Bei Netflix gehörte die österreichische Thriller-Serie „Freud“ im vergangenen Jahr zu den populärsten deutschsprachigen Serien-Inhalten. Nun veröffentlicht Pandastorm Pictures die aufwändig produzierte Serie auf DVD und Blu-ray für das klassische Home-Entertainment. Doch wer angesichts des namensgebenden Psychologen entspannte Sofa-Sitzungen erwartet, sollte sich schleunigst nach einem neuen Therapeuten umschauen. In „Freud“ geht’s dreckig zu, besessen und blutig.
Man schreibt das Jahr 1886. Das österreichische Kaiserreich scheint erst einmal befriedet. Die gern einmal renitent nach Unabhängigkeit johlenden Ungarn haben bei der letzten Aufstandsschlappe in den 60ern ihre führenden Köpfe verloren. Dennoch brodelts in den Gossen und unter der Oberfläch‘ der Reichshauptstadt Wien. Der Inspektor Alfred Kiss (Georg Friedrich) hat‘s mit einer arg blutverschmierten Dirnenleich‘ zu tun und selbstverständlich war’s an anständig‘s Madl und keiner will‘s gewesen sein.
Derweil versucht sich der junge jüdische Mediziner Sigmund Freud (Robert Finster) in der modernen Behandlung der Hysterie. Nicht unbedingt zur Erbauung seines Chefs, Professor Theodor Meynert (Rainer Bock). Die privaten Patienten bleiben dem jungen Herrn Doktor auch fern. So dass die avisierte Heirat mit der fernen Verlobten auch ins weiterhin Unerreichbare rückt. Der schwermütige Kokainfreund Sigmund hat sich das mit der Hypnose noch nicht draufg’schafft, aber für den medizinischen Vortrag übt er fleißig mit der Haushälterin schummeln. Bis der Kollege Schnitzler auftaucht und den Freud in die Gesellschaft entführt.
Schnitzler, selbst Mediziner, macht sich längst als Literat einen Ruf und führt Freud bei den Szápáris ein, ungarischen Adligen, die die Nähe zum österreichischen Hof suchen. Dazu hat die Gräfin Szápári (Anja Kling) ein junges Medium namens Fleur Salomé (Ella Rumpf) unter ihre Fittiche genommen, das für spektakuläre Seancen sorgt. Graf Szápári hofft damit die Gunst des Kronprinzen Rudolf (Stefan Konarske) zu erlangen, der dem Übersinnlichen zugetan sein soll.
„Sie hören meine Stimme. Sie sehen das Pendel. Alles andere verschwindet.“ (S. Freud)
Freud hält das alles für Hokuspokus, weiß aber nicht, dass die Frau Gräfin ihrerseits die Hypnosetechnik längst gemeistert hat. Als dann der Inspektor Kiss nochamal beim Freud reinschneit, weil dem vermeintlichen Mörder des Mädchens nicht beizukommen ist, verwickeln sich die Fäden im alten Wien aufs bizarrste, denn auch das attraktive Medium wendet sich an den Herr Doktor mit den aufgeklärten Methoden der Geistheilung.
Der vermeintliche Mörder ist nicht nur die Nemesis des Inspektors, sondern vor allem ehrenhafter Offizier, der auch mit den Szápáris verkehrt und mit Freuds Kollegen Leopold von Schönfeld bekannt ist. Dessen junge Schwester verschwindet spurlos und es kommt in der Stadt zu weiteren abscheulichen Bluttaten.
An dieser Stelle kann ich mir ein „Kottan ermittelt“-Zitat nicht verkneifen: „Inspektor gibt’s kan.“ Was schlicht und einfach daran liegt, das bei der österreichischen Ordnungsmacht militärische Ränge verteilt werden, aber soviel sei der internationalen Netflix-Zielgruppe zugestanden: Es is‘ eh Wurscht. Die Rolle des wie immer abgründigen und großartigen Georg Friedrich ist eindeutig als tragender Ermittler zu erkennen, inklusive höchst loyalem Schupo und einer tragischen Familiengeschichte.
„Bis zum Sieg!“ (Trinkspruch der Burschenschaft)
Man kann auch im Prinzip weniger von einem Teamwork mit dem Herrn Doktor reden, als dass der Freud schlicht fotogener und wohl auch bekannter ist und daher die titelgebende Hauptrolle in dem derbe glitschigen Verschwörungs-Thriller innehat. Promibonus halt. Dabei geht’s weniger um Biografisches als um eine quasi moderne Projektionsfläche um einen historischen Kriminal-Sachverhalt aufzubrechen und interessant zu gestalten so wie etwa in „Babylon Berlin“. „Freud“ hat was „From Hell“-Artiges einer gruseligen Comic-Verfilmung. Statt der „Ripper Street“-Forensik des Pathologen, geht’s hier um Vorstufen des Profiling, wobei das keiner der Beteiligten so zugestehen würde. Vor allem versteckt sich das Böse nicht nur in Kanälen und unter dunklen Brücken, sondern auch in den Ecken des Unbewussten. Davon besessen ist nicht nur der Kokssüffler Freud, sondern die ganze Gesellschaft gibt sich dem Spiel mit der Obsession hin.
