Spider-Gwen: Gwen Stacy: Little Drummer Girl

Bei Marvel Comics bekommt die Familie der Wandkrabbler immer wieder Zuwachs. Seit einigen Jahren ist eine junge Gwen Stacy in einer Parallelwelt als Spider-Woman unterwegs um für Recht und Ordnung und den richtigen Beat zu sorgen. Erstmals machte die junge Dame in „Spider-Verse“ auf sich aufmerksam. Daraus entwickelte sich eine eigene Serie. Die ersten Abenteuer von Spider-Gwen hat Panini Comics nun unter dem Label „Panini Ink“ als Sammelband erneut auf den Markt gebracht.

Also, um das noch einmal klar zu stellen, es handelt sich bei „Spider-Gwen: Gwen Stacy“ nicht um neue Abenteuer, sondern um ein neues Format. Die Stories wurden bereits 2015 in der fortlaufenden Serie „Spider-Gwen“ bei Panini veröffentlicht. Diese wurden bei Marvel in der Folge des „Spider-Verse“-Events erdacht, das auch die Vorlage für den Oscar-prämierten Animationsfilm darstellt. Hier sind nun quasi die ersten beiden Sammelbände der Serie zusammengefasst. „Panini Ink“ ist das relativ neue Label für „Graphic Novels“ aus dem Superheldenuniversum, die sich explizit an junge Leser richten. In der Reihe sind gerade auch die ersten Abenteuer von Miles Morales und Kamala Khan neu aufgelegt worden. Aber keine Bange, bei „Spider-Gwen“ geht auch den älteren Lesern der Spaß nicht verloren. Die Storys sind originelle „Spider-Man“-Varianten und das Artwork weiß mit seiner Durchlässigkeit und Modernität zu packen.

Also, ran an die Geschichten: Auf der Parallelwelt Earth -65 haben sich einige Entwicklungen etwas anders abgespielt. Hier wurde nicht der Schüler Peter Parker von einer radioaktiven Spinne gebissen, sondern seine Klassenkameradin Gwendolyn Stacy, die Tochter des Polizei-Captains Stacy. Daraufhin verwandelte sich Gwen in „Spider-Woman“. Peter Parker kam zu Tode als er versuchte, durch ein Experiment so außergewöhnlich zu werden wie Spider-Woman. Nun kreidet der Zeitungsverleger Jonah Jameson der Superheldin den Tod eines Musterschülers an und die Polizei macht Jagd auf die maskierte Vigilantin.

Gwen leidet unter ihrer Geheimidentität und würde sich gerne ihrem Vater offenbaren, denn sie könnte der Polizei helfen. Doch der hat ganz andere Sorgen. Weil er „Spider-Woman“ nicht zu fassen bekommt, übernimmt Detective Frank Castle die Suche und rückt Gwen gefährlich nahe. Matt Murdock, seines Zeichens der Anwalt des Unterweltbosses Kingpin hat so seine eigene Theorie, was die Identität von „Spider-Woman“ angeht, doch das tut wenig zur Sache, denn die Heldin kommt den Aktivitäten seines Bosses zu nahe.

Gwen kriegt derweil ihr Privatleben kaum auf die Reihe. Vor allem die Band, in der sie Schlagzeug spielt, wird zunehmend sauer, dass Gwen nicht zu den Proben erscheint. Denn die „Mary Janes“ wollen jetzt durchstarten und haben einen wichtigen Gig vor der Nase. Doch dann taucht ein Superschurke namens „Geier“ auf und legt sich mit „Spider-Gwen“ an.

Zugegeben, wenn Frauen Bands gründen und wahlweise hart rocken, bin ich sowieso schon Fan, nicht nur im richtigen Leben, sondern auch im Comic. Das war bei „Black Canary“ so und ist auch bei „Spider-Gwen“ nicht anders. Wobei sich nicht sagen lässt, welche Serie die andere beeinflusst hat, beide waren 2015 ungefähr zeitgleich am Start und vielleicht war es einfach der Zeitgeist, dass Frauen in der Rockmusik vermehrt wahrgenommen wurden.

Für die Superhelden-Geschichte von „Spider-Gwen“ tut das wenig zur Sache, es ist eine moderne Idee einer Backstory, ansonsten versteht es Autor Jason Latour („Wintersoldier“) erstaunlich gut, Varianten der bekannten Spider-Man Origin-Story zu erdenken, die nicht nur gut funnktionieren, sondern auch jenes Quäntchen Überraschung bieten, das man von Alternativ-Welten erhofft. Das funktioniert im Grunde auch nocht anders als musikalische Cover-Versionen: Getreues Nachspielen kann interessant sein, aber wirklich Pfeffer kommt in die Sache, wenn sich das Genre, das Tempo oder die Instrumentierung verändert. Auf der Spidey-Klaviatur spielt Jason Latour souverän und traumwandlerisch.

