Gruselgeschichten, also jenes, was das Horror-Genre ausmacht, sind so vielschichtig wie die Urängste der Menschen. In der deutschen Serienproduktion „Hausen“ wendet sich ein Hochhaus gegen seine Bewohner. Die Serie ist bei Sky zu sehen und erscheint nun bei EYEseeMovies als DVD und Blu-ray für das klassische Home-Entertainment. Selten war deutsches Filmschaffen so überzeugend und konsequent düster, eingestaubt und dreckig. Wer will da schon Hausmeister sein?
Bereits die nächtliche Anfahrt mit dem Auto zeigt den Weg, den die deutsche Serien-Produktion „Hausen“ einschlägt. Minimal ausgeleuchtet geht es auf einen Plattenbau zu, der im nächtlichen Nirgendwo zu stehen scheint, außerhalb von Zeit und Raum. Und doch ist die Zeit für den 16-jährigen Juri (Tristan Gobel) genau genug bestimmbar: Es ist die Zeit danach. Nach dem Unfall-Tod der Muttter, die mit Haus und Habe der Kleinfamilie verbrannte. Weswegen Vater Jaschek Grundmann (Charlie Hübner) diesen Hausmeisterjob als Neuanfang versteht.
Doch die heruntergekommene Platte braucht mehr als nur einem Hausmeister, der sich um die Heizung kümmert, aus der schwarzer, zähflüssiger Schleim herauskriecht. Überall Verfall, Schimmel an den Wänden, heruntergekommene Wohneinheiten und heruntergekommene Bewohner. Einen, den Obdachlosen Kater (Alexander Scheer), der auf mysteriöse Weise mit dem Bau verbunden scheint, lernt Juri gleich bei der Ankunft kennen. Juri verschenkt freundlich etwas zu essen und bekommt im Gegenzug einen seltsamen Gesteinsbrocken in die Hand gedrückt.
Aber Juri lernt auch gleich die Gang in dieser Nachbarschaft kennen, brutale Kids um Anführer Ninja, die hier im Block Drogen verticken. Hausmeister Jaschek lernt derweil die junge Mutter Cleo (Lilith Stangenberg) kennen, die mit dem Ex-Junkie Scherbe (Daniel Strässer) zusammen ist. Doch so ganz clean ist Scherbe nicht, weshalb er auch weggetreten ist, als er eigentlich auf das Baby aufpassen soll.
Das Baby bleibt spurlos verschwunden, so als hätte das Haus den Jungen verschlungen. Juri macht sich eigenmächtig auf die Suche nach dem Kind. Dabei trifft er einen schüchternen rothaarigen Jungen, der sich bestens in dem Haus auszukennen scheint. Doch auch gemeinsam spüren sie das vermisste Baby nicht auf.
Jaschek, dem die heruntergeockte Bude zunehmend suspekt erscheint, hat inzwischen die Kameranlage des Plattenbaus wieder gangbar gemacht und verschafft sich so einen Überblick über die seltsame und eigenwillige Hausgemeinschaft und versucht, die Beziehung zu seinem Sohn wieder in den Griff zu bekommen.
„Es ist als würden die Echos in den Wänden festsitzen“
Mann, ist das finster hier. Hier in dieser Vision der Serienmacher Till Kleinert und Thomas Stuber, die oberflächlich und generisch betrachtet eine in sich stimmige „Haunted House“-Variante auf den Bildschirm schleudern, die sich mal waschen müsste. Lange habe ich nicht mehr so hinreißend verkommene Settings, so abgehalftert geschminkte Leute gesehen und mich dabei so fasziniert unterhalten gefühlt. Im Making Of wird dann das Geheimnis gelüftet, dass es sich bei den Räumen um tatsächlich gebaute Kulissen handelt und nicht um CGI-Umgebungen. Das trägt sicherlich zur Furcht einflößenden Gesamtwirkung von „Hausen“ bei.
Lästerer mögen einwenden, die Serie sei zu offensichtlich angelegt: Der Plattenbau als Symbol für gesellschaftlichen Absturz und Armutsausgrenzung, die heilsbringenden Suche nach dem Baby wie weiland bei „Heroes“ die Cheerleaderin gerettet werden musste, die sprechenden Namen der Figuren. Aber Namen hatten schon immer Bedeutungen, warum das also nicht nutzen?
Ebenso wie „Hausen“ nicht nur als Tuwort die (heutzutage abfällige, aber auch noch tradierte märchenhafte) Bedeutung hat, sich irgendwo niedergelassen zu haben, an einem Ort zu leben, sondern auch der ein Bestandteil von Ortsnamen ist, der siedlungsgeografisch zurückgeht auf die Kolonisierung Deutschlands durch die Franken vom 5. bis 7. Jahrhundert. Ein Ort, um sich niederzulassen, weil dort gute Lebensbedingungen herrschen. Gute Lebensbedingungen scheint es in „Hausen“ nur für jenes Böse zu geben, das dieses Bauwerk kolonisiert hat. Aber ich schweife ab ins Metaphysische.
