Anfang Januar hat der Comicverlag Schreiber & Leser den zweiten Band des schrägen französischen Westernabenteurers „Lincoln“ nachgelegt. Für mich, dem der nihilistischen Ritt nach Westen ausgesprochen gut gefallen hat, ein Grund höchster Neugier. Glücklicherweise legen die Macher in „Der in den wind spricht“ genauso grandios nach, wie sie im auftakt von „Lincoln“ begonnen haben.
Wir erinnern uns: Cowboy Lincoln ist ein griesgrämiger Sauf-und Raufbold, der ausschließlich auf seinen Vorteil bedacht ist. Geplagt von den existentialistischen Fragen „Hat es einen bestimmten Sinn?“ und „Werde ich ihn je Erfahren?“ trifft Lincoln in der Wildnis des Wilden Westens auf einen poncho-tragenden Gott, der ihm Unsterblichkeit gibt und ihn zu einem guten Menschen machen will.
Soweit so gut, da aber die Handlung, so geringfügig sie auch scheinen mag, in dieser Comic-Serie fortlaufen ist, bleibt es nicht aus, bereits veröffentlichte Handlungselemente zu schildern, wem das nicht passt, der muss bitte mit der Vorstellung von „Lincoln“ Band 1: „Auf Teufel komm raus“ beginnen.
Gegen seinen Willen ist es Lincoln am Ende des ersten Bandes doch gelungen, ein Held zu sein (indem er die Bank vor Räubern schützte, auf der seine Ersparnisse lagen). Und prompt hat er drei junge Farmersjungen als Fanclub an den Hacken (oder als Bandenmitglieder – wie die es gerne sehen). Bissig entschlossen, das naive Trio zu ignorieren, trifft Lincolns Bande auf einen raubenden Indianer. Um sich zu erklären, lädt er Lincolns Bande zu essen in. Was für ein Glück, dass Gott in der Zwischenzeit ein Automobil gekauft hat, in dem alle Platz finden. Aber nicht alle Weißen sind so verständnisvoll wie Lincoln und so findet sich die Bande zusammen mit einem alten Indianer auf dem Kriegspfad.
„Ich fürchte, das haben wir versiebt.“
Was bereits am ersten Band von „Lincoln“ so erfrischend war, setzt sich im zweiten Abenteuer fort. Es ist bewundernswert, mit welcher Souveränität Szenarist Olivier Jouvray in dieser Familienproduktion (Bruder Bruder Jérôme zeichnet, dessen Ehefrau Anne-Claire koloriert) abstruse und unvorhersehbare Wendungen aus dem Hut zaubert. Ist es schon erstaunlich, dass ausgerechnet Gott mit dem Argument, dass sich der Fortschritt nicht aufhalten lasse, ein Auto kauft. So ist die Begegnung des Teufels mit der indianischen Geisterwelt und dem Schamanismus einfach hinreißend lächerlich. Mit dem zerknautschen Indianer „Der in den Wind spricht“ und Gott ist für Lincolns Seelenheil umfassend gesorgt. Am Ende entlässt die Geschichte die Leser wieder mit einem komplett offenen Ritt in den Sonnenuntergang.
„Es ist nie einfach, wenn die Kinder aus dem Haus gehen.“
Nicht nur erzählerisch auch grafisch hat die französische Comic-Serie ihren Stil gefunden. Geneigte Leser werden an den kantigen Charakteren und den scheinbar schlichten Zeichnungen ihre Freude haben, nachdem sie sich erst einmal eingelesen haben. In Band zwei kommt grafisch noch etwas mehr Dynamik in die Sache, da es auch etwa mehr Action und Explosionen gibt. Auch hier herrscht wieder ein gepflegtes Understatement vor, und viele der gezeichneten Gags kommen erfreulich unaufgeregt daher. Die Fortsetzung ist dann für Mai angegündigt.
Der zweite Band des nihilistisch-philosophischen Western-Comics „Lincoln“ legt noch eine Schippe drauf. Bissigere Dialoge, absurder Handlung und trotzdem kriegt der Comic immer noch die Kurve ohne in düsterste Sphären abzudriften.
Comic-Wertung: (9 / 10)
Lincoln Band 2: Der in den Wind spricht
OT: Lincoln 1 – Indian Tonic, 2003
Genre: Comic, Western, Satire
Autor: Olivier Jouvray
Zeichnungen: Jérôme Jouvray
Farben: Anne-Claire Jouvray
Übersetzung: Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber und Leser, Hardcover Album, 48 Seiten
ISBN: 978-3-946337-69-0
VÖ: 08.01.2019
Offizielle Lincoln Homepage (französisch)
Lincoln bei Schreiber und Leser