Es sind diese kleinen Überraschungen, die ein wiedererkennen beinhalten, im Englischen spricht man von Easter Eggs, also Ostereiern, die die Serie auch für ältere Leser und Spider-Man Fans so interessant machen. Egal, ob „Daredevils“ Anwalts-Ich jetzt für seinen Erzfeind Kingpin arbeitet, oder ob Ben Grimm („Das Ding“ von den „Fantastischen Vier“) hier als normaler New Yorker Cop auftaucht, egal, ob die hiesige „Captain America“ Samantha Wilson ist, oder ob Gwens Frauen-Band die „Mary Janes“ heißen, nach ihrer Frontfrau Mary Jane Watson, diese Variationen von Spider-Man Geschichte sind einfach gelungen und unterhaltsam.

Weil Comics aber ein optisches Medium sind, geht es auch um das Artwork, wenn eine Serie auf ganzer Linie überzeugen soll. Ob mensch einen Look mag, ist immer auch Geschmackssache, aber es gibt Kriterien, die sich ein wenig verallgemeinern lassen. Im Großen und Ganzen haben die US-Mainstream-Superhelden-Comics einen gewissen Stil und auch eine gewisse Basis-Qualität, so dass Figuren auch in den Händen unterschiedlicher Zeichner wiederkennbar bleiben und gewisse Action-Parameter die Handlung unterstützen (oder umgekehrt).

Robbi Rodriguez hat in „Spider-Gwen“ einen sehr modernen Stil, bei dem es weniger darum geht, muskelbepackte 90er Jahre Held:innen aufs Papier zu bannen, sondern etwas cartoonige Charaktere zu schaffen, die aber als Identifikationsfiguren immer noch ernsthaft genug sind. das ist dem Stil von Adrian Alphona in „Ms. Marvel“ ebenso ähnlich wie Flaviano und Sanford Greene in „Power Man und Iron Fist“. Soviel also zu den Figuren.

Die Action ist sehr dynamisch und kommt mit Soundeffekten ebenso gut rüber wie mit „Zeitlupen“-Panels und Close-ups. Selten braucht‘s in „Spider-Gwen“ tatsächlich diese Bewegung begleitenden Schnelligkeitsschraffuren. Die Arbeit von Kolorist Rico Renzi sollte man in dem Zusammenhang nicht unterschätzen, denn seine Farbgebung sorgt ebenfalls für ein starkes grafisches Konzept. Licht und Dunkelheit werden sehr akzentuiert eingesetzt und gerade die das Spider-Gwen-Kostüm mit der Hoodie-Kapuze ist immer wieder überraschend anzuschauen. Zu all dem kommt auch noch ein sehr variabler Seitenaufbau und ein offenes Panel-Muster.

Warum Panini-Comics beziehungsweise die amerikanischen Comic-Verlage Marvel und DC mit diesen Sammelbänden und auch anderen neuen und originalen Geschichten auf eine jüngere nachwachsende Leserschaft zielen, ist aus einigen Gründen nachvollziehbar. Hat man doch durch die ganzen Kino-Blockbuster und die ellenlangen Backkataloge aller Superhelden immer wieder mal das Gefühl, Superhelden-Comics wären was für alternde Comic-Nerds und ohne entsprechendes Hintergrundwissen, bräuchte man als junge Leser:in gar nicht erst mitzureden.

Diese neuen, jungen Helden und Heldinnen sind mehr als ein Einstieg in ein ganzes Universum voller Fantasie, sie sind eine notwendige Stufe der Helden-Evolution. Die Sammelbände als Graphic Novel zu vermarkten ist zwar eine nette Idee, aber Comics sind ein ewig unterschätztes Medium und werden es wohl (in Deutschland) auch noch lange bleiben.

Für alle, die sich bisher nicht an „Spider-Gwen“ herangetraut haben: Die Serie um die junge Spinnen-Heldin ist mitreißend, witzig und spannend. Selbstredend geht es auch um die Nöte und Sorgen einer jungen Frau, aber warum sollte das nur für eine entsprechend junge Leserschaft interessant sein. Jason Latours Serie war seinerzeit in den USA auf der Stelle ein Publikumsliebling und wer erst einmal mit dem Lesen begonnen hat, wird schnell herausfinden, warum.

Comic-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Spider-Gwen: Gwen Stacy
OT: Edges of the Spider-Verse (2014), Spider-Gwen (2015 I) 1-5, Spider-Gwen (2015 II) 1-6, Marvel Comics,
Genre: Comic, Superhelden,
Autor: Jason Latour
Zeichner: Robbi Rodriguez
Farben: Rico Renzi
Übersetzung: Michael Strittmatter
ISBN: 978-3741619540
Verlag: Panini Comics
VÖ: 22.09.2020

„Spider-Gwen: Gwen Stacy“ bei Panini comics