Bisweilen ist das etwas zu monothematisch plakativ umgesetzt und die düster dreckige Prager Wien-Kulisse verkommt leider zur Schlachthof-Doku. Das dekadente Nachstellen klassischer Tableaus zur abendlichen Erbauung wirkt weniger süffisant als „Fin de Sieclé“-bemüht und nicht immer kommt aus der Parallelität der Ereignisse eine tatsächliche Spannung hervorgekrochen. Da fehlt‘s bisweilen an wertigen Dialogen, an Persönlichkeitsprofilen und dramatischer Fallhöhe. Da kann auch des Georgs weltmüder Blick nichts schöngucken.
„Hic sunt dracones.“ („Hier sind Drachen“, lateinische Redewendung)
Defizite allerdings werden mit Schauwerten überdeckt. Das hat im modernen Seriensektor, der nicht mehr unter Budgetmangel leidet, nicht erst seit Netflix Methode. Dafür gebührt HBO die Anerkennung. Egal, ob die Handlung dünn wird, Sex, Gewalt und Effekte bügeln das aus. Passt schon – und passt auch hier im Wiener K und K.
Und dennoch: „Freud“ fällt dem eigenen Ansatz zum Opfer, verliert sich in Verschwörung und Obsession, verliert den Namensgeber durch dessen Stilisierung aus dem Fokus und stolpert über die eigene Besessenheit mit dem Grauen. Zu viele Aspekte wie etwa die proto-faschistisch, militärisch geprägte Gesellschaft, der Antisemitismus, die kaiserliche Dekadenz oder der medizinische Fortschritt werden dem Thriller-Narrativ geopfert. Dabei ist die Verwendung des Psychoanalytikers als Kriminalist keineswegs so innovativ wie es scheinen mag.
Bereits 2007 lehnte der englische Schriftsteller Frank Tallis seinen Krimi-Protagonisten Max Liebermann an das historische Vorbild Sigmund Freud an und lässt den Herrn seither mit dem Polizisten Oskar Rheinhard in mysteriösen Kriminalfällen ermitteln. Auch Rheinhard hat wie Kiss in „Freud“ eine militärische Vergangenheit und sein persönliches „Ungarn-Problem“. Seit 2019 werden die historischen Kriminalromane auch in der Spielfilmserie „Vienna Blood“ verfilmt. Viele Motive und Milieus ähneln denen aus „Freud“. Wem die vorliegende Serie also zu brutal oder zu blutrünstig ist, der findet in „Vienna Blood“ eventuell eine Alternative.
Das Zwielichtige und das Unbewusste
Es ist nicht so, dass „Freud“ nicht auch zu gefallen wüsste. Es gibt starke Motive, die Außenaufnahmen sind großteils sehr stilvoll und zeugen von der meisterlichen Kameraführung Markus Nestroys. Auch die Interieurs wissen zu gefallen und die Milieus sind schon schaurig-schön getroffen. Auch sind die Nebenrollen hochkarätig besetzt und es gibt viele gelungene Szenen in der Serie; zumeist, wenn es nicht gerade überaus morbide zugeht, sondern etwas menschelnder. Der Umgang mit Hypnose- und Traum-Sequenzen ist gleichfalls ziemlich gelungen und bis zum Ende der Serie gelingt es Regisseur Marvin Kren („Blutgletscher“, „Vier Blocks“) und den Autoren immer wieder mal das Publikum in Verwirrung zu stürzen: Was ist Realität, was Fantasie?
Letztlich ist „Freud“ eine historische Thriller-Serie mit vielen Horror-Anteilen, die sich einer populären historischen Figur eher bedient als diese zu beleuchten. Das hat so seine Schauwerte und Höhepunkte, aber die komplexe Handlung stolpert zu häufig über das Konstrukt. Dieser Freud ist serien-besessen.
Serien-Wertung: (5 / 10)
Freud – Staffel 1
OT: Freud
Genre: TV-Serie, Mystery, Thriller, History,
Länge: ca 418 Minuten (8 x 52), A, 2020
Regie: Marvin Kreen
Darsteller:innen: Robert Finster, Georg Friedrich, Ella Rumpf,
FSK: ab 18 Jahren,
Vertrieb: Pandastorm
DVD- & BD-VÖ: 29.10.2021