Plötzlich kommt man wie die Jungfrau zum Kind. Durch einen tragischen Unfall verliert man seine Mobilität. Schicksalsschläge wie Fausthiebe im Nacken. Und doch ist das französische Drama „Der Geschmack von Rost und Knochen“ bei allem Realismus voller Hoffnung. Nicht nur die großartigen Hauptdarsteller Marion Cotillard und Mathias Schoenaerts bescherten den Zuschauern 2013 das erste Highlight eines noch jungen Kinojahres.
Im Norden Frankreichs versucht sich Alain (Mathias Schoenaerts) als Profiboxer durchzukämpfen als er unvermittelt mit seinem fünfjährigen Sohn konfrontiert wird. Die Mutter des Jungen hat keinen Bock mehr, sich um den Nachwuchs zu kümmern, Alain hat nicht die Mittel. Also macht er sich mit dem Jungen auf nach Antibes an der Cote d’Azur, wo seine Schwester lebt. Sie besorgt ihm dort auch einen Job bei einer Securityfirma.
Als Türsteher in einer Disco lernt Alain dann Stéphanie (Marion Cotillard) kennen, die als Waltrainerin arbeitet. Mehr als ein Geplänkel entwickelt sich zwischen den beiden jedoch nicht. Als sie sich Monate später das nächste Mal begegnen, hat Stéphanie beide Beine und fast jeden Lebensmut verloren. Ein tragischer Unfall während einer Show war schuld.
Alain wendet sich nicht ab. Er beginnt Stéphanie einfach zu helfen, wenn es nötig ist. Er scheut auch nicht davor zurück, sich auf Sex mit ihr einzulassen. Doch Stéphanie hat den Verlust ihrer Beine noch nicht verwunden und die Freundschaft entwickelt sich holprig und nicht unproblematisch, während Alain immer wieder an seiner Vaterrolle zu scheitern droht. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mittlerweile mit illegalen Faustkämpfen.
Treffender als „Der Geschmack von Rost und Knochen“ war ein Filmtitel selten. Und Regisseur Jacques Audiard („Dheepan – Dämonen und Wunder“, „The Sisters Brothers“) inszeniert das Drama nach einer Geschichte des kanadischen Autors Craig Davidson mit ungeschöntem Realismus und fast schon unverfrorener körperlicher Präsenz. Das ist starker Tobak, der einen im Kinosessel dann doch überrumpelt und ebenso gefangen nimmt.
Audilard ist ein alter Hase im Filmgeschäft und hat bereits das Drehbuch für den Belmondo-Klassiker „Der Profi“ (1981) geschrieben. Bis zu seinem Regiedebut dauerte es dann noch: „Wenn Männer fallen“ (1994) wurde nicht nur mit dem Cesar für das beste Debut ausgezeichnet. Zuletzt vor „Der Geschmack von Rost und Knochen“ hat Audilard mit dem gefeierten „Ein Prophet“ (2009) gezeigt, dass er zu den ganz großen des französischen Films gehört. Und auch „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist ein grandioser, intensiver Film.
Das liegt nicht zuletzt an den grandios und völlig unprätentiös aufspielenden Hauptdarstellern. Alles in „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ist Körper: das Fehlen der Beine, die Prügeleien, die gemeinsamen Badeausflüge, der Sex. Doch hinter der Körperlichkeit, die so wuchtig und unmittelbar inszeniert ist, lauert eine Zerbrechlichkeit, die die Charaktere selbst immer wieder zu überraschen scheint. Doch langsam kommen beide aus ihrer Einsamkeit und ihrer Isolation heraus.
Marion Cotillard („La vie En rose“, „Assassin’s Creed“) spielt mit schlicht überwältigender Verzweiflung die Angst und die Sehnsucht der Stéphanie und wurde dafür auch für einen Golden Globe nominiert. Doch der belgische Schauspieler Matthias Schoenaerts („Bullhead“) steht ihr in nichts nach, auch wenn durch seine körperliche Präsenz und sehr physische Spielweise das Empathische seines Charakters erst auf den zweiten Blick ersichtlich wird. Vor allem aber zusammen sind die beiden eine perfekte Besetzung für dieses aufwühlende Drama.
„Der Geschmack von Rost und Kochen“ ist alles andere als leichte Kost, doch das Drama fasziniert mit einer ungewöhnlichen Romanze und einigen überraschenden Wendungen. Vor allem aber bleibt man als Zuschauer 120 Minuten lang gefesselt, weil man den Blick von diesem erstaunlichen Paar einfach nicht abwenden will.
Film-Wertung (8 / 10)
Der Geschmack von Rost und Knochen
OT: De rouille et d’os
Genre: Drama,
Länge: 112 Minuten, F, 2012
Regie: Jaques Audiard
Darsteller: Marion Cotillard, Mattias Schoenaerts,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Leonine (ehemals Universum)
Kinostart. 09.01.2013
DVD- & BD-VÖ: 19.07.2013