Llévame en tus Brazos – Schließe mich in deine Arme: Blumen im Garten der Liebe

Kino aus Mexiko bekommt das Publikum hierzulande nur selten zu sehen. Umso erstaunlicher, das Rapid Eye Movies (R.E.M.) nun mit dem offiziellen Kinostart eines 70 Jahre alten Melodrams punkten kann. „Schließe mich in deine Arme“ erzählt die wendungsreiche Geschichte einer Fischerstochter, die die Schulden ihres Vaters bezahlt. Nicht nur in Mexiko war Hauptdarstellerin Ninón Sevilla seinerzeit ein riesiger Star. Der restaurierte Film verknüpft gekonnt verschieden Stile. Davon kann sich das Publikum selbst überzeugen, wenn die restaurierte Fassung von „Llévame en tus Brazos“ als 21. Film der sehenswerten „Zeitlos“-Reihe ab dem 21. November 2024 in die Kinos kommt.

Die Fischerstochter Rita (Ninón Sevilla) und Arbeiter José (Amando Silvestre) lieben sich und wollen heiraten. Doch José verliert seine Arbeit in der Zuckerfabrik von Don Antonio (Julio Villarreal). Der fordert von Ritas Vater außerdem das geliehene Geld für das Fischerboot ein. Weil der Fischer nicht bezahlen kann, schlägt der Fabrikant vor, eine der Töchter des Fischers in Stellung zu nehmen. Rita, die das Gespräch mithört, wird sich insgeheim mit Don Antonio einig und geht bei Sonnenaufgang mit ihm fort.

Als sich José und Rita später beim Fest des Fabrikanten für den regionalen Abgeordneten wiedersehen, wendet José sich ab, in dem Glauben, Rita würde mit Don Antonio zusammenleben. Auch der Abgeordnete Don Gregorio (Carlos Montéz Moctezuma) hat ein Auge auf die schöne Fischerstochter geworfen. Doch sie weist ihn ab. Aufgrund ihrer verlorenen Liebe wird aus dem Hausmädchen doch noch Don Antonios Geliebte. Mit dessen Gesundheit steht es aber nicht zum Besten. Und für Rita beginnt eine ungewisse Zukunft währen José in der Gewerkschaft Kariere macht.

„Ich habe mich in den Wind verliebt.“

Auf einem Esel trottet der Mariachi die Küste entlang, bis er in Ritas Fischerdorf eintritt und die sich entfaltende Geschichte singend begleitet und kommentiert. Die Texte der tanzbaren Lieder spiegeln durchaus die Handlung und die inneren Konflikte des bewegten Melodrams wieder. Und Bewegung ist ein wichtiges Element der mexikanischen Filmkunst des so genannten Goldenen Zeitalters, das sich in und nach dem zweiten Weltkrieg entwickeln konnte.

Tanzfilme, so genannte Rumberas, gehörten zu den populärsten Filmen. Die in Kuba geborene Ninón Sevilla war zu Drehzeiten von „Schließe mich in deine Arme“ längst ein einflussreicher Filmstar, eine gefeierte Tänzerin und ein Sexsymbol in Mexiko und im lateinamerikanischen Raum. So soll die Hautdarstellerin auch maßgeblich dafür verantwortlich sein, das Regisseur Julio Bracho seinen Film überhaupt drehen konnte. Das ursprünglich geplante sozialistische Gesellschaftsdrama wurde umgemodelt und findet sich ansatzweise noch in den Motiven des Films wieder.

Gleichermaßen sorgte Sevilla wohl auch dafür, dass der seinerzeit international renommierte Kameraman Gabriel Figueroa zu dem Filmprojekt stieß. Herausgekommen ist ein erstaunlicher Film, der laut aktueller Verleih-Info einigen Kritikern als eines der wichtigsten Melodramen der Fünfziger Jahre gilt. Aber wer mag das schon beurteilen, vor allem, wenn hierzulande jenseits von Luis Bunuels Filmkunst kaum mexikanisches Filmschaffen aufgeführt wurde und wird. Aber zurück zu „Llévame en tus Brazos“.

„Da der Wind meine große Liebe ist, bin ich in ihn eingetaucht.“

Tatsächlich braucht es ein wenig um sich in die damalige mexikanische Gesellschaft hineinzuversetzen. Der reiche Fabrikant macht nicht nur dem Arbeitervertreter Angebote, sondern sichert sich in der Manier eines Feudalherrn die Dienste der jungen Schönen. die weiß wohl wie ihre geschieht, aber sie nimmt ihr vermeintliches Schicksal an, opfert sich für ihre Familie. Später dann eröffnen sich Möglichkeiten, wenn Rita die „Waffen einer Frau“ gekonnt einsetzt.

