Music: Unterwegs ins Paradies

Das quietschbunte Musical-Drama „Music“ der australischen Sängerin und Künstlerin Sia hat im Vorfeld für einige Kontroversen gesorgt. Aufgrund der Corona-Pandemie war „Music“ – wie so viele andere Filme auch – nicht im Kino zu sehen. Bei der gerade abgehaltenen Golden Globe Verleihung ging der Film trotz zweier Nominierungen leer aus. Seit Mitte Februar ist das Musical digital zugänglich und nun bringt Alamode Film die Geschichte eines autistischen Mädchens für das klassische Home-Entertainment auf DVD und Blu-ray auf den Markt. Eines vorneweg: Die bunt choreografierten Songeinlagen hätten auf der großen Leinwand ganz sicher großartig ausgesehen.

Music (Maggie Ziegler) ist ein autistischer Teenager. Autismus als Krankheitsbild ist ein vielschichtiges Phänomen, aber schlicht gesagt, sind die Wahrnehmung der Außenwelt und die Kommunikation gestört.Trotz ihrer Probleme, lebt sie bei ihrer Großmutter ein relativ gut behütetes Leben. Dazu gehört auch, dass Music in der Nachbarschaft bekannt und akzeptiert ist. Vor allem der ältere Nachbar Hector und der farbige Boxer Ebo (Leslie Odom Jr.) haben immer auch ein Auge auf Music, wenn diese ihre täglichen Runden dreht.

Als Musics Großmutter überraschend stirbt, bleibt dem Mädchen als einzige Verwandte nur die ältere Halbschwester Zu (Kate Hudson). Die ist allerdings gerade erst seit ein paar Wochen trocken und verdient ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Drogen. Zu hat einen eigenen Lebensplan und sucht quasi den Highway ins Paradies, wie auch immer das aussehen mag.

Zu versucht, sich um Music zu kümmern, auch wiel sie hofftr, dass es etwas zu erben gibt, ist allerdings schnell überfordert. Anfangs bietet Ebo seine Hilfe an, doch der Box-Trainer hat seine eigenen Probleme und die sich anbahnende Romanze mit Zu ist da nicht eben hilfreich. Trotz vieler Probleme und schmerzhafter Lernprozesse wird die Beziehung der beiden Halbschwestern mit der Zeit immer besser…

Der große Reiz an dem Musical-Drama „Music“ sind die musikalischen Sequenzen, die ähnlich wie moderne, bunte Musikvideos wirken. Mit fantastischen Choreografien, Kostümen und optischen Spielereien zieht „Music“ die Zuschauer:innen schnell in seinen Bann. Das ist auch notwendig, denn die Geschichte der beiden Schwestern ist etwas plakativ ausgefallen und vielleicht auch ein bisschen naiv. Beide, Music und Zu, haben auf ihre Weise nur einen gebrochenen Zugang zur Realität. Das Drehbuch von Sia und Kinderbuch-Autor Dallas Clayton setzt auf die simple Magie, dass Minus und Minus nicht nur in der Mathematik Plus ergibt und so auch aus zwei „defekten“ Menschen eine positive Beziehung entstehen kann. Aber gerade an der egoistischen ehemaligen Süchtigen kann sich das Publikum abarbeiten.

Die australische Musikerin Sia, mit bürgerlichem Namen Sia Kate Isobelle Furier, ist seit Mitte der 1990er Jahre eine erfolgreiche Pop-Künstlerin. Die Idee zu dem Film kam ihr nach eigener Aussage, als sie bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker eine Teilnehmerin mit ihrem autistischen Kind traf. Diese konnte während des Meetings keine Betreuung finden, woraus die grundsätzliche Frage keimte: Wer liebt mein Kind, wenn ich sterbe? Sia schrieb aus dieser Konstellation eine Kurzgeschichte, die sich zu einer Filmidee auswuchs. Ursprünglich sollte „Music“ ein Drama werden, doch die Pop-Queen ließ sich überzeugen, ein „Musical“ zu machen und auch Musik für den Film zu schreiben.

