Wie kein anderer hat sich der Filmmacher Adolf Winkelmann mit seiner Heimat im Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Die zum Kinostart von „Junges Licht“ auf DVD erschienene Ruhrgebietstrilogie zeugt davon und hat Kultstatus. Wenn Winkelmann die Filme nun als „Fingerübungen für Junges Licht“ einordnet dann ist das gelinde gesagt, solides Understatement. Allerdings hat die Verfilmung des preisgekrönten Romans von Ralf Rothermann eine andere Erzählqualität und „Junges Licht“ ist ein fesselndes Zeitportrait geworden, das ab dem 18.November 2016 auf für den Hausgebrauch erschienen ist.
Bergarbeitersohn Julian (Oscar Brose) ist zwölf, lebt im Ruhpott Anfang der 1960er Jahre und hat Sommerferien. Also viel Zeit und wenig zu tun, denn Vater Walter (Charlie Hübner) ist untertage und Mutter zur Erholung mit Julians kleiner Schwester an die See gefahren, nachdem sie einen Nervenzusammenbruch hatte. Julian macht, was neugierige Jungs so tun, will Bandenmitglied werden und bekommt von Nachbar Gorny (Peter Lohmeier) einen Fotoapparat geliehen. Außerdem muss Julian seinem Vater die Stullen für die anstrengende Arbeit schmieren und ist fasziniert von der frühreifen Nachbarstochter Marusha (Greta Sophie Schmidt).
Mit der Verfilmung von Rothmanns gleichnamigem Roman, der 2004 erschein, gelingt Adolf Winkelmann ein erstaunliches Zeit- und Sittengemälde. Gelegentlich denkt man an „Stand by Me“ (1986, Regie Rob Reiner) im Kohlenstaub. Aber das ist nur eine Ebene von „Junges Licht“, Julians. Der Film auf verschiedenen Ebenen ein in ein Leben, eine Welt, einen Alltag der heute nichtmehr existiert. Im Ruhrgebiet wird fleißig Kohle abgebaut und das Selbstverständnis der arbeitenden Bevölkerung ist geprägt von dieser harten und dreckigen Arbeit. Zum Ausgleich wird gequalmt und gesoffen und zuhause hat gefälligst das Essen auf dem Tisch zu stehen. Sonntags geht es in die Kirche und vielleicht mal auf einen Familienausflug.
Ähnlich geregelt sind auch die Träume, die hier geträumt werden. Auf die Frage was er denn später mal werden will, antwortet Julian seinem Vater, er wolle nicht Bergmann werden, sondern Koker weil das Feuer so schon aussehe. Kleine Alltagsfluchten, statt großer Ausbrüche. Und über allem schwebt der Qualm der Schlote. Dabei verklärt „Junges Licht“ absolut gar nichts und durch seine beiden Protagonisten, den Sohn und den Vater bekommt das wunderbare und bisweilen auch beklemmende Drama wird das Bild dieses ausgestorbenen Arbeitermilieus facettenreich und realistisch. Winkelmann muss dabei nicht explizit werden dramaturgisch überspitzen. Es wird auch so klar, dass Julian nicht der einzige ist, der ein Auge auf die Nachbarstochter geworfen hat. Auch das nicht ganz uneigennützige Fotointeresse des Nachbarn wirkt recht unseriös.
Aber in den 1960ern kommen solche unterschwelligen Bedrohlichkeiten nicht ans Tageslicht, Mutter etwa hats an der Galle. Die Republik schwelt noch in den Wirtschaftswunderzeiten, der Tagebau rentiert sich noch die Welt ist in Ordnung. Gebeichtet wird am Samstag und nicht einfach irgendwann; außerdem kann man logischer Weise nicht für andere beichten wie der Pfarrer (Ludger Pistor) Julian eher genervt als seelsorgerisch belehrt.
Im sehenswerten und informativen Making Of erzählt Regisseur Adolf Winkelmann von den Schwierigkeiten an Originalschauplätzen im Ruhrgebiet zu drehen. Der Strukturwandel hat von dem ehemaligen Tagebau und der Schwerindustrie kaum etwas übergelassen, die spuren sind getilgt. Häufig kam zumindest für die rauchenden Schlote Computertechnik zum Einsatz und auch die enge der Wohnung musste im Studio nahgebaut werden. Nicht gerade förderlich, wenn man mit jungen, unerfahrenen Darstellern arbeitet. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Oskar Brose und auch Greta Sophie Schmidt füllen ihre Rollen mit großer Glaubwürdigkeit und viel Charme. Auch die erwachsenen Darsteller, die heute zumindest zur Hälfte in Hamburg leben und arbeiten, spielen großartig auf und liefern zugleich unaufgeregtes Lokalkolorit.
Winkelmann ändert während des Films laufend das Bildformat, springt zwischen Schwarzweiß und Farbaufnahmen hin und her, manchmal sogar innerhalb einer Szene. Er tue das, um den Blick des Zuschauers zu lenken, sagt der Regisseur, bestimmte Bilder verlangen einfach bestimmte Qualitäten. Und nachdem die anfängliche Überraschung gewichen ist, fühlt sich „Junges Licht“ auch optisch sehr organisch an.
Ein absolutes Highlight sind die Aufnahmen der Arbeiten unter Tage. Gedreht in einem tatsächlichen Schacht und von beklemmender Enge und so realistisch wie heutzutage möglich. Dafür haben die Betroffenen einige Strapazen auf sich genommen. Beim Zuschauen ist man froh, nicht selbst dort seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen.
Mit „Junges Licht“ ist Adolf Winkelmann ein großartiges Filmgemälde und gelungen, das weit über den lokalen Charme des Ruhrgebietes hinausreicht. Großes Kino ohne Pathos und ohne Nostalgie.
Film-Wertung: (8 / 10)
Junges Licht
Genre: Drama,
Länge: 122 Minuten, D, 2016
Regisseur: Adolf Winkelmann
Roman: Ralf Rothermann
Darsteller: Oscar Brose, Charly Hübner, Lina Beckmann, Peter Lohmeyer, Stephan Kampwirth
Extras: Making Of, Drehortbesuch mit Adolf Winkelmann,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Weltkino Filmverleih GmbH (Vertrieb Universum Film)
DVD-& BD-VÖ: 18. 11.2016