Ravencroft: Das Grauen hinter Gittern

Marvels altehrwürdiger Irrenanstalt steht ein Neubeginn bevor. Ja, ich weiß, der Begriff „Irrenanstalt“ ist nicht politisch korrekt, aber geneigte Leser:innen befinden sich hier in Mystery-Gefilden, in denen das Grauen herrscht. Da scheren sich die eingekerkerten, finstren Mächte wenig um korrekten Sprachgebrauch. Autor Frank Tieri fühlt sich der Anstalt verbunden und erzählt zusammen mit Zeichner Angel Unzueta und Konsorten vom Neuaufbau des medizinischen Institutes, bei dem auch alte Problemen keinen Halt verursachen. Bei Panini erscheint die „Ravencroft“-Miniserie mit einigen Ausflügen in die Vergangenheit im 200 starken Seiten Sammelband.

Das Ravencroft-Institut ist Marvel Comics Entsprechung zu DC Comics Arkham Asylum. Hier wie dort werden die übelsten Gewohnheitsverbrecher und Superschurken mit mentalen Problemen unter Verwahrung gehalten und behandelt.

Während „Arkham“ in der Batman-Welt immer wieder zum prominenten Schauplatz großartiger Stories wurde, wird das „Ravencroft“ bei Marvel seltener in Geschichten verwendet. 1993 wurde das Ravencroft Institut erstmals in einer „Spider-Man“ Story erwähnt und spielte während der „Klon-Saga“ mal eine größere Rolle.

Bevor Autor Frank Tieri die Hauptgeschichte erzählt, gibt es in der Serie erst einmal drei sehr gelungenen Ausflüge in die Historie des Institutes. Das Tagebuch des ehemaligen Anstaltsleiters spielt darin ebenso eine Rolle wie die „prominenten“ Insassen Carnage, Sabertooth und Dracula.

Nun soll unter New Yorks rechtmäßig gewähltem Bürgermeister Wilson Fisk, alias „Kingpin“, das seit längerem leerstehende Gebäude abgerissen und wiederaufgebaut werden; mit neuer Technik und neuem Stab. Bei den Abrissarbeiten wird zufällig ein geheimer, unterirdischer Gebäudetrakt freigelegt. Dort taucht auch das Tagebuch von John Ravencroft auf, der die Anstalt quasi aufgebaut und lange geleitet hat.

Bislang sind Mercedes Knight, alias „Misty Knight“ und John Jameson, alias „Man-Wolf“ damit betraut, das neue Ravencroft zu leiten. Misty passt Johns Anwesenheit gar nicht, denn sie traut dem ehemaligen, von Carnage besessenen Werwolf nicht über den Weg, auch deshalb, weil er für Fisk arbeitet. Als dann auch noch Norman Osborne auftaucht, wird Misty Knight argwöhnisch.

Doch wie sich zeigt, sind Kingpins Machenschaften lange nicht so gefährlich wie jene „unerwünschten“ Patienten, die lange im Verborgenen im Ravencroft gefangen waren. Für die neue Leitung stellt sich da nicht nur die gegenseitige Vertrauensfrage neu, sondern auch eine immense bösartige Herausforderung.

Autor Frank Tieri („Punisher in Space“) hat mit seinen letzten Stories bei Marvel scheinbar ein Faible für das Ravencroft Institut entwickelt. Hier musste John Jameson, der Sohn des Daily Bugle Verlegers, einfahren, während er Carnage mit sich herumschleppte („Absolute Carnage“). Was lag da näher als endlich mal eine eigenständige Mini-Serie über das Institut zu entwickeln?

Die Story kann sich sehen lassen, hat aber ein paar Ausfälle. Während die historischen Tagebucheinträge fraglich lassen, in welchen diffusen Verhältnis John Ravencroft zu seiner Vorfahrin Molly stand, die mit einem Vorfahren von Cletus Kassadys zusammen war. Fraglich auch, wie jemand seinen eigenen Tod notieren kann? Fällt nicht so stark ins Gewicht, wir sind hier ja nicht in der Logikvorlesung, sondern im Mystery-Horror.

Etwas schwerer zu überlesen sind da die Spannungsabfälle in der Hauptstory. Die treten immer dann auf, wenn ein neues Handlungselement eingeführt wird. Eigentlich ein untrügliches Zeichen, dass die Geschichte nicht ganz so stark ausgefallen ist. Vielleicht ist es am Ende doch eine „Verschwörung“ zu viel. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Insgesamt weiß der „Ravencroft“-Band zu überzeugen. Vor allem die historischen Episoden, die sich auch in Sachen Artwork vom Rest unterscheiden. In der Vergangenheit geht es farblich etwas sepia-braun-getönter zu, Panelaufteilung und Action-Effekte sind dem Golden Age der Comics angelehnt und machen einfach Spaß, auch weil sie so detailreich sind. Siehe nur den Captain America Vorläufer oder auch den präkolumbianischen Kult. Für diese Zeichnungen sind Stefan Landini („Dracula“), Guillermo Sanna („Sabertooth“) und (Guiu Vilanova) „Carnage“ zuständig,

Grundsätzlich wird die Serie allerdings von Angel Unzueta gezeichnet, der einen soliden Job macht. Sei Stil ist nicht gerade meine Sache, da schwingt in den Charakteren zu viel Mainstream für Jugendliche mit, aber die Action hat ordentlich Dynamik und die Kolorierung von Rachelle Rosenberg ist schattenreich und düster. Auch das Paneling ist vielschichtig und gut lesbar.

Mit „Ravencroft“ ist bei Marvel Comics mal etwas Neues entstanden, das den klassischen Horror wieder stärker in den Vordergrund rückt. Das ist über weite Phasen ebenso unterhaltsam wie clever in das moderne Marvel Universum eingefügt. Die Grundspannung dieses Mystery-Thrillers hätte aber höher sein dürfen. Dafür entschädigen die Ausgflüge in die Vergangenheit.

Comic-Wertung: 6.5 out of 10 stars (6,5 / 10)

Ravencroft: Das Grauen hinter Gittern
OT: Ravencroft 1-5, Ruins of Ravencroft: Carnage, Ruins of Ravencroft: Dracula, Ruins of Ravencroft: Sabretooth, Marvel Comics, 2020
Genre: Comic, Superhelden,
Autor: Frank Tieri
Zeichner: Angel Unzueta, Guiu Vilanova, Stefano Landini, et al
Farbe: Rachelle Rosenberg,
Übersetzung: Michaerl Strittmatter
Verlag: Panini Comics, Softcover, 212 Seiten,
VÖ: 12.01.2021

Ravencroft im Marvel-Wiki (Englisch)

Ravencroft bei Panini Comics