Und das alles, weil die große Liebe sich von ihr abwendet. Im Film intoniert der Barde: „wenn eine Frau ihre Tugend dem ersten Liebhaber opfert, lässt kein Gold der Welt diese Blume je wieder erblühen.“ Selbst als Rita die Schulden ihres Vaters abbezahlt hat und ins Fischerdorf zurückkehrt, gibt es dort kein Lebensglück. Der Vater aus Unglück und verletzten Ehrgefühl, weil wohl das die Tochter sich geopfert hat, doch gerade daran krankt er. Ebenso wie auch José sich aus einem im Machismo verankerten Ehrgefühl abwendet.

„Doch nun bin ich untröstlich…“

Das mag aus der europäischen Rückschau abstrus sein, zeigt aber auch eindrucksvoll wie die mexikanische Gesellschaft seinerzeit (und möglicherweise auch darüber hinaus) funktionierte und wie es um die Stellung der Frau bestellt war. In dieser Hinsicht beachtlich ist auch eine Szene mit Rita und der Ehefrau des Abgeordneten. Abe das mag jede:r selbst sehen.

Furios und bisweilen mit großer Energie und flottem Tempo erzählt „Llévame en tus Brazos“ Ritas Geschichte, die es versteht, ihr Schicksal zu wenden und ein Filmstar zu werden. Eine weitere Gelegenheit der Rumbera eine Tanznummer zu gewähren, die vom damaligen Publikum so geschätzt wurden. Und dennoch springt Julio Brachos imposanter Film solide zwischen Genres hin und her. Neben Tanzfilm und Melodram, das sich durch das innere Drama der Charaktere auszeichnet, ist auch noch Sozialkritik eingebaut und in einigen Sequenzen wird der Film durchaus surreal und expressionistisch.

Für das Mexikanische Kino seinerzeit und die Tanzfilme war eine gewisse Sprunghaftigkeit bezeichnend, die mehr Wert auf Bewegung als auf Handlung legte. so tauchen auch in „Llévame en tus Brazos“ einige Fragen auf, über die sich nur vermuten lässt, warum das nun in Szene gesetzt wurde. Das Ende kommt dann überraschend, aber romantisch stimmig daherkommen.

„…weil meine große Liebe mich verlassen hat“

Im Jahr 2023 wurde „Llévame en tus Brazos“ aus mehreren Kopien restauriert und zu einer neu abgetasteten Fassung zusammengefügt. Um das mexikanische Filmerbe stand und steht es nicht besonders gut, viele Filme sind in schlechtem Zustand oder wie etwa die frühen Stummfilme sind so gut wie nicht mehr erhalten. Umso schöner, dass ein hinreißendes Melodram wie „Llévame en tus Brazos“ wieder in neuem Glanz erstrahlt.

Für den deutschen Kinostart wurde der Film mit einem neuen, stimmungsvollen Kinoplakat ausgestattet. Der Verleih Rapid Eye Movies hat sich entschieden auf eine Synchronfassung zu verzichten und zeigt „Schließe mich in deine Arme“ im spanischsprachigen Original. Nach kurzer Zeit haben sich auch jene Zuschauer:innen eingesehen, die nicht an die Untertitelung gewöhnt sind.

Die Untertitel sind gelungen und geben auch die Stimmung des Films gut wieder. Tatsächlich stutzte ich an einer Stelle kurz als Rita die Hauptrolle in dem Film „Bucht“ bekam, denn in der anschließenden Tanz- und Gesangsszene wird erwähnt, dass man sich nach Récife begeben wolle. Das wäre dann in Brasilien im Bundesstaat „Bahia“ zu verorten, was wohl der Filmtitel aussagen mag.

Doch all diese Ausdeutungen und Anmerkungen sollten das Publikum nicht vom Charme, der Ausdruckskraft und der Lebendigkeit von „Llévame en tus Brazos – Schließe mich in deine Arme“ ablenken. Die mexikanische Wiederentdeckung kann durchaus sehr sehenswert mit dem internationalen Filmgeschehen seinerzeit mithalten und wirkt auch heute noch sehr überzeugend. Mir scheint da gäbe es noch etliche Filmperlen zu entdecken.

Sicherlich lässt sich trefflich über Frauenbild und Gesellschaftsordnung im damaligen Mexiko streiten, die so sehr verschieden zu sein scheinen von unserer Gegenwart. Doch der Faszination der immer wieder überraschenden und frischen filmischen Erzählung kann mensch sich ebenso schwer entziehen wie dem Charisma der lebendigen Rumbera Ninón Sevilla. Die äußerst gelungene Filmwiederherstellung sorgt für ansprechende Bild & Ton-Qualität. Und so ist die siebzig Jahre alte Erstaufführung einer der interessantesten Filme des Jahres.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Llévame en tus Brazos – Schließe mich in deine Arme
OT: Llévame en tus Brazos
Genre: Melodram
Länge: 92 Minuten, MEX, 1954
Regie: Julio Bracho
Schauspiel: Ninón Sevilla, Julio Villarreal, Armando Silvestre
Restauration:2023
FSK:
Vertrieb: R.E.M., Reihe „Zeitlos“ #21
Kinostart. 21.11.2024

Llévame en tus Brazos bei R.E.M.

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