„Music“ ist ein zwiespältiger Film: Einerseits visuell überbordend und in fast allen Rollen sehr sehenswert besetzt, wenngleich Kate Hudson keineswegs auszeichnungswürdig agiert. Andererseits inhaltlich absehbar und naiv gehalten, so dass der Eindruck geradezu sträflicher Schlichtheit entstehen kann, da der Film definitiv nicht als Kinderformat gedacht ist. Darin finden sich auch wunderbare Szenen, nur eben nicht durchgehend. Die Achterbahn der Gefühle weitet sich in „Music“ oft genug zu eine filmischen Berg-und Talfahrt aus. Letztlich muss jede:r selbst sehen, was ihm „Music“ als Film zu bieten hat.

Womit abschließend noch ein paar Bemerkungen zu den Kontroversen fällig sind, die „Music“ ausgelöst hat. Die größte Kritik erntete Sias Filmprojekt direkt lange vor Beginn der Dreharbeiten, weil die Autistin in der Hauptrolle von einer Schauspielerin ohne Handicap dargestellt wurde .Das ging soweit, dass in den USA eine Petition eingereicht wurde, um den Film zu canceln. So nachvollziehbar der Impuls für diese Kritik ist, so fehl geht sie auch. Es geht im Film, in jedem Film, auch und vor allem um Schauspiel und nicht um authentische Besetzung. Die Einmischung in kreative Entscheidung mittels einer vermeintlichen Moralkeule ist eine bodenlose, gefährliche Frechheit, die einer Zensur sehr nahekommt.

Sias Entscheidung die Hauptrolle mit Maddie Ziegler zu besetzten wird nicht nur gerechtfertigt, weil ihre Darstellung künstlerisch stimmig ist, sondern auch, weil sich Regisseurin und Schauspielerin bereits aus Videodrehs kannten und so bereits eine Vertrauensbasis und Vision für eine Zusammenarbeit hatten. Wer sich kreativ auf neues Terrain wagt, braucht auch Halt an Vertrautem und Mitstreiter, um die Herausforderung zu stemmen.

Wie authentisch und realistisch die Darstellung des Krankheitsbildes Autismus in „Music“ tatsächlich ist, wird da beinahe gelichgültig, denn der Film ist – und kann nur sein – eine künstlerische, subjektive Sichtweise auf die Welt und ihre Phänomene. Wer sich über Autismus informieren will, kann das an anderer Stelle, etwa bei Wikipedia tun.

In eine ähnliche Stoßrichtung begibt sich die Kritik an der Figur des Ebo, der wohl auch als rassistisches Stereotyp des „magischen Farbigen“ interpretiert werden kann, einer Filmtype, die dem weißen Helden hilfreich zur Seite steht. Es ist ebenso müßig über rassistische Stereotypen zu diskutieren wie über ethnische Casting-Kriterien. Der mehrfach ausgezeichnete afroamerikanische Schauspieler Leslie Odom Jr. jedenfalls scheint an seiner Rolle etwas Faszinierendes und Spielwürdiges gefunden zu haben.

Ich als alter weißer Mann habe gut reden, bin mir aber bewusst, dass Betroffene und Diskriminierte zu diesen Themen durchaus eine andere Meinung haben können und die gesellschaftliche Diskussion darüber wichtig ist. Allein, mir scheint die Aufregung im Wesentlichen eine amerikanische zu sein, schließlich hat die Associated Foreign Press den Film für die Golden Globes nominiert. Ach ja, das ist ja auch so ein Club privilegierter Weißer. In diesem Zusammenhang darf man die kleinen Auftritte von Juliette Lewis und Henry Rollins im „Music“ vielleicht sogar als künstlerische Solidarität werten?

Wie auch immer: Zuschauer: innen tun nicht nur bei „Music“ gut daran, sich auch zu fragen, was der oder die Künstler:innen wohl ausdrücken wollen? Womöglich ergibt sich so eine Sicht auf die Welt, die trotz aller Einschränkungen und Vorbehalte den eigenen Horizont erweitert. Trotz erheblicher plakativer Elemente und gelegentlicher Reizüberflutung entwickelt „Music“ in seinen großen Momenten auch eine eigene Magie. Und das ist für einen Film schon eine ganze Menge.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Music
OT: Music
Genre: Musical, Drama
Länge: 107 Minuten, USA, 2021
Regie: Sia
Darsteller:innen: Maddie Ziegler, Leslie Odum Jr, Kate Hudson
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Alamode
VoD: 12.02.2021
DVD- & BD-VÖ: 05.03.2021

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