Es scheint so, als wäre die große, westliche Begeisterung für asiatische Martial Arts Epen verschwunden. So schaffte es „Shadow“ der jüngste Film von Meisterregisseur Zhang Yimou hierzulande gar nicht erst in die Kinos (von Festival-Teilnahmen einmal abgesehen). Dabei rufen diese opulenten Bildwelten geradezu nach der großen Leinwand. Immerhin veröffentlicht Constantin Film das sehenswerte historische Drama mit eigenwilliger Optik und der großartiger Choreografie als Premiere für das Home-Entertainment auf DVD und Blu-ray. Glücklich ist, wer einen großen Bildschirm anschmeißen kann.
Normalerweise beginne ich meine Filmvorstellungen ja mit einer Inhaltsangabe, damit diejenigen, die nur wissen wollen, worum es geht, gleich Bescheid wissen. Damit tut man diesem Epos jedoch keinen Gefallen, denn die Story von „Shadow“ ist zugleich einer ihrer Schwachpunkte; zumindest so, wie sie erzählt wird.
Andererseits sollte man Martial Arts Fans und eben jene Zuschauergruppe, die sich begeistern können für die Ästhetik solcher Meisterwerke wie „Tiger and Dragon“, Hero“ oder „House of Flying Daggers“ um etwas Geduld mit „Shadow“ bitten, es lohnt sich. Und dann stellt sich die grundsätzliche Frage, ob einem Film, der einige herausragende, ja stil- oder genreprägende Szenen beinhaltet, mit einem mittelmäßigen Gesamturteil eine angemessene Bewertung zugekommen ist?
Nun also ab in den Schatten:
In der chinesischen Epoche der drei Reiche (ca. 208 bis 280 n. Chr.) befindet sich das Königreich Pei in einem brüchigen Frieden, weil General Zi Yu (Chao Deng) eine wichtige Stadt an die Rivalen verloren hat. Peis junger König Pei Liang (Zheng Kai) will den Frieden bewahren. Sein oberster General will die Stadt zurück erobern und sinnt darauf, seinen Rivalen Yang (Yun hu) herauszufordern. Dumm nur, dass der General beim Kampf um die Stadt schwer verletzt wurde. Nun nimmt der Bursche Jing Zhou (ebenfalls Chao Deng) als Doppelgänger den Platz des Heerführers ein.
König Pei Liang versucht derweil vor allem seine Herrschaft zu festigen. Hierzu will er seine Schwester mit dem Sohn von Yang vermählen, doch die eigensinnige Schwester Qing Ping (Xiaotong Guan) ist kampfeslustig und will ihr Schicksal selbst bestimmen. Am Hof zu Pei entspinnt sich ein Gewirr aus Intrigen, und Verrat.
Ein von mir hochgeschätzter amerikanischer Liedermacher (Hammel on Trial) hat sinngemäß einmal gesagt: „letztlich lässt sich alles auf eine Liebesgeschichte reduzieren“. So auch „Shadow“. Während der rachsüchtige verwundete General in einer feuchten Höhle ausharrt, verlieben sich dessen Frau und sein Doppelgänger, sein Schatten. Wie sollte es anders sein? Das ist eigentlich alles, was man in die ziemlich komplizierte, wendungsreiche Handlung mitnehmen muss, um sich an der schieren Bildgewalt und Opulenz von „Shadow“ ergötzen zu können. Sollten Zuschauer unterwegs doch noch auf den Trichter kommen, die kniffligen Intrigen aufzulösen, umso besser.
Letztlich eine kämpferische Liebesgeschichte
Wirklich großartig in „Shadow“ sind die Schauwerte und das darunterliegende Konzept von „Yin und Yang“, das sich auch in der Handlung widerspiegelt. Das philosophische Konzept bezieht sich vereinfacht gesagt auf scheinbare Gegensatzpaare, die sich dann letztlich doch ergänzen und eine Einheit bilden. Das Männliche und das Weibliche, das in „Shadow“ für unterschiedliche Kampfschulen stehen. Schwarz und Weiß, die in „Shadow“ für ein farbreduziertes, durchlässiges Konzept von Grauwerten sorgen und schließlich auch Wasser und Stein, die in ihrer Erdverbundenheit Landschaft gestalten und im Film die großen Kulissenelemente ausmachen.
Das alles mag sich nun etwas abgehoben anhören, aber „Shadow“ besticht wie auch schon Zhang Yimous populärsten Werke „Hero“ und „House of Flying Daggers“ mit ausgeklügelten Kampf-Choreografien, die an Originalität und Action ihresgleichen suchen. Das wesentliche Duell der beiden Generäle ist in vielerlei Hinsicht überraschend, lädt zum Staunen ein und rockt jedes Martial Arts Turnier seit Anbeginn der Zeit.
Rock the House mit Leierklängen
A propos rockt: Das Musizieren mit der chinesischen Leier nimmt in „Shadow“ einen prominenten Raum ein. Das rührt mich als Musik-Nerd selbstredend ganz gehörig an. Wer nun lieblich gezupfte Geisha Klänge erwartet, der wird mit wilden Leier-Duetten überrascht, die vielmehr an zeitgenössischen, harten Rock erinnern als an folkloristische Ursprünge.
Der chinesische Filmmacher Zhang Yimou ist ein Meister seines Faches. Erstaunlicherweise begann er nicht direkt mit Martial Arts Filmen, sondern inszenierte zunächst klassische Dramen. Yimous vorangegangener Film „The Great Wall“ ist bei Publikum und Kritik weitgehend durchgefallen. Zu offensichtlich und aufgesetzt schien das Bemühen, die Box Office Einspiele in Orient und Okzident zu einem Blockbuster zu machen.
Wie auf diesen Seiten nachzulesen halte ich „The Great Wall“ zwar nicht für ein verkanntes Meisterwerk, aber für einen großartigen und einzigartigen Abenteuerfilm. Auch „Shadow“ ist einzigartig und ebenso poetisch wie kämpferisch. Das hat ein breites Publikum verdient. Schade, dass der Film einen so kruden, verstiegenen Auftakt hat und erst nach einem Drittel zu wahrer Form und epischer Größe aufblüht.
Wer sich anhand der poetischen Optik durch den Anfang von „Shadow“ hagelt, wird später mit einem der turbulentesten, schönsten und umwerfendsten historischen Action-Epos der letzten Jahre. Für Filmfreunde, die das Staunen nicht verlernt haben.
Film-Wertung: (7 / 10)
Shadow
OT: Ying
Genre: Martial Arts, Drama, History
Länge: 116 Minuten, VRC, 2018
Regie: Zhang Yimou
Darsteller: Deng Chao, Zheng Kai, Li Sun,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Constantin Film, Highlight Entertainment,
DVD- & BD-VÖ: 13.02.2020