude Law
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Ascot Elite Entertainment
Kinostart: 08.07.2021
EST: 05.11.2021
DVD- & BD-VÖ: 12.11.2021