Kursk: Systemabsturz

Es ist ein absurd anmutender Zufall, dass gerade jetzt, wenn hierzulande in den Kinos das U-Boot-Drama „Kursk“ anläuft, wieder ein russisches U-Boot verunfallt ist und es Todesopfer zu beklagen gibt. Die aktuelle – milde gesagt – defensive Informationspolitik Russlands wirkt, als hätte man aus der Kursk-Katastrophe seinerzeit nichts gelernt. Zu allererst aber ist der Kinostart „Kursk“ ein spannender Film. Ein historisierendes Drama, in dem Regisseur Thomas Vinterberg die damaligen Ereignisse mit namhafter internationaler Besetzung auf der Leinwand zum Leben weckt. Das hat seine Stärken, leider aber auch erhebliche Schwächen.

Seit Monaten haben die Matrosen der russischen Nordmeerflotte keinen Sold mehr erhalten. Ein Problem, da ein Besatzungsmitglied des Atom-U-Bootes „Kursk“ heiraten will und es an Geld fehlt. Kurzerhand tauschen die Matrosen ihre Uhren gegen Schnaps und Schampus und feiern. Anschließend geht es im Rahmen eines großangelegten Manövers hinaus in die Barentssee. Die Kursk hat einen neuartigen Sprengkopf an Bord. Doch der zuständige Ingenieur hat Sorgen, da die Temperatur der Waffe nicht konstant bleibt und der Torpedo so sehr instabil wird.

Die Kursk ist noch lange nicht auf Position, als der Torpedo detoniert und zu großen Schäden und einem Feuer auf dem U-Boot führt. Kurz darauf explodiert die restliche Waffenkammer und nur ein kleiner Teil der Crew im hinteren Teil des U-Boots überlebt und wartet verzweifelt auf Hilfe.

„Wissen Sie wieviel Luft sie noch haben?“

Während die marinen Streitkräfte der NATO den Zwischenfall mitbekommen und Kommandant David Russel (Colin Firth) sogleich inoffiziell Hilfe anbietet, muss sein russischer Gegenspieler, Admiral Grudzinsky (Peter Simonischek), zunächst eigene vergebliche Rettungsversuche miterleben, die am schlechten Zustand des Rettungs-U-Bootes scheitern. Schließlich muss nicht nur der Admiral hilflos darauf warten, ob das Oberkommando in Moskau eine Hilfe der westlichen Gegner überhaupt zulässt. Währenddessen geht Zeit verloren und damit schwinden die Luftvorräte und die Hoffnungen der verbleibenden Besatzung der „Kursk“.

Spätestens seit Wolfgang Petersens „Das Boot“, das kürzlich ein Serien-Revival erlebte, scheint der U-Boot-Film als Genre ausdefiniert. Und dennoch kommen immer wieder Actioner und Dramen auf die Leinwand, in denen die klaustrophobische Enge der Untersee-Boots der Handlung zumindest eine existentielle Dringlichkeit beschert. Das Drama der Kursk ging seinerzeit (2000) durch die Medien und nicht nur im Westen stieß das Verhalten der russischen Admiralität auf Unverständnis.

Doch wie eingangs schon erwähnt, bei Thomas Vinterbergs „Kursk“ handelt es sich nicht um eine Doku, sondern um ein fiktionalisiertes Drama. Das Drehbuch basiert auf dem Buch „ A Time To Die“ von Robert Moore. Das nicht auf deutsch erhältliche Buch läuft unter der Bezeichnung „Novel“ und kam seinerzeit zeitgleich mit einem anderen Buch über das Kursk-Unglück auf den Markt. Der Rezensent des englischen Guardian wunderte sich damals, wie unterschiedlich ddie Autoren die vermeintlich sicheren Fakten recherchiert und auch bewertet habe. Was wohl auch beweise, wieviel Aufarbeitungs- und Aufklärungsbedarf zu dem Thema noch offen sei.

„Falls wir Ihre Hilfe brauchen, lassen wir es Sie wissen.“

Die klassische Deutschstunden-Frage zur Textinterpretation stellte sich mir auch in der Kinovorstellung und ich gebe zu, sie noch immer nicht beantworten zu können: „Was will der Autor damit sagen?“ Die Havarie und der Überlebenskampf sind ebenso eindrücklich geschildert wie die soldatischen und diplomatischen Aspekte eindeutig und mehrheitstauglich beurteilt wurden. Ganz eindeutig überfrachtet der Film die Katastrophe jedoch auch mit einer Systemkritik, die den Kollaps der alten roten Garde im Machtbereich des Kreml symbolisiert – und tatsächlich auch in Persona zeigt.

Zudem gibt es eine Rahmenhandlung um die Familie des Offiziers Michail Averin (Matthias Schoenaerts), die in ihrer Ikonenhaftigkeit und Dramaturgie so gar nicht zu dem marinen Katastrophenfilm passen mag. Vielmehr wirkt der in den Fokus gerückte Sohn des Offiziers in seiner wortlos grimmigen Beobachterposition und durch seine dramaturgische Inszenierung so, als hätte Vinterberg das Prequel einer russischen Version des „Paten“ drehen wollen: Die traumatisierende Rachemotivation eines späteren Gangsterbosses.

Das Drama um die Havarie des russischen U-Bootes „Kursk“, nach realen Begebenheiten und einer literarischen Vorlage, hat durchaus Schauwerte und bekannte Darsteller zu bieten (Schweighöfer, Seydoux, Diehl, Von Sydow). Doch aus den vielen Aspekten der Geschichte will sich kein stimmiges Ganzes ergeben. Wer sich an bestimmten Aspekten eines Films leitmotivisch bis zum Ende entlangsehen kann, der wird in „Kursk“ auf seine Kosten kommen. Wer ein intensives Drama oder einen Tiefsee-Actioner erwartet, muss leider draußen warten.

Film-Wertung 5 out of 10 stars (5 / 10)

Kursk
OT: The Command
Genre: Drama, Historisches
Länge: 117 Minuten, F, 2018
Regie: Thomas Vinterberg
Darsteller: Matthias Schoenaerts, Colin Firth, Peter Simonischek,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Wild Bunch
Kinostart: 11.07.2019

Copyright der Fotos & Abbildungen bei Wild Bunch