This is Going to Hurt: Tagebuch einer Überlastung

Die BBC-Serie „This is Going To Hurt“ hat extremes Unterhaltungspotential, obwohl dem Publikum das Lachen oft genug im Halse stecken bleibt. Der Arbeitsalltag eines Assistenzarztes in einem englischen Krankenhaus ist scheinbar nur mit bissigem Zynismus zu ertragen. Die Verfilmung von Adam Kays autobiografischem Roman ist Ende Januar 2023 bei Polyband erschienen.

Adam Kay (Ben Wishaw) ist Assistenzarzt in der gynäkologischen Abteilung eines Londoner Krankenhauses. Die Arbeitsbedingungen auf der Geburtenstation sind mehr als nur fordernd. Oft genug muss Adam nach seiner Schicht weiterarbeiten, weil die Ablösung aus diversen Gründen nicht erscheint. Da kann man auch schon mal im Auto auf dem Parkplatz einschlafen und direkt wieder zur Arbeit erscheinen.

Adams Boss Mr Lockhard (Alex Jennings) ist auch noch in einer privaten Geburtsklink tätig und hat sehr klare Vorstellungen, dass er möglichst nie aus der Bereitschaft geholt werden will. Was soll es schon für Notfälle geben, die seine Mitarbeiter nicht bewältigen?

Kontingent für OP-Anzüge aufgebraucht

Während die junge Ärztin Shruti (Ambika Mod) von Adam abrupt in die Patientenverantwortung eingewiesen wird, schlicht deshalb, weil sonst niemand da ist, geht er selbst eher flott mit den Beschwerden der Patienten um. Das rächt sich, als eine junge Schwangere mit Komplikationen auf dem OP-Tisch landet. Zuvor hatte Adam sie als Simulantin wieder nach Hause geschickt. Doch ob das Frühchen überlebt, ist längst noch nicht gesichert.

Zu allem Überfluss und Adams schlechtem Gewissen, hat die Frau auch Beschwerde gegen ihn eingereicht. Derweil kommt die überarbeitete Shruti zu dem Privileg eine seltene Drillingsgeburt durchzuführen. Doch die Arbeitsbelastung und die hohen Erwartungen der Eltern setzen der jungen Frau immer mehr zu.

Auch Adams Mutter setzt ihm zu, dass er endlich mit dem Elend im öffentlichen Gesundheitssystem abschließen und eine lukrative und weniger stressige Praxis für Wohlhabende aufmachen soll. Abgesehen davon, wirft die Mutter immer wieder potentielle Heiratskandidatinnen in die Runde, bevor es für Adam endgültig zu spät wird.

Ärztinnen und Pfleger am Limit

Adam lebt allerdings in einer schwulen Beziehung mit dem Graphic Designer Harry (Rory Fleck Byrne). Es wird vielleicht Zeit der Beziehung mehr Zuwendung zu zeigen. Doch die Arbeit macht oft genug das Privatleben zunichte. Zum Glück hält Stationsschwester Trish (Michele Austin) den Laden so gut es geht am Laufen. Doch irgendwann wird es auch ihr zu bunt.

Das britische Gesundheitssystem mit seiner freien Heilsführsorge kommt in der TV-Serie nach Adam Kays Bestseller nicht gut weg. Dem NHS (National Health System) fehlt es an Finanzmitteln, Ausstattung und Personal. Und die Zustände verschlechtern sich konstant. Diese als bissige, zum Teil derart überspitzt vorgetragene Kritik ist zwar sehr unterhaltsam und eigenständig als TV-Serie umgesetzt, doch bei allem Sarkasmus bleibt der Kern einer unhaltbaren Situation im Gesundheitswesen.

Kays Buch erschien 2018, also vor der Covid19-Pandemie. Die hat ohnehin noch einmal aufgezeigt, wie schnell es geht, weltweit die Gesundheitsversorgung an die Grenzen des Machbaren zu bringen. Dabei standen die Zustände auch in Großbritannien am Pranger, und die Pflegekräfte haben immer wieder auf desolate Zustände und schlechte Bezahlung hingewiesen. Geändert hat sich scheinbar wenig, wenn überhaupt etwas.

Was die Kritik angeht, wird diese in der Serie auf die Spitze getrieben, als Adam eine Patientin aus einer teuren Privatklinik in sein Krankenhaus bekommt, weil die vorgeschriebenen Blutkonserven für die OPs dort schlicht nicht vorhanden waren. So kommt es zu einem Notfall und einem weiteren Beinahe-Kollaps der öffentlichen Geburtenstation. Selbstverständlich sind auch Adams und Shrutis Arbeitsprobleme systemimmanent und Grund zu Klage.

Ein Gesundheitssystem am Rande des Kollaps

Erstaunlicherweise gelingt es der TV-Serie „This is Going to Hurt“ aus der katastrophalen Gesamtsituation ein mehr als unterhaltsames und sehenswertes Format zu machen. Viel hängt dabei an dem großartigen Ensemble um Ben Wishaw, der hier Oscar- bzw. Emmy-reif agiert. Doch es ist auch der Erzählton, der zwar sarkastisch ist, aber trotzdem nahe an den Menschen und ihren Leiden und Problemen bleibt. Die Gratwanderung geling durchweg und sorgt für berührendes Fernsehen.

Die Ausstattung und der Look sind eigenwillig und unterscheiden sich von den herkömmlichen Formaten „Sachsenklinik“, „In aller Freundschaft“ und Co. ebenso wie von den quotenstarken Vorbildern „Chicago Hope“, „Emergency Room“ oder auch „Dr. House“. Es ist den Machern um den Autor Adam Kay und den Regisseur:innen Lucy Forbes (erste Folgen) und Tom Kingsley (letzte Folgen) gelungen einen klinischen Look zu erschaffen, in dem Platz für Realismus und Körperflüssigkeiten ist, in dem zugleich aber auch die Trostlosigkeit der Pausenräume durch kumpelhafte Witze kompensiert wird.

Lange war eine TV-Serie nicht mehr so intensiv. Ich habe mir beim Schauen lange nicht mehr so gerne die Augen zugehalten. Da wo es weh tut, ist es auch am spannendsten. Ben Wishaw liefert einen fesselnden Parforce-Ritt hin und sorgt zusammen mit einem großartigen Cast für eine der besten Serien seit langem. Es ist eine Binsenweisheit, dass im Krankenhaus Leben und Tod nahe bei einander liegen, aber hier werden Zustände eines Gesundheitssystems gezeigt, das schon lange mörderisch ist. Für Patienten wie für Ärzte. Ganz großes Kino.

Serien-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

This is Going to Hurt
OT: This is Going to Hurt
Genre: TV-Serie, Drama
Länge: 315 Minuten (ca 7 x 45) + 16 Min. bonus
Idee: Adam Kay
Regie: Lucy forbes, Tom Kingsley
Vorlage: gleichnamiger biografischer Roman von Adam Kay
Darsteller:innen: Ben Wishaw, Michelle Austen, Tom Durant-Prichard, Ambika Mod,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Polyband
DVD-VÖ: 27.01.2023