Verfluchte Häuser kennen Zuschauer:innen aus etlichen Genrebeiträgen. Wobei es sich zumeist um deutlich pittoreskere Bauwerke, wahlweise aus vergangenen Jahrhunderten handelt, in denen gefangene und gequälte Geister ihr Unwesen treiben. Dieser Grusel-Tradition ist „Hausen“ in seinem Serienformat durchaus verbunden. Darüber hinaus bieten sich durch das Setting in einem Hochhaus auch andere Bezüge an.
Mir fiel zuerst, weil auch deutsch, „Kafkas Der Bau“ (2014) ein, das zwar wagemutig modern adaptiert wurde, allerdings nur atmosphärisch überzeugen konnte. Anders als in dem indonesisch-amerikanischen Actioner „The Raid“ bringt es in „Hausen“ keinen Vorteil das Obergeschoss zu erreichen, aber die Wände sind gleichermaßen lebensbedrohlich. Auch J.G. Ballards Sci-Fi-Parabel „High-Rise“ kommt mir in den Sinn. Der englische Regisseur Ben Wheatley („Sightseers“) verfilmte die horizontale Gesellschaftsanordnung 2015 ebenso starbesetzt wie dystopisch.
„Vielleicht können ja auch Menschen so ein Echo hinterlassen.“
Zurück zu „Hausen“: Als Zuschauer:in kann frau sich an der mehr oder minder naheliegenden Deutung des Seriengeschehens versuchen, aber sobald dies den grauseligen Spaß an der Serie negativ beeinträchtigt, rate ich dazu, sich wie immer, einfach in den maelstrom-artigen Sog des Formats fallen zu lassen. Selbst wenn einige Wendungen weniger ausgeklügelt wirken mögen, so hat das Ganze eine Wucht, die schlicht mitreißend ist. Und dann schaust du aus dem Fahrstuhlschacht nach oben und kannst nicht mal Licht sehen.
All diese mit morbider Faszination bestaunten Schauwerten der Serie, die von Szenenbildnerin Jenny Roesler herausragend und Oscar-beziehungsweise Emmy-würdig ausgestattet sind, und so stilvoll und dramaturgisch ausgefeilt abgefilmt wurden! Daneben geht fast unter, dass „Hausen“ von einigen großartigen und wagemutigen Schauspielern getragen wird, die jeder für sich schon Fernseh-Attraktion genug wären: Tristan Göbel muss man spätestens seit „Tschik“ als Jungstar bezeichnen, Charlie Hübner („Banklady“, „Junges Licht“, „Klassentreffen“) ist neben seiner populären Rostocker „Polizeiruf“-Rolle ein wandelbarer und wagemutiger Schauspieler, der immer noch die Herausforderung sucht.
Lilith Stangeberg kommt in „Hausen“ fast an ihre furiose, abgründige Performance in Nicolette Trebitsch „Wild“ heran. Alexander Scheer („Gunderman“) war schon immer für die etwas andere Rollenauslegung zu haben, macht sogar aus der Kleinrolle Rocky Winkler in „Schrotten“ einen Gala–Auftritt und ist seit der Cornelia Funke Verfilmung „Als der Weihnachtsmann vom Himmel fiel“ (2011) mein einzig echter Nikas Julebukk. Scheers Kater ist – gleichermaßen schillernd – davon nicht nur Lichtjahre, sondern Paralleluniversen entfernt.
Chapeau! Wenn, beziehungsweise falls, sich Zuschauer:innen erst einmal auf die dystopische, lichtarme Horrorvision eines Sozialbaus eingelassen haben, entfaltet sich mit großer Stilsicherheit, herausragendem Set-Design ein düsterer klebrig-geschlossener Kosmos, der vielschichtig mehr ist als schicke Genre-Ware. Das wütig aufspielende Ensemble aus einigen der derzeit charismatischsten deutsche Schauspieler:innen tanzt auf diesem böse funkelnden, brodelnden Vulkan.
Serien-Wertung: (9 / 10)
Hausen- Staffel 1
OT: Hausen Staffel 1
Genre: TV-Serie, Mystery, Horror
Länge: 480 Minuten (8x 60), D, 2020
Idee & Drehbuch: Till Kleinert, Thomas Stuber, Anna Stoeva
Regie: Thomas Stuber
Darsteller: Charlie Hübner, Tristan Göbel, Lilith Stangenberg, Alexander Scheer
FSK: ab 16 Jahren
Bonus: Making Of, Interviews, VFX Reel, Booklet
Vertrieb: Sky, EyeSeeMovies,
DVD-& BD-VÖ: 14.01.2021
Copyright Serienfotos Sky & Lago film & Rainer Bajo